VwGH zu ausländischen Kapitaleinkünften: vorsätzliche Abgabenhinterziehung aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung
Tax News 01/2022
Finanzstrafrecht
Nur weil ein Steuerpflichtiger eine Selbstanzeige erstattet, kann daraus noch kein vorsätzliches Handeln abgeleitet werden. Aus der Offenlegung dieser äußeren Umstände (Abgabenverkürzung) können aber Schlüsse auf die subjektive Tatseite gezogen werden. Dabei lässt der VwGH für die Nachweisführung des Vorsatzes von der allgemeinen Lebenserfahrung getragene Feststellungen zum konkreten Lebenssachverhalt genügen. Zur Einschätzung des Kenntnisstandes eines „steuerlichen Laien“ kommt insbesondere der im Fokus der Öffentlichkeit stehenden medialen Berichterstattung Gewicht zu.
1. Sachverhalt: schweizerische Kapitaleinkünfte in Österreich nicht erklärt
Die Steuerpflichtige hatte seit 2003 ein Depot bei einer Schweizer Bank. Die Steuerpflichtige nahm die Schweizer Einkünfte nie in ihre österreichischen Steuererklärungen auf. 2011 wurde das ausländische Kapitalvermögen nach Österreich übertragen.
Im Jahr 2016 erstattete die Steuerpflichtige Selbstanzeige. Das Finanzamt nahm das Einkommensteuerverfahren 2006 wieder auf und erließ einen neuen ESt-Bescheid 2006. Nach Ansicht des Finanzamtes handelte es sich um hinterzogene Abgaben. Die Verjährungsfrist betrug daher 10 Jahre. Das Vorbringen der Steuerpflichtigen, sie habe nicht gewusst, dass ihre Schweizer Einkünfte in Österreich zu versteuern sind, betrachtete das Finanzamt als „absolut realitätsfremd und unglaubhaft“.
2. BFG 25.01.2021, RV/7100129/2020: Vorsatz aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung
Das BFG begründet das Vorliegen von Vorsatz mit folgenden allgemeinen Feststellungen:
- Nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist anzunehmen, dass derjenige, der über ein größeres Vermögen verfügt, von der potenziellen Steuerpflicht anfallender Erträge weiß.
- Von diesem Kenntnisstand kann auch bei einem „steuerlichen Laien“ ausgegangen werden: Die Kenntnis über das grundsätzliche Bestehen der Steuerpflicht ist bei einer intellektuell durchschnittlich begabten Person vorauszusetzen.
- Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass die geheime Veranlagung von größeren Vermögenswerten in einer „Steueroase“ in der Regel der Steuervermeidung dienen soll.
- Es ist als Erfahrungstatsache anzusehen, dass eine Schweizer Bank über die steuerlichen Konsequenzen ihrer Veranlagung aufklärt.
- Wiederkehrende mediale Berichterstattung und in der Öffentlichkeit geführte Diskussion betreffend Steuerrisiko bei Veranlagungen in der Schweiz seit 2004.
Vor diesem Hintergrund war der von der Steuerpflichtigen behauptete Rechtsirrtum nach Ansicht des BFG nicht glaubhaft.
3. VwGH 09.12.2021, Ra 2021/13/0040: Keine Verletzung von Verfahrensgrundsätzen
Eine Selbstanzeige kann nach Ansicht des VwGH im Abgabeverfahren ein Beweismittel sein (Rz 16). Auch wenn aus der bloßen Erstattung einer Selbstanzeige nicht automatisch auf Vorsatz geschlossen werden kann, ermöglicht die Erstattung einer Selbstanzeige Rückschlüsse auf die subjektive Tatseite (Rz 17).
Der VwGH hat die vom BFG auf den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut basierende Schlussfolgerungen nicht in Zweifel gezogen. Der Revisionswerberin ist es nicht gelungen, die Beweiswürdigung des BFG zu erschüttern.
Aufgrund der ausdrücklichen Feststellungen des BFG samt gesonderter Beweiswürdigung und Erwägungen zur Frage des Vorsatzes verneint der VwGH das Vorliegen eines (relevanten) Begründungsmangels. Darüber hinaus weist der VwGH einen Verstoß gegen die Bindungswirkung der aufhebenden VwGH-Entscheidung im ersten Rechtsgang zurück, da das BFG im zweiten Rechtsgang nunmehr jene Feststellungen trifft, die eine erschöpfende Beurteilung des maßgeblichen Sachverhalts ermöglichen; das BFG-Erkenntnis enthält entsprechende Feststellungen zur strittigen Frage.
4. Auf den Punkt gebracht
Finanzverwaltung und BFG begründen in freier Beweiswürdigung die vorsätzliche Hinterziehung von Abgaben seit einigen Jahren in „Schweiz-Fällen“ überwiegend mit der allgemeinen Lebenserfahrung, insbesondere mit der medialen Berichterstattung iZm Kapitalveranlagungen in Steueroasen seit 2004. Nach der aktuellen Rechtsprechung des VwGH ist diese Vorgangsweise nicht zu beanstanden.
Dass solche allgemeinen Feststellungen nach Ansicht des VwGH eine erschöpfende und damit tragfähige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhalts ermöglichen, verschlechtert die Verteidigungsposition eines tatsächlich irrenden Steuerpflichtigen erheblich. Umso mehr muss im konkreten Einzelfall belastbares Beweismaterial beigebracht und Augenmerk auf den finanzstrafrechtlichen Zweifelsgrundsatz und die Unschuldsvermutung gelegt werden, um einen Vorsatzvorwurf erschüttern zu können. Unabhängig von diesen Überlegungen hat der VwGH bestätigt, dass allein aus dem Umstand der Erstattung einer Selbstanzeige kein Schuldvorwurf abgeleitet werden kann.
Zum ersten Rechtsgang siehe Tax News 2/2020.
Zum Beweismaß betreffend die verlängerte Verjährungsfrist in der BAO siehe Tax News 01/2022: BFG zur verlängerten Verjährung bei hinterzogenen Abgaben in der BAO: Beurteilung der Hinterziehung anhand finanzstrafrechtlicher Maßstäbe
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