Die Inflationsraten im Jahr 2022 übertreffen alle Befürchtungen. Fast aus dem Nichts werden Raten wie zuletzt in den 1970er-Jahren beobachtet – die Angst vor einer weiteren Verschärfung geht um. Lebenshaltungskosten steigen massiv an und hinterlassen tiefe soziale Spuren. Wo kommt diese Inflation her? Wie kann sie bekämpft werden? Der Versuch einer Einschätzung.

Kaum ein Wirtschaftsforschungsinstitut hätte 2019 vorhergesagt, dass sich 2022 zweistellige Inflationsraten in den meisten Ländern der Eurozone einstellen würden. Nun ist das Szenario Realität geworden.

Die Schuldfrage

Nach einer Serie von externen Schocks, die hauptsächlich die Angebotsseite der Volkswirtschaft betrafen, scheinen sich hohe Inflationsraten als „neue Normalität“ etabliert zu haben. Sehr schnell wurde, insbesondere in der Eurozone, mit der EZB eine Schuldige ausgemacht, die mit einer viel zu zögerlichen Straffung der Geldpolitik zügelloses Wirtschaften und damit die prekäre Teuerungssituation verursacht habe. Sind es tatsächlich die Notenbanker, die geschlafen haben? In der aktuellen, sehr erhitzten Situation ist es wichtig, einen Schritt zurückzutreten. Es gilt, die Ursachen zu eruieren, aber auch voraussichtliche Entwicklungen und Folgen der Inflation abzuschätzen.

Die Ursachenforschung

Inflation kann von drei Seiten verursacht werden: Von einer starken volkswirtschaftlichen Konsum- und Investitionsnachfrage (die üblicherweise bei sehr positiven Wirtschaftsaussichten zu beobachten ist), von einer Straffung der Angebotsseite (höhere Löhne, höhere Steuern; Preise von Vorleistungsgütern und Energie werden an Kund:innen weitergegeben) oder von einer zu hohen Geldmenge
im Wirtschaftskreislauf.

Gerade letzteres Phänomen wird oft als Hauptursache der aktuellen Teuerung identifiziert. Tatsächlich steigt zwar die Geldmenge im Finanzsystem, also die Geldmenge der Zentralbank, stark an. Die Geldmenge in der Realwirtschaft steigt jedoch aufgrund der nicht überbordenden Kreditvergabe deutlich weniger stark an. Wichtig dabei: Nur wenn das Geld im Wirtschaftskreislauf auch tatsächlich ankommt und „zu viel Geld für die aktuelle Wirtschaftsleistung“ da ist, wirkt Geld inflationär.

Das ist nicht der Fall. Deshalb ist auch Vorsicht geboten, wenn man von entschlossenen Zinsanhebungen der Notenbank die Heilung erhofft. Was die Notenbank leisten kann, ist die Stabilisierung der Markterwartungen bezüglich der Inflation – nicht mehr und nicht weniger. So wichtig diese auch ist, um eine inflationäre Spirale zu vermeiden, so eingeschränkt ist ihr Potenzial, die Hauptgründe der aktuellen Teuerung abzufedern.

Was die Inflation misst

Diese liegt nicht in einer überbordenden Nachfrage, sondern im fast gleichzeitigen Auftreten von angebotsseitigen Schocks: Störungen in den Lieferketten und ein massiver Anstieg der Energiepreise. Zudem steigert der schwache Euro-Dollar-Wechselkurs die Preise für alle in USD-denominierten Vorleistungen (auch Erdöl) abermals.

Damit stiegen Preisniveaus, die in der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden Rezession sehr niedrig waren, innerhalb kurzer Zeit rasant an. Und genau das ist es, was Inflationsraten messen: die Änderung des Preisniveaus in einem 12-Monatsfenster. Inflation misst nicht, wie teuer Waren sind. Sie misst nur, wie stark sich die Preise ändern. Selbst wenn Preise vom aktuellen Niveau noch weiter steigen, jedoch mit abnehmender Dynamik, bleibt alles teuer – die Inflationsrate geht jedoch zurück.
 

Blick in die Glaskugel

Wie rasch sich Inflationsraten reduzieren werden, ist derzeit Gegenstand intensiver Diskussion. Während für 2022 im Schnitt eine fast zweistellige Inflationsrate zu erwarten sein wird, gehen die Schätzungen der Inflationsraten für 2023 und 2024 in Österreich stark auseinander. Zentral wird die Gas- und Energiepreisentwicklung im Herbst/Winter sein. Ein Lieferstopp kann einer Einschätzung des WIFO zufolge zu Inflationsraten von bis zu 18 Prozent im Winter führen, einhergehend mit einem veritablen Einbruch der Wirtschaftsleistung.

Somit sind die Prognosen – sowohl für Wachstum als auch für Teuerung – von extremer Unsicherheit behaftet. Die Wahrscheinlichkeit von Quartalen mit negativem Wirtschaftswachstum ist deutlich angestiegen, wenn auch ein größerer Einbruch wohl nur durch eine Eskalation der Gaskrise im Winter hervorgerufen werden kann.

Realität sind die deutlich angestiegenen Lebenshaltungskosten, die vor allem sozial ein großes Problem darstellen. Die Diskussionen rund um Instrumente einer Gas- oder Energiepreisbremse zeigen, dass das Problembewusstsein durchaus vorhanden ist.

Manche Ideen zur Kompensation der Teuerungen sind mit Anreizen verbunden, auch die Energienachfrage zu reduzieren und damit auch hinsichtlich der Energiewende einen wertvollen Beitrag zu leisten. Andere Ideen gehen in Richtung einer starken Regulierung bzw des Festsetzens von Preisobergrenzen durch den Staat – der Ruf nach Einschränkungen des Wettbewerbs wird lauter. ÖGB und AK haben mit der Vorlage einer „Übergewinnsteuer“ einen weiteren Schritt gesetzt. Hier ist Vorsicht angebracht: Aus vielen Beispielen weiß man, dass diese Maßnahmen kurzfristig Besserung suggerieren, dem Standort jedoch langfristig einen veritablen Schaden zufügen können.

Spannende Zukunft

So herausfordernd die Situation mit hohen Inflationserwartungen und unsicherer konjunktureller Entwicklung auch ist, so wichtig ist es, strategisch nicht im „Krisenmodus“ zu verharren. Alle wirtschaftspolitischen Maßnahmen müssen auch vor dem Hintergrund der strukturellen Herausforderungen der österreichischen Volkswirtschaft gesehen werden.

Die Energiewende mit ihren extrem ambitionierten Zielen bis 2030 bzw 2040 erfordert eine gemeinsame Kraftanstrengung von Politik, Unternehmen und Haushalten. Sie bietet aber für Österreich auch spannende Chancen, im Bereich von Umwelttechnologien strategische Erfolgsfelder zu etablieren.

Um dies zu bewältigen, benötigt man vor allem eines: Eine innovative soziale Marktwirtschaft und einen handlungsfähigen Staat, der auch hinsichtlich der Staatsfinanzen einen nachhaltigen Entwicklungspfad verfolgt.