Zurück zur Inhaltsseite

      Regt eine Partei bei der Abgabenbehörde lediglich die Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens an, liegt kein Parteienantrag im Sinne des § 303 Abs. 2 Bundesabgabenordnung (BAO) vor. Ein „Ersuchen“ um amtswegige Wiederaufnahme ist kein formeller Antrag der Partei, sondern bloß eine Anregung, dass das Verfahren von der Behörde selbst wiederaufgenommen wird. Diese Unterscheidung ist vor allem bei Wiederaufnahmeverfahren relevant, die sich auf den Neuerungstatbestand als Wiederaufnahmegrund stützen. Darüber hinaus hat die Unterscheidung für andere Rechtsfolgen wesentliche Bedeutung.


      1. VwGH-Entscheidung

      Der steuerliche Vertreter eines Abgabepflichtigen ersuchte das Finanzamt telefonisch sowie per E-Mail, eine Einmalzahlung gemäß § 8 Abs. 1 Kapitalabfluss-Meldegesetz in einem bereits abgeschlossenen Einkommensteuerverfahren nachträglich zu berücksichtigen. Das Finanzamt nahm das abgeschlossene Einkommensteuerverfahren wieder auf und erließ einen neuen Einkommensteuerbescheid. Ein Jahr später hob das Finanzamt den Wiederaufnahmebescheid mit der Begründung wieder auf, dass zum Zeitpunkt der Wiederaufnahme keine neuen Tatsachen oder Beweise hervorgekommen waren, die eine Wiederaufnahme gerechtfertigt hätten. Der VwGH prüfte, ob die Wiederaufnahme auf Antrag oder von Amts wegen erfolgte.

      Im Ergebnis lag nach dem VwGH ein amtswegiges Wiederaufnahmeverfahren vor. In diesem Fall ist die Frage, ob der Neuerungstatbestand als Wiederaufnahmegrund erfüllt ist, aus der Perspektive der Behörde zu beurteilen. Da dem Finanzamt der Umstand der Einmalzahlung nach § 8 Kapitalabfluss-Meldegesetz bei der Erlassung des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides bekannt gewesen war und keine neuen Tatsachen oder Beweismittel hervorkamen, die die Abgabenbehörde zu einer amtswegigen Wiederaufnahme berechtigt hätten, war die Wiederaufnahme des Verfahrens unzulässig. Der VwGH bestätigte daher die Rechtmäßigkeit der Vorgehensweise des Finanzamts, den Wiederaufnahmebescheid nachträglich wieder aufzuheben.

      2. Überblick: praktische Auswirkungen

      „Anregungen“ zur amtswegigen Wiederaufnahme sind von einem förmlichen „Antrag“ der Partei auf Wiederaufnahme zu unterscheiden.

      „Anregungen“ zur amtswegigen Wiederaufnahme, die sich auf den Neuerungstatbestand als Wiederaufnahmegrund stützen sollen, werden in der Praxis häufig dann geäußert, wenn ein Antrag auf Wiederaufnahme von vornherein als aussichtslos erachtet wird. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn der Antrag auf Wiederaufnahme die Inhaltsvorschriften des § 303 Abs. 2 lit. b BAO mangels aus Parteienperspektive neu hervorgekommener Tatsachen oder Umstände nicht erfüllen kann.

      Mit den Anregungen wird um eine amtswegige Wiederaufnahme ersucht, da bei amtswegigen Wiederaufnahmeverfahren das Vorliegen der Voraussetzungen des Neuerungstatbestands aus der Perspektive der Behörde zu beurteilen ist. In vielen Fällen ist ein Umstand zwar für eine Partei nicht neu hervorgekommen, für die Behörde könnte dies jedoch zutreffen. Man erhofft sich dadurch, trotzdem eine Wiederaufnahme erwirken zu können.

      Im geschilderten Fall kam eine Wiederaufnahme letztlich generell nicht in Betracht, da unabhängig von der jeweiligen Perspektive keine Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen waren.

      Angesichts der unterschiedlichen Rechtsfolgen kommt der Unterscheidung zwischen einem Parteienantrag und einem amtswegigen Verfahren maßgebliche Bedeutung zu. Diese Unterschiede werden hier zusammenfassend skizziert:

      Formeller Antrag gemäß
      § 303 Abs 2 BAO
      Anregung auf amtswegige
      Wiederaufnahme
      Qualifikation des Schriftsatzes als Anbringen im Sinne des § 85 BAO zu qualifizieren (mangels subjektiven Rechts der Partei auf ein amtswegiges Wiederaufnahmeverfahren) kein Anbringen im Sinne des § 85 BAO
      Entscheidungspflicht (aufgrund der Qualifikation als Anbringen im Sinne des § 85 BAO) zu bejahen (mangels Qualifikation als Anbringen im Sinne des § 85 BAO) zu verneinen
      Säumnisbeschwerde (aufgrund der Entscheidungspflicht) möglich (mangels Entscheidungspflicht) nicht möglich
      Einschränkung der Möglichkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens durch Verjährung bzw. fortgeschrittenen Zeitablauf Der Eintritt der Verjährung steht dem Wiederaufnahmeverfahren nicht entgegen, wenn der Antrag vor dem Verjährungszeitpunkt bzw. innerhalb der Frist von drei Jahren nach Bescheiderlassung gestellt wurde. Das amtswegige Wiederaufnahmeverfahren ist nur innerhalb der Verjährungsfrist möglich, jedoch jedenfalls innerhalb von drei Jahren nach Bescheiderlassung.

      3. Praxistipp zur Grunderwerbsteuer

      Vor dem Hintergrund der jüngst erfolgten Gesetzesänderungen des Grunderwerbsteuergesetzes sei abschließend ergänzt, dass die Regelungen über die Wiederaufnahme nicht nur für jene Verfahren gelten, die mit Bescheid abgeschlossen werden. § 201 Abs. 2 BAO ermöglicht auch eine sinngemäße „Wiederaufnahme“ bei selbst berechneten Abgaben, bei denen es noch zu keiner bescheidmäßigen Festsetzung kam und eine „Rückerstattung“ mittels bescheidmäßiger Festsetzung gewünscht wird. Ein Beispiel hierfür ist die Grunderwerbsteuer, die durch einen Parteienvertreter selbst berechnet wurde.

      Nähere Informationen hierzu finden Sie im SWK-Spezial GrESt: Anteilsvereinigung neu.


      Erfahren Sie mehr

      Unsere Expert:innen im Talk mit spannenden Gästen

      Wir informieren Sie regelmäßig über Neuigkeiten zu nationalen und internationalen Steuerthemen.

      Unsere Publikationen und aktuelle Schwerpunktthemen

      Als Steuerberater denken wir global und agieren regional – mit praxisnahen Lösungen unter Berücksichtigung aller regulatorischen Entwicklungen.