Die neue Zollpolitik der US-Regierung markiert einen Wendepunkt in der globalen Wirtschaft. Sie betrifft alle Marktteilnehmer und verlangt auch von den deutschen TMT-Branchen (Technologie, Medien und Telekommunikation) eine Neuorientierung. Dabei sind es weniger die direkten Zollbelastungen, sondern vielmehr die umfassenden Auswirkungen der neuen Handelspolitik, die die Spielregeln für Firmen aus Deutschland grundlegend verändern.
Zur aktuellen Lage: Was sind die Auswirkungen auf die deutsche TMT-Branche?
Zum 9. April 2025 wollte die US-Regierung Strafzölle von 20 Prozent auf nahezu alle EU-Importe verhängen. Am gleichen Tag wurde dann ein Aufschub der Erhöhungen um 90 Tage verkündet. Es ist allerdings wahrscheinlich, dass der Zollkonflikt nur aufgeschoben und nicht aufgehoben ist. Für Unternehmen besteht somit bis auf weiteres keine Planbarkeit.
Zollerhöhungen hätten für deutsche Schlüsselindustrien wie die Automobilbranche harte Folgen. Aber auch die Tech-Branche wäre betroffen: Kommunikationstechnologien, Hardware-Komponenten und Hightech-Geräte werden teurer und damit weniger wettbewerbsfähig auf dem US-Markt.
Auch digitale Dienstleistungen und Software geraten zunehmend in den Fokus transatlantischer Spannungen. Zwar gelten die Zölle in der Regel nur für physische Waren – Software, die durch digitale Verteilung (z.B. Downloads oder SaaS-Angebote) verkauft wird, ist daher nicht direkt von US-Zöllen betroffen. Dennoch sind indirekte Auswirkungen möglich: etwa, wenn ein Unternehmen Software-Updates aus den USA bezieht, oder wenn es auf amerikanische Cloud-Dienste angewiesen ist. Zudem könnten Handelsbeschränkungen oder hohe Zölle auf bestimmte Hardware auch die Infrastruktur verteuern, die zur Bereitstellung von Software benötigt wird.
Katja Modder
Partnerin, Head of Technology, Media & Telecommunications (TMT)
KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Regulatorische Komplexität nimmt zu
Digitale Dienste wie etwa Software-as-a-Service (SaaS), Cloud-Dienste oder Plattformen für Content und E-Commerce unterliegen ebenfalls keinen Zöllen. Ihre Bereitstellung wird vielmehr durch regulatorische Bestimmungen beeinflusst. Aber auch hier gibt es indirekte Folgen: Wenn US-Unternehmen die Infrastruktur für digitale Dienste bereitstellen, könnten Änderungen in der US-Wirtschaftspolitik die Kosten oder die Verfügbarkeit dieser Dienste für deutsche Unternehmen erhöhen.
Zudem sind beispielsweise der Digital Markets Act (DMA) und der Digital Services Act (DSA) von den USA als protektionistische Handelshemmnisse kritisiert worden. Geplante Digitalsteuern auf US-Tech-Konzerne und Diskussionen um Datenlokalisierung verschärfen die regulatorische Komplexität weiter. Für deutsche Unternehmen bedeutet das: mehr Unsicherheit und steigenden Infrastruktur- und Compliance-Kosten.
Welche Herausforderungen und Chancen ergeben sich durch die US-Zollpolitik?
Einer Bitkom-Umfrage zufolge erwartet ein Großteil der deutschen Digitalunternehmen massive Belastungen durch die neue Zollpolitik der USA. Start-ups erwägen, ihr Geschäft in den USA auszubauen oder dorthin zu verlagern – nicht zuletzt, weil rund die Hälfte der europäischen Start-ups mit US-Kapital finanziert wird. Europäische Halbleiterproduzenten, für die die USA ein wichtiger Absatzmarkt sind, könnten ihre Fertigung in die Vereinigten Staaten verlegen.
