EuGH hebt generelle öffentliche Einsicht in Register der wirtschaftlichen Eigentümer als Bruch der EU-Charta auf

Tax News 11-12/2022

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Mit Urteil vom 22.11.2022 hob der EuGH eine wesentliche Verschärfung der 5. EU-Geldwäsche-Richtlinie als ungültig auf, nämlich die Verpflichtung von Mitgliedstaaten, dass Angaben über wirtschaftliche Eigentümer von Gesellschaften oder anderen juristischen Personen, wie zB Stiftungen, in allen Fällen für alle Mitglieder der Öffentlichkeit zugänglich sein müssen.

Der mit der Maßnahme verbundene Eingriff in die durch Art 7 und 8 der Charter gewährleisteten Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten ist nach Ansicht des EuGH weder erforderlich noch in Hinblick auf die Zielsetzung der Richtlinie verhältnismäßig.

Die öst. Registerbehörde (BMF) hat den öffentlichen Zugang gem § 10 WiEReG umgehend deaktiviert.

1.     Ausgangslage

Nach der 4. EU-Geldwäsche-Richtlinie1 müssen Mitgliedstaaten Informationen über die wirtschaftlichen Eigentümer (WE) von Gesellschaften und anderen juristischen Personen einholen und in einem zentralen WE-Register speichern. Die Einsicht in diese WE-Register war nach Art 30 Abs 5 lit c i (neben den GW-Verpflichteten und Behörden) nur dritten Personen oder Organisationen zugänglich, die ein berechtigtes Interesse nachweisen konnten.

Diese Regelung wurde mit der 5. EU-Geldwäsche-Richtlinie2 vom 30. Mai 2018 mit Wirksamkeit ab 09.08.2018 geändert, wonach Mitgliedstaaten seither sicherzustellen haben, dass bestimmte WE-Informationen in allen Fällen für alle Mitglieder der Öffentlichkeit zugänglich sind. Österreich setzte diese Anforderung mit Wirksamkeit ab 10. Jänner 2020 im WiEReG3 um.

Mit der RL-Änderung wurde der Zugang zu WE-Daten von Gesellschaften somit „für Jedermann“ verpflichtend erweitert. Musste zuvor ein „berechtigtes Interesse“ nachgewiesen werden, war es seitdem jeder Person ohne weiteres möglich, in diese WE-Daten Einsicht zu nehmen.

Mit der Ausweitung der Registereinsicht ging allerdings keine Ausweitung der fundamentalen Schutzrechte der WE einher. Nach beiden Fassungen der EU-Geldwäsche-Richtline4 konnten WE die Registereinsicht für Dritte nur unter sehr engen Voraussetzungen beschränken (in außergewöhnlichen Fällen, bei Nachweis überwiegender schutzwürdiger Interessen5).

2. Beurteilung durch den EuGH

In den verbundenen Rechtssachen C-37/20 und C-601/20 prüfte der EuGH über Initiative eines luxemburgischen Gerichts die aktuelle EU-Regelung einer generellen öffentlichen Einsicht in WE-Daten im Lichte des Grundrechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens gem Art 7 und auf Schutz personenbezogener Daten gem Art 8 der Charta der Grundrechte der EU (GRC).

Da es sich bei der GRC um Primärrecht handelt, ist diese grds. im gesamten EU-Gebiet wirksam.6 Einschränkungen der in der GRC garantierten Grundrechte sind nur unter bestimmten Voraussetzungen gerechtfertigt7.

Die Möglichkeit von Jedermann umfassende WE-Daten einer natürlichen Person abzurufen und gegebenenfalls auf Vorrat zu speichern, wurde als schwerer Eingriff in Art 7 und Art 8 GRC gewertet.

Zwar basiere dieser Eingriff auf einer EU-Richtlinie, die auch die Möglichkeit von Ausnahmen von der generellen Einsicht vorsieht und sei damit gesetzmäßig, jedoch muss der Eingriff nach st. Rspr. des EuGH auch „erforderlich sein, um ein dem Gemeinwohl dienendes Ziel zu verfolgen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren“.

Die EU-GW-Richtlinie(n) verfolgen das Ziel, die Nutzung der Finanzsysteme für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu verhindern. Insofern erfolge der Grundrechtseingriff zu einem dem Gemeinwohl dienenden Zweck, zumal ein für Betrüger ungünstiges Umfeld geschaffen werde; überdies könne durch erhöhte Transparenz des wirtschaftlichen und finanziellen Umfelds eine abschreckende Wirkung erreicht werden. Solche dem Gemeinwohl dienende Ziele können auch schwere Grundrechtseingriffe rechtfertigen, wobei allerdings stets die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden muss. Der durch die RL mögliche Grundrechtseingriff muss somit geeignet, erforderlich und hinsichtlich des verfolgten Ziels verhältnismäßig sein, iS der am wenigsten belastenden Maßnahme zur Erreichung eines legitimen Ziels.

