COVID-19: Pflichten des VR bei Kapitalverlust COVID-19: Pflichten des VR bei Kapitalverlust
Trotz den in der Verordnung über insolvenzrechtliche Massnahmen zur Bewältigung der Coronakrise (nachfolgend "COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht") enthaltenen und vorübergehend geltenden Entlastungen von den Pflichten gemäss Artikel 725 Abs. 2 OR ist der Verwaltungsrat in der gegenwärtigen Krise gefordert.
Art. 725 OR auferlegt dem Verwaltungsrat verschiedene Aufgaben, falls ein Unternehmen in eine finanzielle Notlage gerät. Dabei gehört das Gebot, den Richter im Falle der Überschuldung zu benachrichtigen, zu den gemäss Art. 716a OR unübertragbaren und unentziehbaren Pflichten.
Nach dem Ausbruch der Coronakrise und dem vom Bundesrat am 13. März 2020 in der Verordnung 2 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (nachfolgend "COVID-19-Verordnung 2") verordneten Lockdown sind sehr viele Unternehmen von einem Tag auf den anderen ihrer Geschäftsmöglichkeiten beraubt worden. Je nach Reserven der betroffenen Unternehmung kann das in kurzer Zeit zu erheblichen Auswirkungen auf das Bilanzbild führen, weshalb der Verwaltungsrat extrem gefordert ist, auch im Hinblick auf die Vermeidung der ihn treffenden persönlichen Haftung. Die diesbezüglichen Pflichten des Verwaltungsrates sind bei Unternehmen, die aufgrund der Coronakrise vom Konkurs bedroht sind, etwas gemildert worden (Verordnung über insolvenzrechtliche Massnahmen zur Bewältigung der Coronakrise vom 16. April 2020 (COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht), allerdings bleiben die Aufgaben des VR anspruchsvoll.
Pflichten des Verwaltungsrates bei Kapitalverlust
Zeigt die Bilanz einer Gesellschaft einen Kapitalverlust (das Nettovermögen deckt die Hälfte des Aktienkapitals sowie der gesetzlichen Reserven nicht mehr), muss der Verwaltungsrat unverzüglich eine Generalversammlung einberufen und Sanierungsmassnahmen beantragen. Der Wortlaut von Art. 725 Abs. 1 OR stellt für die Feststellung eines Kapitalverlustes zwar auf die letzte Jahresrechnung ab, das genügt allerdings in der Praxis nicht. Besteht unter dem Jahr begründete Besorgnis, dass ein Kapitalverlust vorliegt, ist der Verwaltungsrat verpflichtet, eine Zwischenbilanz und Zwischenerfolgsrechnung aufzustellen und darf nicht bis zum Vorliegen des Jahresabschlusses zuwarten. Während die Sanierung nach Art. 725 Abs. 1 OR noch als privatrechtliche Sanierung zu qualifizieren ist, welche ohne Mitwirkung des Richters oder der Gläubiger abgewickelt werden kann, sieht die Angelegenheit bei Vorliegen einer Überschuldung anders aus.
Pflichten des Verwaltungsrates bei Überschuldung
Bei begründeter Besorgnis einer Überschuldung (die Schulden des Unternehmens sind weder zu Fortführungs- noch zu Liquidationswerten gedeckt) muss der Verwaltungsrat gemäss Art. 725 Abs. 2 OR eine Zwischenbilanz erstellen und diese einem zugelassenen Revisor zur Prüfung vorlegen. Ergibt sich aus der Zwischenbilanz, dass die Forderungen der Gesellschaftsgläubiger weder zu Fortführungs- noch zu Veräusserungswerten gedeckt sind, so hat der Verwaltungsrat beim zuständigen Gericht Konkurs anzumelden oder ein Nachlassverfahren zu beantragen, sofern nicht Gesellschaftsgläubiger im Ausmass dieser Unterdeckung im Rang hinter alle anderen Gesellschaftsgläubiger zurücktreten. Der zuständige Richter hat die Option entweder sofort den Konkurs zu eröffnen oder auf Antrag des Verwaltungsrates oder einzelner Gläubiger den Konkurs aufzuschieben.
Was ändert sich aufgrund der COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht an den Pflichten des Verwaltungsrates gemäss Art. 725 OR?
Die erwähnte Verordnung sieht nun eine vorübergehende Sistierung der Pflicht des Verwaltungsrates zur Benachrichtigung des Gerichts vor, sofern
- die Gesellschaft am 31. Dezember 2019 (somit vor der Coronakrise) nicht überschuldet war, und
- wenn Aussicht besteht, dass die Überschuldung bis am 31. Dezember 2020 behoben werden kann.
Unter den gleichen Voraussetzungen entfällt die Pflicht zur Prüfung der Zwischenbilanz durch einen Revisor und die Revisionsstelle ist von der Pflicht zur Benachrichtigung des Gerichts ebenfalls befreit. Dazu Folgendes:
- Als per 31. Dezember 2019 überschuldet gelten auch Unternehmen, die per Ende 2019 über hinreichende Rangrücktritte von Gläubigern verfügten.
- Der Verwaltungsrat muss die Aussicht auf die Behebung der Überschuldung bis 31. Dezember 2020 begründen. Er muss sich auf der Grundlage von möglichst umfassenden Informationen ein Bild von der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft machen, die Aussichten anlässlich einer Sitzung besprechen und seinen Entscheid über eine günstige Prognose in einem Protokoll mit den notwendigen Beilagen dokumentieren.
- Bei der Prüfung, ob eine Überschuldung vorliegt, sind die unter der COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung vom 25. März 2020 gewährten COVID-19-Überbrückungskredite bis CHF 500,000 nicht zu berücksichtigen, COVID-19-Kredite über CHF 500,000 jedoch schon.
Der Verwaltungsrat bleibt weiterhin gefordert. Er ist verpflichtet, sich jederzeit ein verlässliches Bild über die finanzielle Lage des Unternehmens zu verschaffen. Zudem muss er nach wie vor
- eine Sanierungsversammlung einberufen und die diesbezüglichen Pflichten wahrnehmen, wenn ein Kapitalverlust vorliegt;
- die erforderlichen Zwischenbilanzen erstellen, wenn eine Überschuldung droht;
- das Gericht bei Vorliegen der in Art. 725 Abs. 2 OR enthaltenen Bedingungen benachrichtigen, falls die Voraussetzungen der oben erwähnten vorübergehenden Sistierung dieser Pflicht nicht gegeben sind, wobei dem Verwaltungsrat in dieser Situation unter Umständen auch die Möglichkeit offen stehen könnte, ein Gesuch auf die Gewährung einer Nachlassstundung bzw. einer COVID-19 Stundung einzureichen.
Eine detaillierte Darstellung finden Sie im folgenden Artikel: Pflichten des Verwaltungsrates bei Liquiditätsproblemen und Unterbilanz unter Berücksichtigung der COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht vom 16. April 2020