Für Unternehmen, die in Deutschland verbleiben, wird es zunehmend wichtig mit Volatilität und unkalkulierbaren Risiken umzugehen. Zölle und Abgaben stellen einen zusätzlichen Kostenfaktor dar. Hinzu kommen Compliance-Kosten für Anpassungen an mögliche regulatorische Veränderungen sowie Kosten für Umstrukturierungsmaßnahmen. Auch kann es kurzfristig zu Lieferengpässen oder zu Markzugangsbeschränkungen kommen.
Die globalen Turbulenzen erfordern eine größere digitale Souveränität Europas: Die selbstbestimmte Nutzung und Herstellung digitaler Technologien ist unerlässlich, um Abhängigkeiten zu reduzieren und den Handlungsspielraum europäischer Unternehmen zu erweitern. Dies würde zahlreiche Chancen mit sich bringen. Projekte wie GAIA-X und der European Chips Act fördern die Nachfrage nach heimischen Lösungen in Bereichen wie Rechenzentren und Cloud-Computing, KI-Plattformen und IT-Sicherheit.
Die europäische Rechenzentrumsbranche könnte in mehrfacher Hinsicht von der aktuellen Wirtschafts- und Zollpolitik der USA profitieren. Für international tätige Unternehmen gewinnen europäische Rechenzentren zunehmend an Attraktivität – insbesondere, wenn sie ihre Abhängigkeit von US-Infrastrukturen verringern möchten. Länder wie Deutschland oder die Niederlande punkten mit politischer Stabilität und hohen Datenschutzstandards. Darüber hinaus kann sich Europa als nachhaltiger Standort profilieren – mit Fokus auf Energieeffizienz, erneuerbare Energien und CO₂-neutrale Rechenzentren. Ein weiterer Treiber: Zölle auf US-Importe könnten die Hardwarepreise steigen lassen. Das schafft Anreize, IT-Hardware in Europa zu produzieren und bestehende Produktionsstätten auszubauen. Die neue Bundesregierung hat diese Chance erkannt. Laut Koalitionsvertrag soll Deutschland als Rechenzentrumsstandort zum „Leuchtturm Europas“ werden. Das heißt: Sowohl große Rechenzentren-Cluster als auch regionale Standorte sollen politisch unterstützt werden.
Die protektionistische Wirtschaftspolitik der USA führt zu globalen Spannungen und Unsicherheiten. Die europäische IT- und Rechenzentrumsbranche hat die Chance, sich als verlässliche, neutrale und nachhaltige Alternative zu US-Infrastrukturen zu positionieren. Unternehmen, die jetzt gezielt investieren und eigene IT-Infrastrukturen stärken, können langfristig profitieren und eine führende Rolle in einem stärker europäisch geprägten Marktumfeld einnehmen.
Risiken
- Steigende Kosten: Durch erhöhte Zölle und Handelsbarrieren können die Produktionskosten für Unternehmen steigen, insbesondere wenn sie US-Komponenten oder -Technologien beziehen. Auch die Infrastruktur- und Compliance-Kosten dürften steigen.
- Lieferkettenstörungen: Handelsbeschränkungen und Zölle können zu Störungen in den Lieferketten führen, was zu Verzögerungen bei der Produktion und Lieferung von Hardware führen kann.
- Eingeschränkter Zugang zu US-Technologien: Restriktive Handelsregeln könnten dazu führen, dass deutsche Unternehmen schwerer Zugang zu wichtigen US-Technologien und -Plattformen haben.
- Wettbewerbsdruck und Abhängigkeit: Deutsche und europäische Unternehmen sind massiv abhängig von den Produkten und Dienstleistungen der marktbeherrschenden Tech-Konzerne aus den USA. Deren Marktmacht wird durch die aktuelle US-Politik gestärkt.
Chancen
- Steigende Nachfrage nach europäischen IT-Lösungen: Die zunehmende Unsicherheit sowie der Fokus auf Datenschutz und Cybersecurity könnten eine Nachfrage nach europäischen IT-Produkten und digitalen Diensten fördern.
- Neue Partnerschaften und Kooperationen: Eine Entkopplung von US-Diensten könnte zu neuen Partnerschaften zwischen deutschen und europäischen und/oder asiatischen Tech-Unternehmen führen.
- Diversifizierung der Lieferketten und Absatzmärkte: Deutsche Unternehmen können ihre Lieferketten diversifizieren und neue Märkte erschließen.
