BFG zur verlängerten Verjährung bei hinterzogenen Abgaben in der BAO

Tax News 01/2022

Verfahrensrecht

Kletterer

Die Witwe eines Arztes hatte die Steuerpflicht von Unterstützungsleistungen der Ärztekammer im Jahr 2012 nicht erkannt. Nach Ansicht des BFG gelang es dem Finanzamt nicht, eine vorsätzliche Hinterziehung der Einkommensteuer nachzuweisen: Notwendig ist nämlich die volle Überzeugung vom Vorliegen des Vorsatzes. Die abgabenrechtliche Verjährung trat somit bereits nach 5 und nicht erst nach 10 Jahren ein.

1. Sachverhalt: Bestattungsbeihilfe nicht als ESt-pflichtige Einkünfte erklärt

Die Witwe eines Arztes erhielt im Jahr 2012 aus der Wohlfahrtskasse der Ärztekammer Bestattungsbeihilfe sowie Hinterbliebenenunterstützung. Es handelte sich hiebei um Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Mangels Kenntnis von der Steuerpflicht wurden die Einkünfte von der Witwe jedoch nicht erklärt.

Im Jahre 2019 erfuhr das Finanzamt (FA) von den Einkünften und setzte die ESt 2012 fest. Die relative Verjährung war zwar bereits mit Ende 2017 eingetreten. Jedoch lag nach Ansicht des FA eine vorsätzliche Abgabenhinterziehung vor. Die Verjährungsfrist beträgt diesfalls 10 Jahre. Eintritt Verjährung: 2022. Die Annahme einer vorsätzlichen Hinterziehung stützte das FA auf ein Informationsschreiben der Ärztekammer über die Steuerpflicht der Leistungen, welches im Jahr 2012 an die Witwe versandt worden war.

2. BFG 09.09.2021, RV/6100030/2020: KEINE Abgabenhinterziehung

Die Steuerpflicht der Einkünfte wird durch das Gericht bestätigt. Nach Ansicht des BFG liegt jedoch aus folgenden Gründen KEINE vorsätzliche Abgabenhinterziehung vor:

  • Die Witwe war im Jahr 2012 steuerlich nicht vertreten.
  • Das Vorliegen eines Irrtums betr die Steuerpflicht lässt sich nicht zweifelsfrei ausschließen.
  • Die Zustellung des Informationsschreibens an die Witwe kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden.

3. Anmerkung: Finanzstrafrechtliches Beweismaß auch im Abgabenrecht

In der Praxis ist iZm der 10jährigen abgabenrechtlichen Verjährungsfrist strittig, welches Beweismaß bei der Beurteilung anzuwenden ist, ob eine Abgabe vorsätzlich hinterzogen wurde oder nicht:

  • Im BAO-Verfahren ist grds ein Überzeugungsgrad von knapp über 50 % ausreichend.
  • Für Zwecke des FinStrG bedarf es dagegen der vollen Überzeugung des Richters – ein Überzeugungsgrad, bei dem „nur wenige Promille zur Hundertprozentgrenze“ fehlen (BFG 09.09.2021, RV/6100030/2020 mwN).

In der vorliegenden Entscheidung hält das BFG nunmehr unmissverständlich fest, dass auch bei der Beurteilung der abgabenrechtlichen Verjährung vorsätzlich hinterzogener Abgaben der finanzstrafrechtliche Maßstab anzuwenden ist. Unschuldsvermutung und Zweifelsgrundsatz gelten somit auch bei der abgabenrechtlichen Verjährung nach der BAO.

In einem ähnlich gelagerten Fall verneinte das BFG vor kurzem ebenso die vorsätzliche Hinterziehung einer von der Ärztekammer gewährten Todesfallbeihilfe (BFG 28.09.2021 RV/5100089/2020). Das Gericht bejahte das Vorliegen eines entschuldbaren Irrtums iSd § 9 FinStrG: „BFG zu Nichtversteuerung der Todesfallbeihilfe: Erfolgreiche Vorsatzentkräftung“.

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