Der generelle öffentliche Zugang zu WE-Daten ist damit grundsätzlich geeignet, das Ziel der Richtlinien zu erreichen. Die Änderung des Art 30 der 4. GW-RL wurde notwendig, um übermäßige Beschränkungen des Zugangs zu WE-Daten bzw. die Gefahr einer willkürlichen oder abweichenden Anwendung des Begriffs „berechtigtes Interesses“ in Ermangelung einer entsprechenden Definition zu beseitigen.

Allerdings könnten Schwierigkeiten bei der Festlegung einer einheitlichen Definition dieses Rechtsbegriffs keinen derartigen Eingriff rechtfertigen; dieser wäre auch nicht absolut erforderlich, um Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu verhindern. Weder die optionale Anforderung einer Online-Registrierung zur Einsicht in Registerdaten noch die Möglichkeit der Einschränkung des öffentlichen Zugangs bei Vorliegen außergewöhnlicher Umständen wären demnach geeignet, die betroffenen Personen (WE) hinreichend gegen Missbrauchsrisiken zu schützen.

Der EuGH stellte daher mit Urteil vom 22.11.2022 fest, dass Art 1 Nr. 15 der 5. GW-RL zu Änderung des Art 30 Abs 5 Unterabs 1 lit c der 4. GW-RL ungültig ist, weil die neue Fassung den unbeschränkten Zugang der Öffentlichkeit zu den in WE-Registern gespeicherten WE-Daten ermöglicht.

3. Folgen

Der unbeschränkte öffentliche Zugang zu WE-Registern hat nun aufgrund des Anwendungsvorrangs der GRC in allen Mitgliedstaaten zu unterbleiben. Diesem Umstand wurde von der öst. Registerbehörde (BMF) bereits am 24.11.2022 Rechnung getragen, indem der öffentliche on-line Zugang (§ 10 WiEReG) deaktiviert wurde. Der Zugang von Behörden (§ 12 WiEReG) und GW-Verpflichteten (§ 9 WiEReG; wie Banken, RAe, Notare, WT/WP/StB, etc.) zum öst. WE-Register bleibt davon unberührt.8

Auf die Entscheidungspraxis des BMF/VwGH über Anträge von WE auf Einschränkung der Einsicht (§ 10a WiEReG), die bis dato höchst restriktiv ausfiel, kann man nach Wegfall der EU-Rechtsgrundlage für die öffentliche Einsicht äußerst gespannt sein.

4. Ausblick

Bereits am 20.07.2021 stellte die Europäische Kommission ihren Vorschlag für eine 6. GW-Richtlinie9 vor, welche die aktuelle GW-RL ersetzen soll; überdies wurde eine unmittelbar anwendbare Verordnung zur GW-Prävention vorgestellt.10  Das Ziel der neuen Regelungen wäre die Harmonisierung der RL-Umsetzung seitens der Mitglieder sowie eine Steigerung der effizienten Zusammenarbeit.

Die in diesen Entwürfen vorgesehenen Bestimmungen zur WE-Registereinsicht weichen von jenen der 5. GW-RL nicht wesentlich ab11. Es ist daher zu erwarten, dass es angesichts des jüngsten EuGH-Urteils alsbald zu Änderungen im EU-Regelwerk kommen wird.

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1 RL 2015/849

2 RL 2015/849 geändert durch RL 2018/843

3 vgl. § 10 Wirtschaftliche Eigentümer Register Gesetz – WiEReG, BGBl. I Nr. 136/2017 idF BGBl. I Nr. 62/2019

4 Art 30 Abs 9 beider RL

5 vgl. § 10a WiEReG

6 Wolf-Georg Schärf, GRC Kommentar - Charta der Grundrechte der Europäischen Union, AnwBl 2020, 91;

7 vgl. Art 52 GRC

8 BMF Fachliche News 2022/2, vom 24.11.2022, 2022-0.840.410 (BMF/Register der wirtschaftlichen Eigentümer (Registerbehörde))

9 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die von den Mitgliedstaaten einzurichtenden Mechanismen zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung und zur Aufhebung der Richtlinie (EU) 2015/84 (fortan kurz „Vorschlags RL“),

10 Vorschlag Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.7.2021 für eine Verordnung zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems für Zwecke der Geldwäsche oder der Terrorismusfinanzierung, 2021/0239 (COD) (fortan kurz „Vorschlags VO“)

11 Art 12, Art 14 Vorschlags RL bzw. Art 44 Vorschlags VO

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