• 1000

BFH: EuGH-Vorlage zum Bestehen eines unionsrechtlichen Anspruchs auf einen Steueranrechnungsvortrag im früheren Körperschaftsteuer-Anrechnungsverfahren

Der BFH hat dem EuGH verschiedene Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, die die Anrechnung einer ausländischen Steuer in Deutschland unter dem früheren Körperschaftsteuer-Anrechnungsverfahren betreffen (Entscheidung vom 26.03.2025, I R 6/22).

Eine inländische AG (Klägerin) hielt seit 1992 Anteile an einer griechischen Aktiengesellschaft (AE). Die AG erzielte in den für den Streitfall maßgeblichen Jahren fortlaufend Verluste. In den Jahren 1993 bis 2000 bezog die AG Dividenden von der AE, die mit griechischer Körperschaftsteuer wirtschaftlich vorbelastet waren. Eine Quellensteuer wurde in Griechenland nicht abgezogen.

In den Jahren 1993 bis 2001 berücksichtigte das Finanzamt die vereinnahmten Bruttodividenden bei der Ermittlung des (negativen) zu versteuernden Einkommens. Dadurch wurden die laufenden Verluste gemindert, was wiederum die festgestellten Verlustvorträge reduzierte. Die griechische Körperschaftsteuer wurde weder im jeweiligen Jahr des Dividendenbezugs noch in dem ersten Jahr, in dem die AG den Verlustvortrag übersteigende Gewinne erzielt hat (voraussichtlich 2002), angerechnet.

Die AG erhob nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage gegen die Körperschaftsteuerbescheide und Verlustfeststellungen für die Jahre 1997 bis 1999, mit der sie die Beseitigung eines Verstoßes gegen das Unionsrecht begehrte, der sich aus der fehlenden Anrechnung der griechischen Körperschaftsteuern trotz Kürzung ihres Verlustvortrags um den Betrag der bezogenen Dividenden ergebe. Außerdem erhob sie Klage gegen den Körperschaftsteuerbescheid für 2002, mit der sie die indirekte Anrechnung der von der AE auf die ausgeschütteten Gewinne der Jahre 1993 bis 2000 gezahlten griechischen Körperschaftsteuern auf ihre deutsche Körperschaftsteuer begehrte (Anrechnungsvortrag). Dabei berief sie sich auf die Niederlassungsfreiheit und die Mutter-Tochter-Richtlinie.

Allein auf der Grundlage der deutschen innerstaatlichen Gesetze ist die Klage nach Ansicht des BFH unbegründet. In den Jahren des Bezugs der Dividenden von der griechischen Tochtergesellschaft galt für in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Ausschüttungsempfänger (wie die AG) noch das frühere körperschaftsteuerrechtliche Anrechnungsverfahren. Ausschüttungen gingen vollständig in die steuerliche Bemessungsgrundlage des Gesellschafters ein. In Verlustjahren verminderten sie den jeweils in das Folgejahr vortragsfähigen Verlustvortrag. Die wirtschaftliche Doppelbelastung ausgeschütteter Gewinne mit Steuern wurde in dem Fall, dass auch die ausschüttende Kapitalgesellschaft in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig gewesen ist, dadurch ausgeglichen, dass die von der ausschüttenden Gesellschaft auf die ausgeschütteten Gewinne gezahlte Körperschaftsteuer vollständig auf die Steuerschuld des Ausschüttungsempfängers angerechnet worden ist. Bei einem Anrechnungsüberhang wurde dieser dem Gesellschafter erstattet.

Für Ausschüttungen einer EU-Tochtergesellschaft war ebenfalls eine Steueranrechnung möglich, sofern die Ausschüttungen nicht bereits nach einem DBA steuerfrei waren. Allerdings war Voraussetzung für die Steueranrechnung die Entstehung einer deutschen Körperschaftsteuer im Jahr des Dividendenbezugs. Im Verlustfall, in dem keine Körperschaftsteuer entstand, sah das Gesetz weder eine Erstattung der ausländischen Steuer noch die Möglichkeit eines Vortrags des nicht nutzbaren Anrechnungspotentials in nachfolgende Veranlagungszeiträume vor. Das DBA Griechenland sah ebenfalls eine Steueranrechnung in Höhe von 30 % der griechischen Bruttodividenden in Deutschland vor. Aber auch für die abkommensrechtliche Steueranrechnung hätte eine deutsche Steuer entstehen müssen. Ein Anrechnungsvortrag war auch weder nach nationalem Recht noch nach dem DBA Griechenland möglich.

Nach Auffassung des BFH könnte die fehlende Gewährung eines Anrechnungsvortrags für die anrechenbaren ausländischen Steuern, die auf Dividenden entfallen, die den Verlustvortrag gemindert haben, gegen Art. 4 Abs. 1 der Mutter-Tochter-Richtlinie (90/435/EWG) verstoßen. Sofern die Mutter-Tochter-Richtlinie keinen Direktanspruch auf einen Anrechnungsvortrag gewährt, könnte sich ein solcher nach Ansicht des BFH als Folge eines Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit ergeben. Der BFH hat das Verfahren daher ausgesetzt und dem EuGH folgende vier Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

  1. Steht Art. 4 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 90/435/EWG nationalen Regelungen entgegen, nach denen Ausschüttungen einer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässigen Tochtergesellschaft bei einer Verluste erzielenden inländischen Muttergesellschaft zu einer Kürzung ihres Verlustvortrags in Höhe dieser Ausschüttungen führen, die von der Tochtergesellschaft auf die Ausschüttungen entrichteten Steuern jedoch weder im Jahr des Dividendenbezugs noch in dem Jahr, in dem die Muttergesellschaft die vorgetragenen Verluste übersteigende Gewinne erzielt, angerechnet werden? 

  2. Für den Fall, dass die erste Frage zu bejahen sein sollte: Ergibt sich dann, wenn ein Mitgliedstaat sich zur Umsetzung der Richtlinie 90/435/EWG in nationales Recht für das in Art. 4 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 90/435/EWG vorgesehene Anrechnungssystem entschieden hat und dieser Mitgliedstaat die Anrechnung deshalb nicht richtlinienkonform ausgestaltet hat, weil er eine Steueranrechnung ausschließlich in dem Jahr des Dividendenbezugs vornimmt, obwohl eine Besteuerung dieser Dividenden wegen im nationalen Recht vorgesehener Verlustvortragsmöglichkeiten auch in späteren Veranlagungszeiträumen eintreten kann, aus der Richtlinie ein Direktanspruch auf eine Steueranrechnung in Form eines Anrechnungsvortrags?

  3. Falls die Richtlinie 90/435/EWG keinen Direktanspruch auf einen Anrechnungsvortrag gewährt (Fragen zu 1. und 2.):

    Ergibt sich ein solcher Anspruch als Folge eines Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 52 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung des Vertrags von Maastricht beziehungsweise Art. 43 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung des Vertrags von Amsterdam, jetzt Art. 49 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon)?

  4. Ergibt sich eine andere Beurteilung der Fragen zu 1. bis 3. für die Dividenden, die die Muttergesellschaft nicht unmittelbar selbst bezogen hat, sondern die ihre ebenfalls ausschließlich Verluste erzielende hundertprozentige Tochtergesellschaft bezogen hatte (hier: Jahre 1993 bis 1996), bevor diese unter Übergang auch ihres Verlustvortrags auf die Muttergesellschaft verschmolzen worden ist?

 

Fundstelle: BFH-UrteilI R 6/22

News-Kategorie: Rechtsprechung