Scheinunternehmen: Verschärfungen durch die Novellierung des Sozialbetrugsbekämpfungsgesetzes
Tax News – KMU November 2024
Tax News – KMU November 2024
Erhöhung Risikobewusstsein von Mitarbeitenden in den Bereichen Lohnverrechnung, Buchhaltung und Steuerberatung
Vorbemerkung
Grundsätzlich handelt es sich bei Scheinunternehmen um kein neues Phänomen – das Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz ist bereits seit 1.1.2016 in Kraft. Allerdings bedienen sich Betrüger:innen zum Zwecke der Abgabenhinterziehung immer komplexerer Konstruktionen, die auch für Bilanzbuchhalter:innen, Lohnverrechner:innen und Steuerberater:innen nicht auf den ersten Blick erkennbar sind.
1. Verschärfungen im Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz
Das Bundeskriminalamt geht von einem ungeklärten Abfluss von Bargeld in Höhe von jährlich bis zu EUR 800 Mio. über Scheinunternehmen aus. Mit den geplanten Änderungen möchte man u. a. diesem Einnahmenausfall entgegenwirken. Die Änderungen im Überblick:
Sozialbetrugsdatenbank
Derzeit erfasst die Datenbank nur den Sozialbetrug, insbesondere Beitragsverkürzung en von bescheidmäßig festgestellten Scheinunternehmen.
Künftig soll auch der Verdacht auf Vorliegen eines Scheinunternehmens eingetragen werden können. Die Gesetzesmaterialien verweisen in diesem Zusammenhang auf das enorme Schadenspotenzial und sehen die Erweiterung daher als verhältnismäßig an. Das AMS soll Kooperationsstelle (bisher Informationsstelle) sein, um die Sozialbetrugsdatenbank besser nutzen zu können.
Ermittlungskompetenz
Das Amt für Betrugsbekämpfung (ABB) soll künftig auch bei Tatbeständen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Verwirklichung von Sozialbetrug (insbesondere §§ 146 ff und 148a StGB) ermitteln dürfen.
Scheinunternehmen: neue Finanzordnungswidrigkeit
Die meisten Scheinunternehmen bestehen nur kurz; Verantwortliche und Vermögenswerte sind daher schwer greifbar. Die neue Finanzordnungswidrigkeit möchte dem entgegenwirken und eine rasche, wirksame Handhabe bieten. § 51b FinStrG lautet: „Einer Finanzordnungswidrigkeit macht sich schuldig, wer mit dem Vorsatz, einen Geschäftsvorgang vorzutäuschen oder dessen wahren Gehalt zu verschleiern, für abgaben- oder monopolrechtlich zu führende Bücher oder Aufzeichnungen Belege verfälscht, falsche oder unrichtige Belege herstellt oder verfälschte, falsche oder unrichtige Belege verwendet.“
Die Gesetzesmaterialien zur neuen Bestimmung stecken die verwendeten Begriffe ab: Demnach verfälscht einen echten Beleg, wer dessen Inhalt unbefugt abändert und zugleich den Anschein erweckt, als stamme sein jetziger Inhalt vom Aussteller. Ein Beleg ist falsch, wenn scheinbarer und wirklicher Aussteller nicht identisch sind. Ein Beleg ist unrichtig, wenn eine inhaltlich unrichtige Tatsache als richtig dargestellt wird („Lugurkunde”). Verwenden soll auch das Aushändigen oder Überlassen solcher Belege an Dritte umfassen.
Diese Finanzordnungswidrigkeit ist nur bei vorsätzlicher Begehung strafbar. Die Strafdrohung reicht bis zu EUR 100.000.
Scheinunternehmen: Definition
Bisher war nach der gesetzlichen Definition eines Scheinunternehmens dieses vorrangig darauf ausgerichtet, Lohnabgaben, Beiträge zur Sozialversicherung, Zuschläge nach dem BUAG oder Entgeltansprüche von Arbeitnehmer:innen zu verkürzen oder Personen zur Sozialversicherung anzumelden, um Versicherungs-, Sozial- oder sonstige Transferleistungen zu beziehen, obwohl diese keine unselbstständige Erwerbstätigkeit aufnehmen.
Korrespondierend zur neuen Finanzordnungswidrigkeit im Finanzstrafgesetz wurde die Definition der vorrangigen Ausrichtung eines Scheinunternehmens um folgenden Tatbestand erweitert: „Belege zu verfälschen, zu verwenden, herzustellen, oder einem anderen Unternehmen zur Verfügung zu stellen, die dazu dienen, einen Geschäftsvorgang vorzutäuschen oder dessen wahren Gehalt zu verschleiern“.
Scheinunternehmen: Verdachtslage
Zusätzlich wurde gesetzlich geregelt, dass der Verdacht auf Vorliegen eines Scheinunternehmens auch bei konkreten Anhaltspunkten für die Unterstützung von Sozialbetrug in einer Unternehmenskette gegeben ist. Einschlägig ist insbesondere die Rechnungsstellung ohne zugrunde liegende Leistungen. Wenn ein konkreter Verdacht besteht, soll nun auch die Bundesgeschäftsstelle des AMS darüber zu informieren sein.
