BFG: KEINE Wiederaufnahme bei verfahrensübergreifender Tatsachenkenntnis

Tax News 11-12/2022

Verfahrensrecht

Kletterer

Für die amtswegige Wiederaufnahme von Verfahren bedarf es neuhervorgekommener Tatsachen. Entscheidend ist der historische Kenntnisstand der Behörde aufgrund der jeweiligen Jahreserklärung und deren Beilagen. Unter gewissen Umständen können aber auch in Vorjahren dem Finanzamt offengelegte Tatsachen einer amtswegigen Wiederaufnahme entgegenstehen (BFG 28.06.2022, RV/7101157/2011).

1. Sachverhalt: Wiederaufnahme trotz umfänglicher Offenlegung

  • 02/2004: Einlage von Anteilen als Sonderbetriebsvermögen in eine KG.
  • 12/2004: Einbringung der KG-Anteile samt Sonderbetriebsvermögen in eine GmbH (Stichtag: 31.03.2004).
  • 12/2004: Anzeige der Einbringung gegenüber dem GmbH-Finanzamt (inkl Einbringungsvertrag, Einbringungsbilanz, KG-Bilanz...).
  • 2007/2008: GmbH-Finanzamt setzt KöSt 2006 und 2007 erklärungsgemäß fest.
  • Betriebsprüfung bei GmbH
  • 2010:
    • GmbH-Finanzamt: Wiederaufnahme KöSt 2006 und 2007
    • Begründung: Einlage der Anteile in KG = neu hervorgekommene Tatsache

2. BFG: Verfahrensübergreifende Kenntnis und Aktenstand entscheidend

Nach § 303 BAO kann ein Verfahren von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen. Entscheidend für das „Neuhervorkommen“ ist nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH der Wissensstand des jeweiligen Veranlagungsjahres: Dieser ergibt sich insb aus den Abgabenerklärungen dieses Veranlagungsjahres und deren Beilagen (zB VwGH 13.11.2019, Ra 2019/13/0102).

Das BFG (Salzburg) kam bereits in seiner Entscheidung vom 29.03.2017, RV/6100881/2014, zu dem Ergebnis, dass zu Vorjahren offengelegte Tatsachen unter bestimmten Umständen einer amtswegigen Wiederaufnahme entgegenstehen können.

Diese bisweilen einmalige Entscheidung bestätigt nunmehr das BFG (Wien): Die in ihrer Auswirkung fortwirkende Einbringungsanzeige vom Dezember 2004 war unzweifelhaft für die Folgejahre von Relevanz. Durch die Ablage im Körperschaftsteuerakt der Beschwerdeführerin können diese Unterlagen in den Folgejahren (2006/2007) nicht unberücksichtigt bleiben oder gar negiert werden. Neuhervorgekommene Tatsachen sind daher für das BFG nicht erkennbar.

3. Ergebnis: Verfahrensübergreifende Tatsachenkenntnis steht Wiederaufnahme entgegen, aber zur Risikovermeidung im Zweifel umfassende (jährliche) Offenlegung

Das BFG bestätigt mit der vorliegenden Entscheidung zur Unzulässigkeit einer Wiederaufnahme von Amts wegen die Relevanz des Aktenstandes auch in Hinblick auf Folgejahre und bejaht die Möglichkeit einer „verfahrensübergreifenden“ Tatsachenkenntnis. Da eine höchstgerichtliche Bestätigung dieser Rechtsprechungslinie des BFG bisweilen noch nicht erfolgt ist, ist Vorsicht dennoch geboten!

In der Praxis schützt eine umfassende jährliche Offenlegung der relevanten Informationen bzw Unterlagen effektiv vor einer amtswegigen Wiederaufnahme. Verweise(ketten) auf separate amtsbekannte Eingaben oder auch Eingaben aus Vorjahren sollten jedoch ebenso die umfängliche Offenlegung des Sachverhaltes gewährleisten können. Siehe hiezu auch: Tax News 07-09/2022.

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