- Stärkung der europäischen Produktion: Die geopolitischen Spannungen könnten den Trend hin zur Regionalisierung von Produktionsstätten und Lieferketten verstärken. Deutsche Unternehmen könnten von diesem Trend profitieren, indem sie als europäische Hersteller von IT-Lösungen auf den Markt drängen.
Welche Auswirkungen hat die neue US-Politik auf Datenschutz und KI?
Das EU-US Data Privacy Framework (DPF) bietet derzeit eine rechtliche Grundlage für die Datenübermittlung zwischen der EU und den USA. Allerdings sind die aktuellen politischen Entwicklungen, insbesondere die Möglichkeit eines Widerrufs des DPF durch die neue US-Regierung, ein erhebliches Risiko für Unternehmen.
Das DPF ist ein Datenschutzabkommen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten, das am 10. Juli 2023 in Kraft getreten ist. Es ermöglicht Unternehmen, personenbezogene Daten aus der EU in die USA zu übermitteln, ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen wie Standardvertragsklauseln (SCC) ergreifen zu müssen. EU-Bürger erhalten zudem Rechte gegenüber US-Firmen, wie beispielsweise die Möglichkeit, Daten zu korrigieren oder zu löschen.
Die neue US-Regierung hat jedoch eine Verfügung erlassen, die besagt, dass jede Entscheidung der Vorgängerregierung zur nationalen Sicherheit innerhalb von 45 Tagen geprüft und widerrufen werden kann. Zur nationalen Sicherheit zählt auch der EU-US-Datentransfer.
Das schafft Unsicherheit für Unternehmen, die auf stabile und langfristige Datenschutzregelungen angewiesen sind. Sollte das DPF aufgrund politischer Entscheidungen gekippt werden, müssten europäische Unternehmen erneut individuelle Prüfungen und zusätzliche Schutzmaßnahmen für Datenübermittlungen in die USA durchführen, was mit erheblichem Aufwand und zusätzlichen Kosten verbunden wäre.
Die Regulierung von künstlicher Intelligenz (KI) unterscheidet sich deutlich zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten. Während die EU bei der Regulierung großen Wert auf Sicherheit, Transparenz und den Schutz der Grundrechte legt, verfolgen die USA einen stärker innovationsorientierten Ansatz mit Schwerpunkt auf Selbstregulierung. Diese unterschiedlichen Herangehensweisen werden durch die aktuelle US-Wirtschaftspolitik zusätzlich verstärkt.
Die EU setzt auf ein risikobasiertes Regulierungskonzept, das im sogenannten EU AI Act verankert ist. In den USA hingegen steht die Förderung technologischer Entwicklung im Vordergrund. Die US-Regierung spricht sich gegen übermäßige Regulierung aus, um Innovationen nicht zu behindern. Sie betont, dass KI-Systeme ideologiefrei gestaltet sein und die Meinungsfreiheit nicht einschränken sollten. Ergänzt wird der liberale US-Ansatz durch wirtschaftspolitische Maßnahmen: Programme wie der Inflation Reduction Act und der CHIPS and Science Act bieten finanzielle Anreize durch Subventionen und Steuervorteile für Investitionen in KI und Halbleitertechnologien. Diese Kombination aus zurückhaltender Regulierung und gezielter Förderung stärkt die Wettbewerbsfähigkeit der USA im Bereich KI. Hinzu kommt, dass die großen Tech-Konzerne und Hyperscaler aus den USA ihre KI-Lösungen relativ einfach in ihre Plattformen und Systeme integrieren und weltweit ausrollen können.
Europa kann auf diese Entwicklungen kurzfristig mit höheren Steuern auf digitale Dienste reagieren oder Verstöße gegen ihre Gesetze wie den Digital Services Act, den Digital Markets Act und den AI Act konsequenter ahnden. Die jüngsten Bußgelder in dreistelliger Millionenhöhe gegen Apple und Meta sind dafür ein Beispiel. Als Reaktion darauf wiederum könnten die US-Firmen ihre IT-Produkte und Digitalangebote in Europa verteuern. Mittel- und langfristig führt daher auch auf dem Gebiet der KI nur eine stärkere digitale Souveränität Europa aus der Abhängigkeit.
