BFH: Amtliche Richtsatzsammlung des BMF auf dem Prüfstand
Der BFH hat mit Urteil vom 18. Juni 2025 (X R 19/21) erhebliche Zweifel daran geäußert, dass sich die amtliche Richtsatzsammlung des BMF in ihrer bisherigen Form als Grundlage für eine Schätzung von Besteuerungsgrundlagen eignet.
Im vorliegenden Fall ging es um die Anforderungen an die Aufzeichnungen bei der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich und die Verwendung einer offenen Ladenkasse. Der BFH stellte fest, dass Mängel in der Kassenführung bei Bargeschäften die Ordnungsmäßigkeit der gesamten Buchführung infrage stellen können. Das Finanzamt könne daher die Besteuerungsgrundlagen schätzen. Dabei sei das Finanzamt grundsätzlich frei in der Wahl der Schätzungsmethoden, müsse jedoch die allgemeinen Grundsätze pflichtgemäßen Ermessens beachten.
Der Kläger betrieb eine Diskothek in Hamburg, deren Kassenführung als unzureichend bewertet wurde, da keine Kasseneinzelaufzeichnungen vorlagen. Der Prüfer des Finanzamts führte eine Nachkalkulation der Getränkeumsätze durch und stellte unter einem Rohgewinnaufschlag von 554,80 % erhebliche Abweichungen fest. Das FG Hamburg bestätigte die Schätzungsbefugnis des Finanzamts (gem. § 162 AO), beanstandete jedoch die angewandte Schätzungsmethode. Es legte stattdessen einen Rohgewinnaufschlagsatz von 300 % zugrunde, basierend auf der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF und einem Bericht über Betriebsprüfungen bei Diskotheken.
In seiner Revisionsbegründung trug der Kläger vor, dass in Anbetracht der Unzulässigkeit einer auf der BMF-Richtsatzsammlung beruhenden Schätzung allenfalls ein pauschaler Sicherheitszuschlag zu den erklärten Besteuerungsgrundlagen von 5 % in Betracht kommt.
Der BFH hob das Urteil des FG auf und verwies die Sache zurück an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung, da die vorgenommene Hinzuschätzung in Form eines äußeren Betriebsvergleichs auf der Grundlage der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF nicht nachvollziehbar begründet worden sei und Zweifel an der Eignung der Richtsatzsammlung bestünden.
Laut BFH ist grundsätzlich ein innerer Betriebsvergleich als die zuverlässigere Schätzungsmethode anzusehen. Der äußere Betriebsvergleich, insbesondere die Richtsatzschätzung, sei hingegen mit starken Unsicherheiten verbunden. Eine besondere Form des äußeren Betriebsvergleichs sei die sogenannte Richtsatzschätzung, bei der eine Schätzung anhand der Kennzahlen der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF erfolgt. Diese Methode wird vom BFH zwar bislang als grundsätzlich zulässig anerkannt, allerdings äußerte der BFH zuletzt Zweifel (X R 19/21). Ungeachtet dessen, müsse nachvollziehbar begründet werden, warum im Fall der Verwendung von Richtsätzen einer anderen Gewerbeklassen trotzdem ein Betriebsvergleich möglich und geboten erscheint. Die Begründung des FG entspreche dieser Anforderung nicht, da u. a. unklar blieb, warum zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen der vom Kläger betriebenen Diskothek im Schätzungswege die in der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF festgelegten Richtsätze für Gaststätten herangezogen werden können. Eine Diskothek lasse sich keiner der in der amtlichen Richtsatzsammlung aufgeführten Gewerbeklassen zuordnen.
Für den weiteren Verlauf des Verfahrens vor dem FG weist der BFH – ohne Bindungswirkung – darauf hin, dass eine Hinzuschätzung auf der Grundlage der amtlichen Richtsatzsammlung im Streitfall im Zweifel nicht in Betracht komme. Ein allgemeiner äußerer Betriebsvergleich ohne Rückgriff auf die amtliche Richtsatzsammlung werde unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Betriebs des Klägers im Zweifel ebenfalls nicht geeignet sein. Daher werde das Ermessen des FG bei der Wahl der in Betracht kommenden Schätzungsmethoden voraussichtlich eingeschränkt sein. Hingegen erscheine im Streitfall eine Nachkalkulation auf der Grundlage des Wareneinsatzes ermessensgerecht und naheliegend.
Ergänzend weist der BFH darauf hin, dass erhebliche Zweifel an der Eignung der Richtsatzsammlung in ihrer bisherigen Form als Grundlage für eine Schätzung bestehen. Zwar sei der äußere Betriebsvergleich eine in der Praxis notwendige, gleichwohl grundsätzlich nachrangige Schätzungsmethode. Die Zweifel beruhten jedoch auf der fehlenden statistischen Repräsentativität der zur Ermittlung der Richtsätze herangezogenen Daten und auf dem von vornherein vorgenommenen Ausschluss bestimmter Gruppen von Betrieben aus der Grundgesamtheit. Außerdem fehle es sowohl in der Betriebsprüfungspraxis als auch in der finanzgerichtlichen Praxis in Richtsatz-Schätzungsfällen bisher häufig an der erforderlichen nachvollziehbaren Begründung, insbesondere für die Wahl des konkret herangezogenen Richtsatzes aus der weiten, vom BMF für die jeweilige Gewerbeklasse angegebenen Spanne.
Fundstelle: BFH-Urteil X R 19/21
News-Kategorie: Rechtsprechung
Veröffentlichungsdatum: 02.10.2025
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