Leistungsortbestimmungen bleiben auch bei Beteiligung an Mehrwertsteuerhinterziehung unberührt
Tax News 11-12/2022
Umsatzsteuer
In einem österreichischen Vorabentscheidungsersuchen hat der EuGH (am 27. Oktober 2022 in der Rechtssache C-641/21, Climate Corporation Emissions Trading GmbH) zur Frage des Leistungsortes bei der Übertragung von Treibhausgasemissionszertifikaten entschieden, dass der sich im Empfängerland befindliche Leistungsort nicht als im Ursprungsland befindlich angesehen werden kann, auch wenn der leistende Unternehmer von einem Mehrwertsteuerbetrug wusste.
1. Zusammenfassung des Sachverhaltes
Im Jahr 2010 veräußerte die Climate Corporation Emissions Trading GmbH (kurz: Climate Corporation) Treibhausgasemissionszertifikate gegen Entgelt an die Bauduin Handelsgesellschaft mbH mit Sitz in Hamburg. Im Umsatzsteuerbescheid für 2010 beurteilte das Finanzamt die Übertragungen der Treibhausgasemissionszertifikate als steuerpflichtige Lieferungen von Gegenständen ein, die nicht unter die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen fallen. Das Finanzamt war der Ansicht, dass die Bauduin Handelsgesellschaft mbH als Missing Trader an Mehrwertsteuerhinterziehungen in Form eines Mehrwertsteuerkarussells beteiligt war und Climate Corporation davon gewusst hat oder davon wissen hätte müssen. Climate Corporation legte gegen diesen Bescheid Beschwerde beim vorlegenden Bundesfinanzgericht ein.
2. Ansicht des Bundesfinanzgericht
Das BFG führte aus, dass Übertragungen von Treibhausgasemissionszertifikate als Dienstleistungen und nicht als Lieferungen von Gegenständen einzustufen seien (mit Verweis auf das EuGH Urteil vom 08.12.2016, C‑453/15, A und B). Demnach liege der Ort der von Climate Corporation erbrachten Dienstleistungen in Deutschland. Aufgrund der betrügerischen Verwendung der verkauften Zertifikate legte das BFG dem EuGH zusammengefasst die Frage vor, ob die zu den innergemeinschaftlichen Lieferungen ergangene Rechtsprechung (uA EuGH vom 18.12.2014, C-131/13, Schoenimport Italmoda) auch auf grenzüberschreitende Dienstleistungen entsprechend anwendbar ist und daher der Ort der Dienstleistung in Österreich und nicht in Deutschland liege.
2. Entscheidung des EuGH
Dem Vorbringen, dass die Vorlagefrage des österreichischen BFG aufgrund des Besteuerungsrechtes von Deutschland unzulässig sei, folgt der EuGH nicht, teilt aber die Ansicht, dass die streitgegenständliche Übertragung von Treibhausgasemissionszertifikaten als Dienstleistung einzustufen ist und der Leistungsort im Mitgliedstaat des Empfängers der Leistung (daher in Deutschland) liegt.
Der EuGH wiederholt sodann seine gängige Rechtsprechung, wonach die nationalen Behörden und Gerichte in der MwStSyst-RL vorgesehene Rechte wie das Recht auf Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung, die betrügerisch oder missbräuchlich geltend gemacht werden, grundsätzlich versagen können oder sogar müssen.
Da es sich im streitgegenständlichen Sachverhalt nicht um die Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung handelt, sondern um die Bestimmung des Ortes der Besteuerung, sind diese Grundsätze nach dem EuGH nicht übertragbar. Vielmehr hätte nach dem EuGH eine Auslegung, dass im Falle von Mehrwertsteuerhinterziehung der Ort der Dienstleistung im Ursprungsland anstatt im Bestimmungsland angesehen wird, zur Folge, dass die Besteuerungsbefugnis des Bestimmungslandes eingeschränkt wird, ohne dass es dafür eine Rechtsgrundlage gäbe. Zudem widerspräche dies den Zielen und der allgemeinen Systematik der Leistungsortregelungen.
Bezugnehmend auf die Ähnlichkeit der grenzüberschreitenden Dienstleistung mit der grenzüberschreitenden innergemeinschaftlichen Lieferung - die beim Vorliegen von Mehrwertsteuerhinterziehung nicht steuerfrei ist - stützt der EuGH seine abweichende Auslegung auf die rechtliche Unterschiedlichkeit der Regelungen. Anders als bei innergemeinschaftlichen Dienstleistungen stellen eine innergemeinschaftliche Lieferung und der korrespondierende innergemeinschaftliche Erwerb, der einen 2. Steuertatbestand bildet, ein und denselben wirtschaftlichen Vorgang dar. Hinsichtlich dieses einen wirtschaftlichen Vorgangs sind die Besteuerungsbefugnisse einerseits auf den Abgangsmitgliedstaat und andererseits auf den Bestimmungsmitgliedstaat aufgeteilt und es liegt in der Verantwortung des Abgangsmitgliedstaates die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung bei Mehrwertsteuerhinterziehung zu Versagen. Im Gegensatz dazu wird dem Mitgliedstaat, in dem der Erbringer einer Dienstleistung ansässig ist, keine Befugnis eingeräumt, Mehrwertsteuer auf eine solche Dienstleistung zu erheben.
Allerdings stehe es den Mitgliedstaaten nach dem EuGH frei, Sanktionen zu verhängen, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu verhindern. Diese Maßnahmen dürfen jedoch nicht über das zur Erreichung dieser Ziele Erforderliche hinausgehen.
3. Conclusio
Das Besteuerungsrecht einer Dienstleistung kann nicht unter Verstoß gegen den eindeutigen Wortlaut des Art 44 MwStSyst-RL geändert werden, auch wenn der betroffene Umsatz iZm einer Mehrwertsteuerhinterziehung steht. Es können jedoch gegen den betroffenen Steuerpflichtigen Sanktionen verhängt werden.
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