Handlungsempfehlungen für Unternehmen
Angesichts der Tatsache, dass 29 Prozent der deutschen TMT-Unternehmen digitale Technologien ins Ausland exportieren und die USA nach der EU ihr wichtigster Handelspartner sind, ist eine strategische Neuausrichtung der Märkte dringend geboten.[1] Für deutsche TMT-Unternehmen sollte die aktuelle Situation darum ein Weckruf darstellen: Sie müssen sich stärker diversifizieren und unabhängiger von den USA machen. Für ihre Neuausrichtung sollten sie folgende Maßnahmen mit drei unterschiedlichen Zeithorizonten in Betracht ziehen:
- Kurzfristig – Aktives Cashflow-Management und Aufbau strategischer Reserven: Ein gezielter Fokus auf den Cashflow und die Bildung finanzieller Reserven sind entscheidend, um flexibel auf politische Entwicklungen reagieren und notwendige Investitionen tätigen zu können.
- Mittelfristig – Diversifizierung der Märkte und Lieferketten: Unternehmen sollten neue Absatzmärkte erschließen. Zugleich gilt es, Lieferketten flexibler zu gestalten, beispielsweise durch Diversifizierung der Vorprodukte oder durch lokale Produktion in strategischen Märkten wie den USA, um Zölle zu umgehen.
- Langfristig – Gezielte Investitionen in Innovation und Wachstumsfelder: Deutsche TMT-Unternehmen sollten in ihre Innovationsfähigkeit und Technologiekompetenz investieren, um innovative Produkte zu entwickeln und technologische Vorsprünge zu erzielen. Schwerpunkte sollten dabei auf Zukunftstechnologien wie Cloud-Computing, Cybersecurity und KI liegen.
Mit solchen Investitionen in Schlüsselbereiche und Zukunftstechnologien können deutsche und europäische TMT-Unternehmen die aktuelle Krise als Chancen nutzen, um ihre Rolle im internationalen Wettbewerb zu stärken.
Diese Maßnahmen sollten vonseiten der europäischen Regierungsbehörden mit begleitenden Weichenstellungen und Fördermaßnahmen unterstützt werden. Zunächst mit einer klugen Zoll- und Steuerpolitik zur Verteidigung europäischer Interessen im drohenden Handelskrieg. Langfristig aber gilt es, Europa im Rahmen der globalen Neuordnung zu einer neuen Stärke zu führen, um die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Tech-Konzernen aus den USA durch eigene Infrastrukturen und digitale Lösungen sicherzustellen. Die US-Zollpolitik ist ein weiterer Weckruf für die digitale Souveränität Europas.
[1] https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Bitkom-zu-US-Zoellen-und-Diskussion-Digitalsteuer
Wie kann KPMG unterstützen
1. Strategische Marktdiversifizierung
Marktanalyse: Identifizierung neuer strategischer Märkte.
Lieferkettenmanagement: Optimierung und Diversifizierung der Lieferketten, um Flexibilität zu erhöhen und Zölle zu umgehen.
4. Regulatory Compliance und Risikomanagement
Compliance-Beratung: Unterstützung bei der Einhaltung neuer regulatorischer Anforderungen.
Risikomanagement: Identifizierung und Management von Risiken im Zusammenhang mit der neuen Zollpolitik
.
2. Cashflow-Management und Finanzberatung
Cashflow-Optimierung: Strategien zur Verbesserung des Cashflows.
Finanzielle Reserven: Beratung beim Aufbau strategischer finanzieller Reserven.
5. Digitale Souveränität und IT-Infrastruktur
IT-Infrastrukturberatung: Entwicklung und Implementierung robuster und sicherer IT-Infrastrukturen.
Cloud-Computing und KI-Plattformen: Beratung und Implementierung sicherer und vertrauenswürdiger Cloud- und KI-Lösungen.
3. Investitionen in Innovation & Technologie
Innovationsmanagement: Entwicklung und Implementierung von Innovationsstrategien.
Technologieberatung: Investitionen in Zukunftstechnologien wie Cloud-Computing, Cybersecurity und KI.