21-08-2023
Erste Erfahrungen mit den wesentlichen Änderungen des neuen Aktienrechts im Umfeld von multinationalen Unternehmen und Chancen für die Zukunft.
Neues Aktienrecht - Erste Erkenntnisse aus der Praxis
Das neue Aktienrecht ist am 1. Januar 2023 in Kraft getreten und brachte wesentliche Neuerungen mit sich. Wir haben multinationale Unternehmen bei der Umsetzung des neuen Aktienrechts begleitet, berichten über unsere Erfahrungen nach der ersten GV-Saison und zeigen mögliche Chancen für die Zukunft.
Was hat sich geändert?
Mit der Revision wollte der Gesetzgeber das Aktienrecht modernisierien und den wirtschaftlichen Bedürfnissen anpassen. Dabei sollte vor allem die Flexibilität der Aktiengesellschaften erhöht werden. Die wohl interessantesten Neuerungen im Umfeld von multinationalen Unternehmen betreffen die folgenden Themen:
- Generalversammlungen können neu virtuell, mit einem Tagungsort im Ausland oder mehreren Tagungsorten gleichzeitig sowie auf dem schriftlichen Weg mittels Zirkularbeschluss durchgeführt werden. Zudem kann dem Vorsitzenden in der Generalversammlung der Stichentscheid zugewiesen werden.
- Das Kapital darf neu auf eine ausländische Währung lauten. Diesfalls haben Buchführung und Rechnungslegung in derselben Währung zu erfolgen. Aktuell zulässig sind US-Dollar, Euro, britische Pfund oder japanische Yen.
- Neu besteht die Möglichkeit zur Ausschüttung von Zwischendividenden. Vorausgesetzt wird, dass eine Zwischenbilanz erstellt wird und diese ausschüttbares, frei verfügbares Eigenkapital ausweist. Der Zwischenabschluss muss geprüft werden, wenn kein Opting-out erfolgt ist oder sämtliche Aktionäre der Ausrichtung zustimmen.
- Das neue Instrument des Kapitalbandes ersetzt die genehmigte Kapitalerhöhung. Damit kann der Verwaltungsrat während einer Dauer von maximal fünf Jahren ermächtigt werden, innerhalb einer bestimmten Bandbreite das Kapital zu erhöhen und/oder herabzusetzen.
- Zur Verbesserung der Corporate Governance wird neu der Umgang mit Interessenkonflikten im Verwaltungsrat und in der Geschäftsleitung explizit geregelt.
- Mit Implementierung einer statutarischen Schiedsklausel können neu sämtliche gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten der Schiedsgerichtsbarkeit unterstellt werden.
Dominique Gottret
Partner, Rechtsanwalt, LL.M., Leiter Corporate & Business Law / Legal Deal Advisory
KPMG Switzerland
Welche Neuerungen haben multinationale Unternehmen bisher umgesetzt?
Viele multinationale Unternehmen haben die Chancen des neuen Aktienrechts früh erkannt und die Umsetzung gleich in Angriff genommen, zumal gewisse Neuerungen einer statutarischen Grundlage bedürfen und Statutenrevisionen etwas Vorlaufzeit benötigen. Wir durften multinationale Unternehmen bei der Umsetzung begleiten und konnten hierbei insbesondere folgende Erkenntnisse gewinnen:
- Der Wechsel des Kapitals in eine ausländische Währung wurde besonders stark nachgefragt. Die Umsetzung ist meist rückwirkend auf den Beginn des Geschäftsjahres erfolgt. Im multinationalen Umfeld überrascht der Währungswechsel kaum, liegen doch die Vorteile auf der Hand (v.a. Dividenden, Reservezuweisungen oder Steuerkalkulation).
- Die Zwischendividende wurde vor allem bei Konzerngesellschaften mit ausländischen Muttergesellschaften genutzt, da diese regelmässig quartalsweise Ausschüttungen (v.a. laufende oder ausserordentliche Gewinne) vornehmen. In diesen Verhältnissen kann oftmals auf die Prüfung des Zwischenabschlusses verzichtet werden, womit der Aufwand begrenzt werden kann.
- Die Möglichkeit zur virtuellen Durchführung der Generalversammlung ist auf grosse Zustimmung gestossen. Vielfach erfolgte die Implementierung vorsorglich, um künftig im Falle unvorhergesehener Ereignisse gewappnet zu sein. Offenbar besteht aktuell noch keine Absicht zur Durchführung von rein virtuellen Generalversammlungen. Hybride Generalversammlungen sind aber regelmässig anzutreffen. Gerade in Joint Venture Strukturen ist die hybride Generalversammlung ein geeignetes neues Instrument für multinationale Unternehmen, um die Generalversammlung ohne grossen administrativen Aufwand und effizient durchzuführen.
- Die Durchführung der Generalversammlung mit einem Tagungsort im Ausland wurde ebenfalls oft nachgefragt. Multinationale Unternehmen, bei welchen die Aktionäre häufig ganz oder teilweise im Ausland ansässig sind, bietet die neue Regelung einen ungemein effizienten und administrativen Vorteil. Auch ausländische Holding- und Muttergesellschaften mit Tochterfirmen in der Schweiz haben ihre Statuten unverzüglich angepasst und profitieren nunmehr von diesem Vorteil.
- Bezüglich Corporate Governance hatten viele Unternehmen bereits zuvor ein ausgeprägtes Bewusstsein. In der Regel existierten bereits Regelungen für Interessenkonflikte, da die Handlungspflichten bereits vor der Revision bestanden und neu nur die explizite Verankerung im Gesetz erfolgt ist. Nichtsdestotrotz führte die Neuregelung dazu, dass viele Unternehmen ihre internen Organisationsreglemente und Richtlinien überarbeitet haben, um diese auf den aktuellen Stand zu bringen und Haftungsrisiken (Verwaltungsrat v. Geschäftsleitung) zu minimieren.
Wie sind die Aussichten und welche Vorkehrungen sind vorzunehmen?
Gewisse Neuerungen werden in Zukunft noch einiges an Bedeutung gewinnen. Nebst den oberwähnten, bereits zahlreich umgesetzten Neuerungen, bietet auch das Kapitalband noch viele Chancen, da die Grenzen innerhalb der gesetzlichen Vorgaben beliebig festgelegt werden können, das Bezugsrecht ausgeschlossen werden kann und gar Kombinationen mit bestehenden Kapitalmassnahmen möglich sind. Ebenso könnte die Schiedsklausel vermehrt genutzt werden, weil Streitigkeiten innert nützlicher Frist nahezu abschliessend und von fachkundigen Richtern beurteilt werden können. Zudem besteht die Möglichkeit, die Öffentlichkeit des Verfahrens einzuschränken und damit dessen Vertraulichkeit zu erhöhen.
Multinationale Unternehmen, die von der Aktienrechtsrevision profitieren wollen, sollten die Statuten ihrer Schweizer Gesellschaften überprüfen und anpassen. Statutenbestimmungen, die im Widerspruch zum neuen Recht stehen, bleiben nur während einer Übergangsfrist von zwei Jahren, d.h. bis 31. Dezember 2024, noch wirksam. Mit Ablauf der Frist werden solche Bestimmungen ungültig.