Verfahrensaspekte
Die Zustellung der Verdachtsmitteilung soll im Verfahren auf Feststellung des Vorliegens eines Scheinunternehmens auch bei Insolvenz unmittelbar an den Rechtsträger erfolgen; der Insolvenzverwalter soll informiert werden. Die persönliche Vorsprache soll auch bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens eine unmittelbare Verpflichtung des Rechtsträgers bzw. dessen organschaftlichen Vertreters bleiben. Die Parteistellung des Insolvenzverwalters soll unberührt bleiben. Künftig soll auch das Datum der Feststellung als Scheinunternehmen (= Zeitpunkt, ab dem das Unternehmen als Scheinunternehmen anzusehen ist) in der vom BMF im Internet zu veröffentlichenden Liste der rechtskräftig festgestellten Scheinunternehmen enthalten sein.
Sicherung von Geldtransaktionen („Freezing“)
Das Amt für Betrugsbekämpfung wurde ermächtigt, mit Bescheid einem Kredit- oder Finanzinstitut die vorübergehende Nicht-Abwicklung von Geldtransaktionen anzuordnen, wenn u. a. die Transaktion ein Unternehmen betrifft, das als Scheinunternehmen rechtskräftig festgestellt wurde.
Auftraggeberhaftung
Die Neuregelung umfasst auch Umgehungsversuche mit Subvergabekonstruktionen. Der:Die Auftraggeber:in haftet bei Zwischenschaltung von Subunternehmen für Entgeltansprüche von Arbeitnehmer:innen eines in der Kette weiter unten gereihten Scheinunternehmens. Entscheidend ist, dass der:die Auftraggeber:in im Zeitpunkt der Auftragserteilung wusste oder wissen musste, dass es sich bei einem nachfolgenden Unternehmen um ein Scheinunternehmen handelt.
2. Lohnverrechner:innen, Buchhalter:innen und Steuerberater:innen als mögliche Beitragstäter:innen
Für Vertreter:innen und Berater:innen besteht aufgrund ihrer Tätigkeiten ein besonderes Risiko, sich als Täter:in eines Finanzvergehens strafbar zu machen. Die besondere Risikogeneigtheit ihrer Tätigkeit ist v. a. durch folgende Umstände begründet:
- Vertrauensbeziehung zu Mandanten:innen
- Minimierung der Steuerbelastung
- umfassende Pflichtenwahrnehmung
Eine Strafbarkeit von steuerlichen Vertreter:innen und Berater:innen wegen Beteiligung an Finanzvergehen ihrer Mandant:innen könnte in Betracht kommen, wenn sie
- durch Beratung den Entschluss beim Abgabepflichtigen, ein bestimmtes Finanzvergehen zu begehen, vorsätzlich auslösen (Bestimmungstäterschaft) oder den bereits gefassten Entschluss bestärken (psychische Beitragstäterschaft) oder
- durch Mitwirkung im Vorbereitungsstadium (z. B. Erstellen von unrichtigen Bilanzen) oder bei der Ausführung (z. B. Erstellen und Einreichen unrichtiger Erklärungen) das Finanzvergehen des Klienten fördern (physische Beitragstäterschaft).
In welcher Täterschaftsform die Vertreter:innen handeln, hängt von dem ihnen erteilten Auftrag ab. Betrauen Klient:innen ihre steuerliche Vertretung mit der Wahrnehmung all ihrer steuerlichen Angelegenheiten, ist der:die Vertreterin Wahrnehmender und kann unmittelbarer Täter sein. Um eine (unbewusste) Mitwirkung an einem Finanzvergehen auszuschließen ist anzuraten, bereits auf Ebene der Lohnverrechnung und/oder Buchhaltung auf folgende mögliche Hinweise auf Vorliegen eines Scheinunternehmens zu achten:
- Eine kurze „Lebensdauer“ der Firmen
- Im Firmenbuch eingetragene Geschäftsführer, die man nie zu Gesicht bekommt
- Häufig wechselnde Mitarbeitende, die ihre angeblichen Dienstgeber gar nicht kennen
- Atypische Firmenfahrzeuge (z. B. ohne übliche Beschriftung, ausländische Kennzeichen)
- Keine angemessenen Geschäftsräume bzw. Betriebsstätten
- ungewöhnliche Abrechnungen
- Rein mündliche Geschäftsanbahnungen
- Ad-hoc-Kalkulationen
- Nichtnennung von üblichen Auftragsbedingungen
- Bei größeren Auftragsumfängen keine schriftlichen Auftragsvereinbarungen
- Marktunübliche Preisgestaltung
3. Wie können wir unterstützen
Um die oben dargestellten Risiken zu minimieren, empfehlen wir, Rechnungen von neuen Zulieferern zu überprüfen und dabei den Firmennamen mit der Liste der Scheinunternehmen abzugleichen. Ist dies in der laufenden Buchhaltung nicht möglich, weil das Scheinunternehmen in der Liste des BMF noch nicht aufscheint, sollte eine abermalige Überprüfung im Rahmen der Jahresabschlusserstellung nachgeholt werden. Gerne unterstützen wir Sie mit unserer finanzstrafrechtlichen Expertise.