Kanton Genf: Einbruch des Immobilieninvestitionsvolumens im 1. Halbjahr 2023
In den ersten sechs Monaten des Jahres 2023 setzte der Markt für direkte Immobilieninvestitionen im Kanton Genf die deutliche Verlangsamung fort, welche im zweiten Halbjahr 2022 begonnen hatte.
Insgesamt wurden in diesem Halbjahr nur CHF 1.1 Milliarden* investiert. Damit ist das Marktvolumen im Vergleich zum zweiten Halbjahr 2022 um 24% und im Vergleich zum ersten Halbjahr 2022 um 53% geschrumpft. Fast 62% der Investitionen des ersten Halbjahres 2023 wurden in den ersten drei Monaten des Jahres getätigt.
* Transaktionen mit einem Volumen von mehr als CHF 5 Mio. (ohne Share Deals), Stand 10/07/2023.
Die Covid-19-Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben die Weltwirtschaft destabilisiert und zu einem starken Anstieg der Rohstoff- und Energiepreise sowie der Konsumgüter geführt. In diesem inflationären Umfeld erhöhten die Zentralbanken die Leitzinsen, um unter anderem das Wachstum zu verlangsamen und eine Lohn-Preis-Spirale zu verhindern. Dadurch stiegen die Anleihezinsen, woraufhin die Anleger ihre Strategien entsprechend anpassten.
Die Abschwächung im Markt für Anlageimmobilien steht in direktem Zusammenhang mit diesen raschen Leitzinserhöhungen (+200 Bps für den Leitzins der Schweizerischen Nationalbank seit dem 22.09.2022). Entsprechend sind die Renditeforderungen der Investoren gestiegen. Auf der verkaufswilligen Eigentümerseite haben sich die Renditeansprüche der Käufer noch nicht in den Preiserwartungen niedergeschlagen.
Dies hat zu einer Abkühlung des Transaktionsmarktes geführt. Darüber hinaus wurden mit dem allgemeinen Zinsanstieg die Allokationsstrategien der Anleger, welche in mehrere Assetklassen investiert sind, zu Ungunsten von Immobilien geändert, da alternative Anlagen wie Staatsanleihen oder Unternehmensanleihen mit höherer Verzinsung und Liquidität an Attraktivität gewonnen haben. Dadurch steht weniger Kapital bereit, das in den Immobilienanlagemarkt investiert werden kann.
Entwicklung der Nettorendite und Entwicklung des Spreads zwischen der Nettorendite für Wohnimmobilien und dem Zinssatz für 10-jährige Bundesobligationen*
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Quelle : KPMG, SNB
*Die Rendite der Bundesanleihen entspricht dem Durchschnitt, welcher im Dezember des Vorjahres beobachtet wurde, Stand 01.07.2023.
Die Investoren nutzen die aktuelle Phase, um ihre Portfoliostrategien neu auszurichten, die Mieterträge zu steigern und die Nachhaltigkeitsmassnahmen vor dem Hintergrund der Netto-Null-Emissionsziele umzusetzen.
Anfang Juli 2023 lagen die Nettorenditen in Genf für Wohnimmobilien im Bereich von 2,25% bis 2,75% und für Büroimmobilien zwischen 2,85% und 3,35%, was einem Anstieg von ca. 10 Bps über die ersten sechs Monate des Jahres entspricht. Der Spread zu den Anleiherenditen ist für Wohnimmobilien mit unter 150 Bps historisch tief.
Welche Marktentwicklungen sind zu erwarten?
Auch wenn weitere Zinserhöhungen der Schweizerischen Nationalbank zu erwarten sind, dürfte sich die Phase der geldpolitischen Normalisierung bis zum Jahresende ihrem Ende nähern. Für die Anleger stellt sich nun die Frage, ob sich die Zinsen dauerhaft auf einem höheren Niveau einpendeln oder sich nach und nach wieder zurückbilden werden. Mit anderen Worten: Ist der Anstieg der Renditeansprüche an Immobilienanlagen nur vorübergehend oder bilden diese den Beginn eines neuen Immobilienzyklus?
Um diese Frage zu beantworten, sollten wir einen Blick auf die Kurve der Anleihezinsen werfen. Während es üblich ist, dass die Zinsen mit zunehmender Laufzeit ansteigen, befinden wir uns derzeit in einer Phase, in der die Kurve invertiert ist. Das bedeutet, dass die kurzfristigen Zinssätze höher sind als die langfristigen.
Während es keinen Zweifel gibt, dass sich die Zinskurve mittelfristig normalisieren wird, liegt die Unsicherheit im Ursprung der Inversion. Wenn sich die Inflation als dauerhaft erweist, kann dies zu einem Anstieg der langfristigen Inflationserwartungen und möglicherweise zu einem Anstieg der langfristigen Zinssätze führen. Dies würde in einem Anstieg der Immobilienrenditen resultieren. Umgekehrt dürfte eine Rückkehr der Inflation auf ein niedrigeres Niveau einen Rückgang der kurzfristigen Zinsen und möglicherweise eine Stabilisierung oder sogar eine Reduktion der langfristigen Zinsen zur Folge haben.
Angesichts dieser Unsicherheit sollten die Anleger kurzfristig bei ihren Akquisitionen weiterhin selektiv vorgehen und bei der Preisfindung einen vorsichtigen Ansatz verfolgen. Kommt hinzu, dass der Immobilienanteil in Assetklassen-übergreifenden Portfolios aufgrund von Wertverschiebungen tendenziell zugenommen hat. Diese Entwicklung hat zusammen mit dem zunehmenden Angebot an Anlagealternativen die Attraktivität von Immobilien für einige Investoren und insbesondere für viele Pensionskassen verringert. Angesichts dessen dürfte das Investitionsvolumen auch in der zweiten Jahreshälfte 2023 relativ gering ausfallen.
In den nächsten sechs Monaten dürften die Spitzenrenditen für Wohnimmobilien wahrscheinlich nur um einige Basispunkte anziehen, weil das Wohnsegment besonders robuste Fundamentaldaten aufweist: starke Mietnachfrage, geringe Leerstandsquote und strukturelles Wachstum der Genfer Bevölkerung.
Im Bürosegment könnten die Renditen deutlicher steigen. Da der Trend zum Homeoffice nicht zu einem drastischen Anstieg des Angebots an Büroflächen geführt hat, sind die Investoren in dieser Anlageklasse vorsichtiger. Im Retailsegment schränkt das anhaltende Wachstum des Online-Handels die Attraktivität von Einzelhandelsobjekten (ohne Wohngebäude mit Ladenflächen im Erdgeschoss) in den Augen eines Grossteils der Anleger weiterhin ein.
Angesichts des allmählichen Anstiegs der Renditen wird die Fähigkeit der Eigentümer, die Cashflows aus Immobilien durch künftige Erhöhungen des Hypothekarzinssatzes und via Indexklauseln langfristig zu steigern, von zentraler Bedeutung sein. Andernfalls können die Immobilienpreise und -Werte, die in den letzten Jahren durch eine expansive Geldpolitik gestützt wurden, kaum aufrechterhalten werden. Bei Gebäuden, die erhebliche energetische Nachbesserungen erfordern, ist es nicht sicher, ob das zusätzlich benötigte Investitionskapital auf die Mieten umgelegt werden kann, was die Attraktivität und den Preis dieser vernachlässigten Immobilienanlagen stark reduzieren könnte.