Der EuGH hat sich in seinem Urteil vom 9. Oktober 2025, C-101/24, Xyrality mit der Frage beschäftigt, ob Art 28 MwStSyst-RL bei In‑App‑Käufen über Appstores vor 2015 anwendbar ist, wenn die Plattform im eigenen Namen gegenüber Endkunden auftritt und bejahte dies. Zudem stellte der EuGH klar, dass der Ort der fingierten Entwicklerleistung nach Art. 44 MwStSyst-RL zu bestimmen ist und dass der Ausweis deutscher Umsatzsteuer in Bestellbestätigungen an Verbraucher keine Steuerschuld nach Art. 203 MwStSyst-RL begründet.
1. Sachverhalt und Vorlagefragen
Die in Deutschland ansässige Xyrality entwickelt Spiele-Apps, die Endkunden kostenlos über einen Appstore herunterladen konnten. Monetarisiert wurden die Spiele über In‑App‑Käufe: Endkunden konnten innerhalb der App kostenpflichtige virtuelle Güter oder Vorteile erwerben. Der gesamte Zahlungsprozess lief über den Appstore eines in Irland ansässigen Unternehmens X. Der Kauf wurde in drei Pop‑up‑Fenstern innerhalb der App abgewickelt; sichtbar war ausschließlich das Appstore‑Logo von X. Xyrality wurde im Kaufprozess nicht als Leistende genannt.
Nach Abschluss des Kaufvorgangs erhielten Endkunden von X eine Bestellbestätigung per E‑Mail, die das Appstore‑Logo enthielt und aus der hervorging, dass „bei Xyrality“ eingekauft worden sei. Zudem wurden Bruttopreis und deutsche Umsatzsteuer ausgewiesen. X rechnete gegenüber Xyrality monatlich eine Provision von 30 % auf die In‑App‑Umsätze ab.
Xyrality erklärte zunächst deutsche Umsatzsteuer für die In-App-Verkäufe an EU‑Endkunden. Anfang 2016 korrigierte Xyrality die Erklärungen und berief sich auf die Dienstleistungskommission nach Art. 28 MwStSyst-RL: Xyrality habe Leistungen an X erbracht, X habe im eigenen Namen gegenüber den Endkunden gehandelt. Folglich sei der Ort ihrer Leistung an X nach Art. 44 MwStSyst-RL in Irland und die deutschen Bemessungsgrundlagen seien um die In‑App‑Käufe zu reduzieren. Das Finanzamt hielt dem entgegen, X habe die Umsätze nur vermittelt und erkennbar „für eine fremde Person“ (Xyrality) gehandelt, ua wegen der Hinweise in den Bestellbestätigungen. Das Finanzamt setzte deutsche Umsatzsteuer für 2012–2014 fest.
Das FG Hamburg gab Xyrality Recht: X habe im eigenen Namen gehandelt. Die Appstore‑Einbettung und das dominierende Appstore‑Logo während des Kaufvorgangs vermittelten dem Durchschnittsverbraucher, dass X Vertragspartnerin sei. Der BFH legte nun dem EuGH drei Fragen vor:
- Ist Art. 28 MwStSyst-RL trotz der Bestellbestätigungen, in denen Xyrality als Leistende genannt und deutsche Umsatzsteuer ausgewiesen wurde, anwendbar?
- Welche Leistungsortregelung ist für den Ort der fingierten Leistung nach Art. 28 MwStSyst-RL anwendbar: Art. 44 (B2B) oder Art. 45 (B2C)?
- Entsteht eine Steuerschuld nach Art. 203 MwStSyst-RL wegen der ausgewiesenen deutschen Umsatzsteuer in den Bestellbestätigungen an Endkunden?
Hinweis: Die betroffenen Jahre lagen vor dem 1. Januar 2015 – Art. 9a der MwSt-DVO galt damals noch nicht.
2. Entscheidung des EuGH
- Zur Frage 1: Der EuGH bestätigt, dass Art. 28 MwStSyst-RL grundsätzlich Anwendung findet, wenn ein Steuerpflichtiger bei der Erbringung von Dienstleistungen im eigenen Namen, aber auf Rechnung eines Dritten tätig wird. Ob X im eigenen Namen agierte, ist vom nationalen Gericht zu würdigen. Entscheidend sind die Befugnisse und die Außenwirkung gegenüber dem Endkunden, insbesondere das Auftreten im eigenen Namen. Die Anwendung von Art. 28 MwStSytst-RL ist jedoch nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil in den nachgelagert versandten Bestellbestätigungen Xyrality als Leistende genannt und deutsche Umsatzsteuer ausgewiesen wird.
- Zur Frage 2: Die Bejahung von Art. 28 MwStSytst-RL führt zur Fiktion zweier nacheinander erbrachter, gleichartiger Dienstleistungen: Kommittent → Kommissionär und Kommissionär → Endkunde. Für die Bestimmung des Ortes der fingierten Leistung des Kommittenten an den Kommissionär gelten die allgemeinen Leistungsortsbestimmungen. Der Ort der sonstigen Leistung vom Kommittent an den Kommissionär ist demnach eine B2B‑Leistung gem Art. 44 MwStSyst-RL und am Sitz des Leistungsempfängers (hier: Irland) steuerbar.
- Zur Frage 3: Art. 203 MwStSyst-RLMwStSyst-RL begründet eine Steuerschuld, wenn Umsatzsteuer in einer Rechnung ausgewiesen wird und durch diesen Ausweis das Steueraufkommen aufgrund des Vorsteuerabzugsrechts des Empfängers gefährdet ist. Diese Norm ist funktional mit dem Vorsteuerabzug verknüpft. Im vorliegenden Fall wurden die Leistungen an Nichtsteuerpflichtige (Verbraucher) erbracht; ein Vorsteuerabzugsrisiko besteht daher nicht. Dass Xyrality in Bestellbestätigungen als Leistende mit deutscher Umsatzsteuer genannt wurde, führt demnach nicht zu einer Steuerschuld nach Art. 203 MwStSyst-RL.
3. Ergebnis
Auch für Zeiträume vor 2015 kann Art. 28 MwStSyst-RL bei Appstore-Konstellationen greifen, wenn die Plattform im eigenen Namen auftritt. Entscheidend sind die tatsächliche Kundenschnittstelle und Indizien wie Branding, Prozessführung und akzeptierte Nutzungsbedingungen. Liegt eine Dienstleistungskommission vor, wird die Entwicklerleistung fingiert an die Plattform erbracht und die Plattform leistet an den Endkunden. Unternehmen sollten ihre jeweiligen Rollen in den Verträgen mit den App-Stores klar dokumentieren und auch dort detailliert vereinbaren, wer wie gegenüber den Endkunden auftritt um unnötigen Umsatzsteuerausweis gegenüber Verbrauchern und eine etwaige Doppel- oder (Nicht-)Besteuerung zu vermeiden.