Steuerungsstrategie "Krisenmodus" ist nicht nachhaltig

Der Wirtschaftsausblick Ende des Jahres 2022 ist deutlich eingetrübt. Die Wahrscheinlichkeit einer Rezession ist hoch, so die einhellige Einschätzung nicht nur für Österreich. Während das deutsche Wachstum für das Gesamtjahr 2023 mit -0,4 Prozent (ifo1) deutlich negativ ist, reicht es in Österreich noch für eine schwarze Null (0,2 Prozent WIFO2). Aber auch hierzulande ist eine technische Rezession (zwei Quartale mit negativem Wirtschaftswachstum) wahrscheinlich.

Die Auslöser sind breit gestreut: Zweistellige Inflationsraten (Oktober 2022: 11,0 Prozent3), deren Ursache in einem vielfältigen angebotsseitigen Schock liegen, gepaart mit steigendem Zinsniveau und hoch volatilen Energie- und Rohstoffpreisen – und der Krieg in der Ukraine, bei dem auch nach fast neun Monaten kein Ende absehbar ist. Ein Umfeld, das die Wirtschaftspolitik auf den Plan ruft. Unterstützen – wo auch immer notwendig und mit allen erforderlichen Mitteln – ist nicht nur das Gebot der Stunde, sondern mittlerweile bereits das Gebot von Jahren.

Denn so wichtig es auch ist, bei unerwarteten und massiven exogenen Schocks gegenzusteuern, so sehr ist auch darauf hinzuweisen, dass die langfristige Steuerungsstrategie „Krisenmodus“ nicht nachhaltig ist.

Bremsbereites Fahren ist in manchen Situationen geboten und unerlässlich – ausschließlich bremsbereites Fahren wird jedoch dazu führen, dass man sich seinem Ziel nicht mehr wirklich annähert.

Die Wirtschaftspolitik befindet sich in einer vergleichbaren Situation. Der „Kampf gegen die Krise“ ist derzeit nur sehr eingeschränkt vereinbar mit der Umsetzung von strukturellen, also langfristig wirksamen Reformen. Es wird auf kurze Sicht gefahren und das umgesetzt, was „in der Krise hilft“.

Blickt man zum nördlichen Nachbar und der massiven Änderung der Struktur des Sozialsystems mit dem Konzept Bürgergeld, findet man ein Beispiel für das geflügelte Wort „das Gegenteil von ‚gut‘ ist ‚gut gemeint‘“. So wichtig es ist, ein dichtes soziales Netz zu spannen, so problematisch sind die potenziellen Folgeeffekte für den ohnehin schon mehr als angespannten Arbeitsmarkt und den Fach- und Arbeitskräftemangel.

Es ist Martin Kocher hoch anzurechnen, die Notwendigkeit der Reform des Arbeitsmarktes, die im Gegensatz zur deutschen Initiative tatsächlich zukunftsgerichtet ist, zu erkennen, und für diese Reform zu kämpfen. Einer von vielen essenziellen strukturellen Impulsen für den Standort. Die Liste wäre beliebig verlängerbar: Verkürzung von Genehmigungsverfahren für nachhaltige Energieprojekte oder ein offensives Umgehen mit den aktuellen und zukünftig noch verstärkenden Herausforderungen der Demographie sind nur wenige Beispiele.

Diese Probleme sind keine Hypothesen, sondern offensichtlich. Die Situation ist aber nicht aussichtslos, nur: Es müssen die Dinge auch gemacht werden. Es wäre unendlich schade, wenn sich unter anderem der wichtige Teilbereich der Arbeitsmarktreform wieder in Detailproblemen verliert. Ansonsten wird „das machen wir nach der Krise“ eine perspektivisch langfristige Krise, nämlich eine des Standorts an sich.

Trotz der alles andere als rosigen aktuellen Prognosen, es gibt auch positive Signale: So geht der Auftrieb der Erzeugerpreise langsam zurück und der Konsum entwickelt sich trotz schlechter Stimmung und sinkender Realeinkommen nicht so negativ wie befürchtet. Ja, es wird herausfordernd, aber das Risiko einer tiefen Rezession ist gering.

Blicken wir also auch über den Krisenhorizont, und treten durchaus ein bisschen fester auf das Reform-Gaspedal. Lassen wir uns die Reformchancen nicht entgehen. Es wäre schade, denn die Potenziale sind großartig.

1 IFO, 29.09.22 https://www.ifo.de/fakten/2022-09-29/gemeinschaftsdiagnose-herbst-2022-energiekrise-inflation-rezession 

2 WIFO-Mittelfristprognose, 16.11.22 https://www.wifo.ac.at/news/energiepreisschock_truebt_auch_mittelfristig_die_wirtschaftsaussichten

3 Statistik Austria, https://www.statistik.at/fileadmin/announcement/2022/11/20221117VPIOktober2022.pdf