VwGH zur Wiederaufnahme: Abgabenbehörde „saniert“ Wiederaufnahmebegründung in zweiter Runde
Tax News 07-09/2023
Verfahrensrecht
Die Übermittlung eines neuen Lohnzettels ist für sich allein keine neue Tatsache iSd § 303 BAO. Nur im Lohnzettel enthaltene Informationen können neue Tatsachen darstellen. Wird eine Wiederaufnahme aufgrund unzureichender Begründung aufgehoben, kann die Abgabenbehörde eine neuerliche Wieder-aufnahme damit rechtfertigen, dass sich die Wiederaufnahme nicht auf die gleichen Tatsachen wie im ersten Wiederaufnahmeverfahren stützt (VwGH 24.05.2023, Ra 2021/15/0066).
1. Sachverhalt: Nachträglich übermittelter Lohnzettel ist keine Tatsache iSd § 303 BAO
Das Finanzamt (FA) erließ ESt-Bescheide für die Jahre 2013 – 2015. Nachgängig übermittelte der SV-Träger dem Finanzamt für die Jahre 2013 – 2015 je einen weiteren Lohnzettel. Daraufhin nahm das FA die ESt-Verfahren 2013 – 2015 mit der Begründung, „ein Lohnzettel wurde berichtigt oder neu übermittelt“, wieder auf.
Der Steuerpflichtige brachte erfolgreich Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide ein. Begründung: Ein zum Zeitpunkt des Ergehens des Erstbescheides noch nicht existenter, erst später ausgefertigter Lohnzettel stelle keine neu hervorgekommenen Tatsachen dar. Nur dem Lohnzettel zugrundeliegende Tatsachen können eine Wiederaufnahme begründen.
Daraufhin erließ das FA neuerlich Wiederaufnahmebescheide mit der Begründung „aufgrund nachträglich übermittelter Lohnzettel wurde erstmals bekannt, dass Einnahmen in Form von geldwerten Vorteilen zugeflossen sind“. Der Steuerpflichtige brachte gegen die neuen Wiederaufnahmebescheide abermals Beschwerde ein und begründete dies mit dem Vorliegen einer bereits entschiedenen Rechtssache (Grundsatz ne bis in idem).
2. BFG: Wiederaufnahmebescheide aufgehoben – Grundsatz ne bis in idem
Das BFG hob die neuen Wiederaufnahmebescheide mit der Begründung auf, dass sowohl in der ersten als auch der zweiten Wiederaufnahme auf die nachträglich übermittelten Lohnzettel, aus denen weitere Einnahmen bekannt werden, verwiesen wurde. Nach Ansicht des BFG erfolgten beide Wiederaufnahmen aus demselben Grund, weswegen der Grundsatz ne bis in idem einer neuerlichen Wiederaufnahme entgegensteht.
Das Finanzamt reichte gegen das Erkenntnis des BFG außerordentliche Revision beim VwGH ein. Begründung: Wiederaufnahme Nr. 1 wurde mit der Übermittlung eines neuen Lohnzettels begründet, Wiederaufnahme Nr. 2 hingegen mit dem erforderlichen Sachgrund für die Wiederaufnahme – ergo erfolgte keine Verfügung aus demselben Grund.
3. VwGH: Amtsrevision stattgegeben
Zweck der Wiederaufnahme ist die Berücksichtigung von bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen (VwGH 19.10.2016, Ra 2014/15/0058). Darunter verstehen sich Tatsachen, die zwar im Zeitpunkt der Bescheiderlassung im abgeschlossenen Verfahren bereits existierten, aber erst danach hervorgekommen sind (VwGH 26.11.2015, Ro 2014/15/0035).
Der VwGH bestätigt die Ansicht der Abgabenbehörde, wonach sich die erste Wiederaufnahme nur auf die Übermittlung neuer Lohnzettel stützt, wohingegen die zweite Wiederaufnahme die bisher nicht berücksichtigten „geldwerten Vorteile“ aus den Lohnzetteln ins Treffen führt. Die Existenz dieser Einnahmen ist dem FA erst durch die nachträglich übermittelten Lohnzettel bekannt geworden. Die Begründung der neuerlichen Wiederaufnahme verstößt NICHT gegen den Grundsatz ne bis in idem.
4. Ergebnis
Es gilt der Grundsatz, dass ein Verfahren aufgrund der gleichen Tatsachen nicht zweimal wiederaufgenommen werden kann. Allerdings hindert das die Abgabenbehörde nicht daran, unscharfe Wiederaufnahmebegründungen im Rahmen eines zweiten Wiederaufnahmeverfahrens zu „sanieren“. Bei einer erneuten amtswegigen Wiederaufnahme gilt es daher in der Praxis zu prüfen, ob a) überhaupt Tatsachen i.S.d. § 303 BAO vorliegen und b) es sich um die identen Tatsachen wie in der Begründung des ersten Wiederaufnahmeverfahrens handelt. Während die bloße Übermittlung eines Lohnzettels nicht die Anforderungen an eine Wiederaufnahme erfüllt, können die im Lohnzettel enthalten Informationen (= Tatsachen) eine Wiederaufnahme rechtfertigen. Damit im konkreten Fall eine „zweite“ Wiederaufnahme verhindert hätte werden können wäre es notwendig gewesen nachzuweisen, dass bereits die „erste“ Wiederaufnahme aufgrund der im Lohnzettel enthaltenen Informationen erfolgte bzw. erfolglos versucht wurde.
Zur unzureichenden Begründung einer Wiederaufnahme – siehe auch Tax News 5/2021.
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