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      Das Recht auf Akteneinsicht besteht sowohl im Abgaben- als auch im Finanzstrafverfahren. Für den Beschuldigten ist die umfassende Aktenkenntnis für eine erfolgreiche Verteidigung essenziell. Aktuell haben Bundesfinanzgericht (BFG) und Verwaltungsgerichtshof (VwGH) zum Umfang der Akteneinsicht Stellung genommen. Die Akteneinsicht ist unabhängig vom konkret verfolgten Beschuldigteninteresse im Finanzstrafverfahren jedenfalls zu gestatten (BFG 12.12.2024, RV/3300003/2024; BFG 4.9.2025, RV/5300033/2018). Stellt das Amt für Betrugsbekämpfung (ABB) aber bloß Nachforschungen im Hinblick auf mögliche Verfahren durch andere Behörden an, ist keine Akteneinsicht beim ABB möglich (VwGH 18.12.2024, Ro 2022/13/0013).


      1. BFG 12.12.2024, RV/3300003/2024: „Art des Interesses“ irrelevant

      Nach § 79 Abs. 1 Finanzstrafgesetz (FinStrG) hat die Behörde dem Beschuldigten Akteneinsicht zu gestatten, wenn sie zur Geltendmachung oder Verteidigung von „finanzstrafrechtlichen oder abgabenrechtlichen Interessen oder zur Erfüllung solcher Pflichten erforderlich ist“.

      Das BFG erteilte diesen Einschränkungen nunmehr eine Absage: Im Jahr 2018 urteilte der VwGH zur beinahe wortgleichen Bestimmung in § 90 Bundesabgabenordnung (BAO), dass die Akteneinsicht unabhängig vom verfolgten Zweck jedenfalls zu gestatten ist (VwGH 29.5.2018, Ro 2017/15/0021). Mit dem Abgabenänderungsgesetz 2022 folgte der Gesetzgeber auch der höchstgerichtlichen Rechtsprechung. Die Einschränkungen in der BAO entfielen. Die Rechtsansicht des VwGH ist nach Auffassung des BFG auch auf das Finanzstrafrecht übertragbar. Somit kommt es auch bei der Akteneinsicht im Finanzstrafverfahren nicht auf das im Antrag dargelegte Beschuldigteninteresse an. Das BFG hat diese Rechtsprechung jüngst in einer weiteren Entscheidung bestätigt (BFG 4.9.2025, RV/5300033/2018).

      2. VwGH 18.12.2024, Ro 2022/13/0013: Akteneinsicht nur bei konkretem Verwaltungsverfahren

      Aufgrund einer anonymen Anzeige führte das ABB finanzpolizeiliche Kontrollhandlungen im Hinblick auf Übertretungen nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz bzw dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz durch. Dabei wurden keine Übertretungen festgestellt. Die im Zuge der Kontrolle erhobenen Unterlagen wurden der Österreichischen Gesundheitskasse im Zusammenhang mit einer von dieser durchgeführten Prüfung von Lohnabgaben und Beiträgen übermittelt. Der von den Kontrollhandlungen Betroffene ersuchte in der Folge das ABB um Übermittlung der anonymen Anzeige. Nachdem dies vom ABB abgelehnt wurde, stellte er einen Antrag auf Akteneinsicht. ABB, BFG und letztlich auch VwGH versagten das Recht auf Akteneinsicht.

      Nach der Begründung des VwGH steht ein Recht auf Akteneinsicht nur gegenüber einer Behörde zu, die ein konkretes Verwaltungsverfahren führt. Ein solches Verfahren muss individuelle Verwaltungsakte der Hoheitsverwaltung (Bescheide) zum Gegenstand haben. Schritte, die lediglich die Einleitung eines behördlichen Verfahrens (durch eine andere Behörde) anregen sollen, begründen keine Akteneinsicht.

      Bei den Kontrollhandlungen handelt es sich um Nachforschungen oder vorbereitende Anordnungen im Hinblick auf allenfalls künftig zu führende Verfahren anderer Behörden. Bei Feststellungen im Rahmen der durchgeführten Kontrolle hätte das ABB lediglich Anzeige an die zuständige Behörde (Verwaltungsstrafbehörde) zu erstatten gehabt. Da vom ABB aber keine Bescheide zu erlassen waren, ist eine Akteneinsicht auch nicht möglich.

      3. Praxistipps

      • Das Recht auf Akteneinsicht ist ein Grundpfeiler eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Im Anwendungsbereich des FinStrG gilt dieses Recht sowohl bei laufendem als auch nach beendetem Finanzstrafverfahren.
      • Für Beschuldigte im Rahmen finanzstrafrechtlicher Ermittlungen ist eine umfassende Aktenkenntnis wesentliche Voraussetzung erfolgreicher Verteidigung. Für eine effektive Verteidigung und zur Vervollständigung des Sachverhalts kann sich – abhängig von der praktischen Fallkonstellation – eine parallele Einsicht sowohl in den Finanzstrafakt (§ 79 FinStrG) als auch in den Steuerakt (§ 90 BAO) als sinnvoll erweisen.
      • Aufgrund jüngster Rechtsprechung ist es nicht mehr nötig, im Antrag auf Akteneinsicht das abgabenrechtliche bzw finanzstrafrechtliche Interesse darzulegen. Zur Vermeidung unnötiger Verfahrensverzögerung kann es freilich in bestimmten Fällen dennoch empfehlenswert sein, das konkrete Interesse kurz darzulegen oder zumindest auf die einschlägige Rechtsprechung zu verweisen.
      • Bei Finanzstrafverfahren gegen eine natürliche Person und den Verband (Verbandsverantwortlichkeitsgesetz) sind zwei gesonderte Anträge auf Akteneinsicht zu stellen. Denn die Finanzstrafbehörde führt für den Verband (in der Regel) einen eigenen Akt.
      • Bei bloßen Kontrollhandlungen des ABB, die Verfahren bei anderen Behörden zur Folge haben könnten, besteht kein Recht auf Akteneinsicht beim ABB. Die Möglichkeit einer Akteneinsicht ist hier allenfalls im Rahmen eines von der anderen Behörde geführten (Straf)Verfahrens zu prüfen.

       

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