22-01-2024
Erste Erfahrungen mit der Auswirkung des neuen Sanierungsrechts, Pflichten und möglichen Stolpersteinen für den Verwaltungsrat
Neues Sanierungsrecht – Neue Pflichten für den VR
Seit einem Jahr ist das neue Sanierungsrecht in Kraft. Nachfolgend ziehen wir Bilanz, analysieren Auswirkungen auf Unternehmen und beleuchten Herausforderungen für den VR. Dabei identifizieren wir mögliche Stolpersteine und zeigen auf, worauf der VR in welcher Situation achten muss.
Am 1. Januar 2023 ist die Aktienrechtsrevision in Kraft getreten. Aufgrund der Übergangsfrist von zwei Jahren für die Anpassung der Statuten besteht für die Gesellschaften nicht immer zwingend ein umgehender Handlungsbedarf. Für Gesellschaften in (drohender) finanzieller Schieflage sind die Neuerungen allerdings bereits mit Inkrafttreten relevant. Neben den neuen Pflichten für den VR sind insbesondere (i) der Rangrücktritt und seine Ausgestaltung sowie (ii) die 90-Tage-Frist für die aussergerichtliche Sanierung hervorzuheben.
Dominique Gottret
Partner, Rechtsanwalt, LL.M., Leiter Corporate & Business Law / Legal Deal Advisory
KPMG Switzerland
Drohende Zahlungsunfähigkeit
Damit eine drohende Zahlungsunfähigkeit rechtzeitig erkannt werden kann, ist der VR neuerdings verpflichtet, die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft dauerhaft und fortlaufend zu überwachen. Eine kontinuierliche Überwachung ist entscheidend, um rechtzeitig reagieren zu können.
Bei drohender Zahlungsunfähigkeit sind geeignete Massnahmen zu ergreifen, wobei der VR jeweils mit der «gebotenen Eile» zu handeln hat. Im Fokus stehen Massnahmen, die sich direkt auf die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft auswirken.
Kapitalverlust / Überschuldung
Der Tatbestand des Kapitalverlusts wird neu in Art. 725a OR geregelt. Neben den unveränderten Pflichten des VR zur Sanierung wurde in Abs. 2 OR eine neue Prüfpflicht bei Vorliegen eines Kapitalverlusts eingeführt, wonach der VR die letzte Jahresrechnung mindestens eingeschränkt prüfen lassen muss. Hat die Gesellschaft keine Revisionsstelle gewählt (sogenanntes Opting-out), muss die letzte Jahresrechnung vor ihrer Genehmigung durch die Generalversammlung trotzdem einer eingeschränkten Revision unterzogen werden. Es obliegt in diesem Fall dem VR (und nicht der GV), einen zugelassenen Revisor zu ernennen.
Liegt gar eine begründete Besorgnis einer Überschuldung vor, hat der VR unverzüglich einen Zwischenabschluss zu Fortführungs- und Veräusserungswerten zu erstellen. Die Zwischenabschlüsse müssen ebenfalls revidiert werden (auch wenn ein Opting-out beschlossen wurde). Ergibt sich aus dem geprüften Zwischenabschluss das Vorliegen einer Überschuldung, trifft den VR die Pflicht, diese dem Gericht durch Deponieren der Bilanz anzuzeigen (Überschuldungsanzeige).
Aussergerichtliche Sanierung und Rangrücktritte
Die Überschuldungsanzeige kann nur dann unterbleiben, wenn Rangrücktritte im Umfang der Überschuldung vorliegen oder bei begründeter Aussicht die Überschuldung spätestens nach 90 Tagen zu beheben.
Die 90-tägige Frist für die aussergerichtliche Sanierung beginnt mit dem Vorliegen der geprüften Zwischenabschlüsse zu laufen. Es könnte daher die Versuchung bestehen, die Frist künstlich zu verlängern, indem die Erstellung der Jahresrechnung hinausgezögert wird oder im Falle des Fehlens einer Revisionsstelle die Suche nach einem zugelassenen Revisor verzögert wird. Es ist jedoch zu beachten, dass ein solches Verhalten als Verletzung der Pflicht zum Handeln «mit der gebotenen Eile» qualifiziert werden könnte.
Im Zusammenhang mit Rangrücktritten muss seit Inkrafttreten des neuen Sanierungsrechts der Einbezug der Zinsen in die entsprechenden Rangrücktritte sichergestellt werden; andernfalls würde der Rangrücktritt als nicht ausreichend betrachtet. In diesem Zusammenhang stellt sich insbesondere die Frage, wie «alte» Rangrücktritte zu behandeln sind, die den neuen Anforderungen nicht genügen, also die Zinsen nicht mit umfassen. Gemäss den Übergangsbestimmungen müssen bestehende Verträge innerhalb von zwei Jahren (also bis 31. Dezember 2024) an das neue Recht angepasst werden. Die Anwendbarkeit dieser Übergangsbestimmung auf Rangrücktrittsvereinbarungen ist rechtlich allerdings umstritten, weshalb der VR mit dem entsprechenden Gläubiger in jedem Fall einen Nachtrag zum Rangrücktritt vereinbaren sollte, um Rechtssicherheit zu schaffen. Mit Blick auf die rechtlichen Unsicherheiten sollte diesem Umstand so schnell wie möglich Sorge getragen werden, allerspätestens bis am 31. Dezember 2024.
Gemäss herrschender Lehre befreit ein Rangrücktritt nicht vom Ergreifen weiterer Sanierungsmassnahmen, da Rangrücktritten keine sanierende Wirkung zugesprochen wird. Ein Rangrücktritt mit dem einzigen Ziel, eine Überschuldungsanzeige zu verzögern und eine Gesellschaft künstlich am Leben zu erhalten, entbindet den VR dementsprechend nicht von der Pflicht, dem Gericht die Überschuldung anzuzeigen. Solche institutionalisierte Rangrücktritte (ohne Ergreifen weiterer Sanierungsmassnahmen) können als rechtsmissbräuchlich eingestuft werden, weshalb in solchen Fällen die Revisionsstelle allenfalls selbst das Gericht zu benachrichtigen hat.
Fazit
Grundsätzlich ist der VR verpflichtet, die Zahlungsfähigkeit jederzeit kontinuierlich zu überwachen. Bei drohender Zahlungsunfähigkeit sind geeignete Massnahmen mit gebotener Eile zu ergreifen. Werden Rangrücktritte vereinbart, müssen diese gewissen Anforderungen gerecht werden. Insbesondere müssen Zinsen vom Rangrücktritt erfasst sein und bei «alten» Rangrücktritten sollte ein Nachtrag zur Erfassung der Zinsen abgeschlossen werden, um Unklarheiten und (Haftungsrisiken) zu minimieren.