Der EuGH hat sich mit Urteil vom 2. Oktober 2025 (C-535/24, Svilosa) mit der Frage auseinandergesetzt, ob die von einer Gesellschaft erbrachte unentgeltliche Dienstleistung (Beauftragung und Bezahlung einer Anwaltskanzlei für die Prozessvertretung im Ausland) für eine dritte Person (eine Stiftung) als „Dienstleistung“ bzw. als „unentgeltliche Erbringung von Dienstleistungen“ zu verstehen ist, wenn zwischen der dritten Person und der beauftragenden Gesellschaft kein zivilrechtliches Rechtsverhältnis besteht.
1. Sachverhalt und Vorlagefragen
Svilosa ist eine bulgarische Holdinggesellschaft, die einer Stiftung zum Zwecke der Organisation eines Konzerts ein Darlehen gewährte. Der Darlehensbetrag wurde nicht auf das Konto der Stiftung eingezahlt, sondern unmittelbar an Dritte zur Verfügung gestellt, die die Durchführung dieses Konzerts übernehmen sollten. Aus Gründen, die die Stiftung nicht zu vertreten hat, hat das Konzert schlussendlich nicht stattgefunden. Um die Beträge von den Zahlungsempfängern zurückzuerhalten, beauftragte Svilosa US-Anwaltskanzleien, gegen die Dritten gerichtlich vorzugehen.
Im Rahmen einer Steuerprüfung bei der Svilosa wurde von den bulgarischen Steuerbehörden festgestellt, dass Svilosa Vorsteuern betreffend die Rechtsdienstleistungen der US-Anwaltskanzleien geltend gemacht hat. Die Steuerbehörde erließ einen Bescheid über die Nacherhebung von Steuern. Sie argumentierte, dass die Stiftung einen gesetzlichen Vertreter der Svilosa beauftragt habe, sie bei den betreffenden Anwaltskanzleien zu vertreten und daher Svilosa die Dienstleistung der Kanzleien finanziert hat, ohne von der Stiftung eine Vergütung erhalten zu haben. Svilosa habe der Stiftung daher unentgeltliche Dienstleistungen erbracht.
Svilosa focht diese Entscheidung beim vorlegenden Gericht an. Das vorlegende Gericht stellte fest, dass die Rechnungen für die Anwaltsleistungen an Svilosa gerichtet worden sind und Svilosa auch alle Kosten für diese Dienstleistungen übernommen hat. Zudem sei die Finanzierung und die Auswahl der Kanzleien im unmittelbaren Interesse der Stiftung, aber auch im mittelbaren Interesse von Svilosa als Gläubigerin der Stiftung erfolgt. Das vorlegende Gericht stellte zudem fest, dass der eingetriebene Betrag von den Schuldnern direkt auf das Konto von Svilosa überwiesen wurde und von den Parteien als Tilgung des Darlehens an die Stiftung angesehen wurde.
Der EuGH hatte daher folgende (von ihm umformulierte) Vorlagefrage zu beantworten:
Sind Art. 2 Abs 2. 1 Buchst. c und Art. 26 Abs. 1 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass Handlungen eines Gläubigers zur Betreibung seiner Forderung, die ohne Auftrag oder Vollmacht des Schuldners vorgenommen wurde, als „Dienstleistung gegen Entgelt“ im Sinne dieser Bestimmungen einzustufen sind oder diesem Begriff gleichgestellt werden können.
2. Entscheidung des EuGH
Der EuGH führt eingangs aus, dass der Begriff „Dienstleistung […] gegen Entgelt“ ein Rechtsverhältnis zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger voraussetzt, im Rahmen dessen Leistungen ausgetauscht werden.
Im vorliegenden Fall steht nach dem EuGH fest, dass Svilosa der Stiftung ein Darlehen gewährt hat. Die Beauftragung der Anwaltskanzleien war hingegen nicht Gegenstand einer Vereinbarung oder eines sonstigen Rechtsverhältnisses mit der Stiftung, in deren Rahmen gegenseitig Leistungen, die sich speziell auf diese Handlungen beziehen, ausgetauscht worden wären. Svilosa hat auch keine diesbezügliche Vergütung von der Stiftung erhalten.
Unerheblich ist nach dem EuGH, dass Svilosa durch die Anwaltsdienstleistungen tatsächlich einen Teil der Forderungen gegenüber der Stiftung zurückerlangt hat, da es sich dabei nicht um eine Gegenleistung der Stiftung, für die von Svilosa vorgenommenen Beitreibungsmaßnahmen handelt. Nach dem EuGH liegt daher keine Dienstleistung gegen Entgelt vor.
Gem. Art. 26 Abs. 1 lit. b Mehrwertsteuerrichtlinie wird einer Dienstleistung gegen Entgelt die unentgeltliche Erbringung von Dienstleistungen durch den Steuerpflichtigen für seinen privaten Bedarf, für den Bedarf seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke gleichgestellt. Der EuGH stellt fest, dass die Handlungen von Svilosa im Hinblick auf die Beitreibung ihrer Forderung gegen die Stiftung vorgenommen wurden. Handlungen, die für die Zwecke und im Interesse eines Unternehmens erfolgt sind, können nicht als Handlungen angesehen werden, die für unternehmensfremde Zwecke vorgenommen wurden. Dabei stellt der EuGH klar, dass der Vorteil, den die Stiftung aus den Betreibungsmaßnahmen von Svilosa gezogen haben könnte und der in der Tilgung eines Teils des Darlehens besteht, nur eine mittelbare Folge der in Rede stehenden Beitreibungsmaßnahme ist.
Daher liegt nach Ansicht des EuGH zusammengefasst weder eine entgeltliche Leistung noch eine unentgeltliche Dienstleistung für fremde Zwecke vor.
3. Ergebnis
Bereits im Urteil des EuGH in der Rechtssache Hartstein Industrie AG vom 16. September 2020 (C-528/19) hat der EuGH betont, dass Aufwendungen die primär der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit dienen, keine unentgeltliche Lieferung oder Leistung darstellen, auch wenn sie mittelbar Dritten zugutekommen. Auch im vorliegenden Fall profitiert ein Dritter (die Stiftung) von den Leistungen. Der EuGH entscheidet erneut, dass Vorteile für Dritte nicht zu einer Umsatzbesteuerung führen.