Fehlende Begründung einer relevanten Sachverhaltsannahme durch das BFG ist ein aufzugreifender Verfahrensmangel

Tax News 05-06/2022

Verfahrensrecht

Kletterer

Das BFG beurteilt eine Abgabenschätzung aufgrund des Fehlens von Grundaufzeichnungen als rechtmäßig und stützt seine Entscheidung insbesondere auf Befragungen ehemaliger Arbeitnehmer durch die Außenprüfung. Sagen in der Beschwerdeverhandlung jedoch andere ehemalige Arbeitnehmer zugunsten des Beschwerdeführers aus, ist vom BFG zwingend zu begründen, warum deren Aussagen aus Sicht des BFG vernachlässigt werden können. Unterbleibt dies, ist das BFG-Erkenntnis vom VwGH wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

1. VwGH-Erkenntnis 07.03.2022, Ra 2021/13/0110

Die beschwerdeführende GmbH bewirtschaftet Ackerflächen. Laut Außenprüfung meldete sie die meisten Arbeiter mit 20 Wochenstunden bei der Gebietskrankenkasse an. Zwei von den Prüfern befragte ehemalige Dienstnehmer sagten aus, dass sie jahresdurchschnittlich mindestens 40 Stunden gearbeitet hätten, was Sonn- und Feiertagsarbeiten inkludierte. Aufgrund von fehlenden Grundaufzeichnungen und Mängeln der Lohnkonten sowie der Aussagen der beiden ehemaligen Arbeiter schätzte die Außenprüfung die tatsächlichen Arbeitszeiten bei formell weniger als 40 Stunden beschäftigten Dienstnehmern mit 40 Stunden. Waren Dienstnehmer mit 40 Stunden gemeldet, wurde eine Arbeitszeit von 50 Stunden unterstellt. Vereinfachend wurde die Lohnsteuer mit 10 % pauschal festgesetzt und zusammen mit dem Dienstgeberbeitrag vorgeschrieben.

Laut GmbH ist die ausnahmslose Erhöhung der Arbeitszeiten jedes Dienstnehmers unberechtigt. In der Beschwerdeverhandlung wurden auf Antrag der GmbH weitere ehemalige Arbeiter der GmbH einvernommen. Deren Gesprächsprotokolle stützten im Wesentlichen die Sachverhaltsannahmen der Bf. Diese Aussagen wurden im BFG-Erkenntnis jedoch nicht näher geschildert, anders als die Aussagen jener Personen, die bereits anlässlich der Außenprüfung vernommen worden waren. Weiters begründete das BFG nicht, warum diese nachgelagerten Beweisergebnisse die Prüfungsfeststellungen der Außenprüfung nicht in Zweifel ziehen können.

Laut VwGH hat das BFG nach Maßgabe der Grundsätze der freien Beweiswürdigung iSd § 167 BAO in Auseinandersetzung mit den bisherigen Verfahrensergebnissen und den Parteienvorbringen den entscheidungswesentlichen Sachverhalt festzustellen. Befasst sich das BFG in der Begründung des Erkenntnisses nicht mit (neuen) Beweisergebnissen, belastet es das Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Eine schlüssig begründete Beweiswürdigung fehlt, wenn das BFG seine Entscheidung – nicht bloß untergeordnet – mit Ausführungen untermauert, denen jeglicher Begründungswert fehlt. Aufgrund der fehlenden Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ist das BFG-Erkenntnis aufzuheben.

2. Weiterführende Überlegungen

Das BFG schenkt den beiden anlässlich der Außenprüfung vernommenen ehemaligen Arbeiter Glauben, während es die Ergebnisse der von der Bf nominierten und durch das BFG tatsächlich befragten ehemaligen Dienstnehmer verwirft. Dieses Ergebnis ist laut VwGH vom BFG zwingend nachvollziehbar zu begründen. Die Begründung muss laut ständiger Rechtsprechung in einer Weise erfolgen, sodass der Denkprozess, der zur Erledigung führt, sowohl für den Abgabepflichtigen als auch für den VwGH nachvollziehbar ist.

Jedenfalls ist vom BFG auf alle vom Abgabepflichtigen substantiiert vorgetragenen und für die Schätzung relevanten Behauptungen einzugehen. Erst dies ermöglicht dem VwGH zu prüfen, ob das BFG alle in Betracht kommenden Umstände würdigte. Das Höchstgericht kontrolliert (nur), ob die Sachverhaltsermittlungen und die Überlegungen zur Beweiswürdigung mit den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut für die Begründung der Entscheidung ausreichend sind.

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