• Martin Rohrbach, Partner |

Das neue Heilmittelgesetz wurde zwar bereits vor 2 Jahren verabschiedet, in Kraft tritt es jedoch vermutlich erst am 1. Januar 2019, nach Abschluss des umfangreichen Vernehmlassungsverfahrens. Ziel und Zweck des Gesetzes ist die Regelung der Zulassung und des Vertriebs von Arzneien. Ein komplexes Unterfangen in einer schon heute stark regulierten Industrie. Kann das Gesetz den hohen Ansprüchen gerecht werden?

Insgesamt handelt es sich bei der Revision des Heilmittelgesetzes (HMG) um ein sehr komplexes Anpassungsprojekt. Derzeit wird mit einer Einführung auf den 1. Januar 2019 gerechnet. Die Überarbeitung des HMG hat drei Ziele:

  • Erleichterung des Marktzutritts
  • Verbesserung der Arzneimittelsicherheit
  • Erhöhung der Transparenz.

Ein in der Pharmaindustrie wichtiges Argument – die Förderung der Standortatraktivität – sucht man in der Zielsetzung vergebens. Dabei ist die Berücksichtigung der wirtschaftspolitischen Wettbewerbsfähigkeit bei jeder neuen oder veränderten Gesetzgebung mit wirtschatlichem Hintergrund ein wesentlicher Aspekt.

Beim Gesetz und Ordnungstext handelt es sich um sehr trockene Materie. Jedoch ist die Wichtigkeit für den Standort Schweiz sehr hoch. Entsprechend lohn sich ein Blick über die Grenze: Wie steht das Gesetz im internationalen Vergleich da?

Öffnung versus Strukturerhaltung

Die Überarbeitung der Gesetzgebung ist anspruchsvoll: Die Dynamik des technischen Fortschritts in der Entwicklung von neuen Präparaten und Arzneien gekoppelt mit immer komplexeren Therapieansätzen sowie die Bedeutung der Pharmaindustrie für den wirtschaftsstandort Schweiz erfordern einen weitsichtigen, wenn nicht schon fast visionären Ansatz. Das HMG sollte die Zulassung von neuartigen Heilmittel in der Schweiz, zu denen in Zukunft etliche neue Therapieansätze, medizinische Geräte, Smartphones, uvm. gehören, gegenüber dem Ausland nicht schlechterstellen. Des Weiteren soll es einen Unterlagenschutz gewährleisten, der im internationalen Vergleich kompetitiv ist, sowie Veränderungen im Gesundheitswesen und bei den Vertriebsstrukturen von Heilmitteln nicht unnötigerweise behindern oder einschränken.

Es ist offenkundig, dass in einem Gesetzgebungsverfahren eine der Herkulesarbeiten darin besteht, einen Text zu verfassen, der den meisten Interessen gerecht wird. Insofern dürfte der in der Schweiz übliche Gesetzgebungsprozess sicherstellen, dass zumindest die heutigen Interessen angehört und berücksichtigt werden. So wünscht sich beispielsweise der Apotheker möglichst ein breites, durch ihn frei abzugebendes Spektrum an Medikamenten. Die Ärtzeschaft und die Spitäler haben ebenfalls ein Interesse daran, der Kundschaft, möglichst viele verschreibungspflichtige Medikamente abzugeben. Die Pharmaindustrie ist wiederum daran interesisert, dass der Unterlagenschutz bei Innovationen möglichst lange gewährt bleibt. Neue Akteure, wie neue Online-Versandapotheken und Detailhändler, haben ein Interesse daran in den Arzneimittelmarkt einzutreten.

Eine kurze Analyse bezüglich der Zulassungsverfahren, des Unterlagenschutzes und der Vertriebsstrukturen lässt eine Einschätzung der internationeln Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz zu:

  • Zulassungsverfahren: Die Zulassungsverfahren sind in der EU weitestgehend harmonisiert. Im Rahmen des Brexit könnte es hier zu grossen Veränderungen kommen, da die meisten Zulassungsanträge in Europa über die britische Arzneimittelbehörte (Medicines and Healthcare products Regulatory Agency (MHRA)) als Referenzstaat eingereicht werden. In der Schweiz stellen sich für Swissmedic diesbezüglich Fragen der Annerkennung und der künftigen Zusammenarbeit.
  • Unterlagenschutz: Der Verordnungsetwurf sieht in Sachen Unterlagenschutz nicht nur Verbesserungen vor. So wird einem Anreizsystem zur Entwicklung von Arzneimitteln für seltene Krankheiten keine Exklusivität gewährt. Des Weiteren wird kein genügend langer Unterlagenschutz von generell 10 Jahren gewährt. Diese längere Schutzdauer ist nur auf Gesuch hin vorgesehen. Es stellt sich entsprechend die Frage, ob so Innovationen genügend gefördert werden.
  • Vertriebsstruktur: Gemäss dem Branchenverband Interpharma/Quintiles IMS Schweiz wurden in den letzten 10 Jahren in den etablierten Vertriebskanälen (Apotheken, Ärzte und Spitäler) kontinuierlich mehr Medikamente verkauft. Ende 2016 liefen wertmässig 51% der Umsätze über Apotheken. Dabei kommt Online-Versandhandel eine immer grössere Bedeutung zu.Im internationalen Vergleich ist dies keine Überraschung, wächst doch der Online-Konsum in den letzten Jahren kontinuierlich. Es gibt wenig Gründe, wieso das zunehmende Bedürfnis der 24-Stunden-Gesellschaft beim Konsum von Arzneimittel halt machen sollte. Es mutet auch wenig visionär an, wenn beim Online-Versandhandel für nicht verschreibungspflichte Medikamente strengere Auflagen gemacht werden als im stationären Handel. Fast störend wirkt, wenn der stationäre Handel selbst im Versandgeschäft mitwirkt, sich dann aber nicht an die Regeln hält. Bei der Preissetzung für verschreibungspflichtige wie auch nicht-verschreibungspflichtige Medikamente wird mittlerweile mit harten Bandagen gekämpft. So wurde in Deutschland die Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente als europarechtswidrig erklärt. Der Vergleich von Vertriebsstrukturen ist grundsätzlich schwierig, da diese wesentlich vom Vergügungssystem und von der Organisation des Gesundheitswesens abhängig sind.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es kaum eine Frage der heutigen Gesetzgebung sein wird, die darüber entscheidet, welche Vertriebskanäle sich durchsetzen werden. Die zunehmende Digitalisierung und Sicherheit der Plattformen werden zweifelsohne dazu führen, dass der Patient in Zukunft nach seinem Arztbesuch nach Hause geht und die verschriebenen Medikamente dann zugesandt bekommt. Es gehört zur digitalen Gesellschaft, dass dabei das bestehende System sich anpassen muss, um nicht obsolet zu werden. Der heute geltende Schutz könnte bald Geschichte sein. In Estland beispielsweise besteht seit längerer Zeit ein auf Blockchain basiertes E-Government-Informationssystem. Der Bürger hat einen Gesundheitspass, und über diesen werden z.B. Rezepte vom Arzt zur Krankenversicherung in einem unveränderbaren Datensatz digital transferiert. Für den Patienten und das Gesundheitssystem spielt es keine Rolle mehr, wer die Medikamente liefert.

Was bleibt zu tun?

Der neue Gesetzestext ist aktuell und vermag der momentanen Interessenlage in der Schweiz Rechnung tragen. Schade ist jedoch, dass den neuen Technologien noch viel zu wenig vertraut wird. Der Gesetzgeber wir diesen Aspekt noch viel stärker mitberücksichtigen müssen.

Der Vertrieb von Medikamenten wird auch in Zukunft kontrolliert werden müssen. Neue Technologien (v.a. Blockchain) erlauben jedoch sichere Vertriebskanäle. Eine einwandfreie Rückverfolgbarkeit ermöglicht in Zukunft eine einfachere Zugänglichkeit zu Medikamenten – seien diese verschreibungspflichtig oder nicht. Eine Chance für den Gesetzgeber in Zukunft visionärer zu sein!

Es geht bei der HMG-Revision aber nicht nur um den Vertrieb von Medikamenten sondern zuletzt auch um den Forschungsstandort- und Gesundheitsmarkt Schweiz. Aus dieser Perspektive bleibt viel zu tun, insbesondere, da die Gesundheitskosten weiter steigen.

Die neue Gesetzgebung berücksichtigt zwar die Entwicklung im Online-Detailhandel und umfasst spezifische Regelungen für den Versandhandel mit Arzneimitteln. Es fehlt jedoch eine umfassendere Definition in der Abgabediskussion, die unabhängig vom Kanal anwendbar ist. Den noch ist unklar, in welcher Form und über welche Kanäle nicht-zulassungspflichtige Arzneimittel in 10 Jahren vertrieben werden. Vielleicht liefert sie uns Amazon, vielleicht bekommen wir sie am Arbeitsplatz oder direkt von der Pharmafirma, die das Produkt herstellt? Viele Varianten sind denkbar. Was sich durchsetzen wird, können wir nur erahnen. Mit Sicherheit wird es zu signifikanten Veränderungen kommen. Die entscheidende Frage scheint auch weniger zu sein, über welchen Weg wir die Heilmittel beziehen, als vielmehr, zu welchen Kosten welche Art von Medikamenten vertrieben werden.

Längerfristig ist die Heilmittelgesetzgebung nur ein kleiner Teil, wenn auch wichtiger, im gesamten Gesundheitssystem. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, braucht es vereinfachte Verfahren, weniger Administration und einen mit Argusaugen behüteten Forschungsplatz Schweiz.

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