Die deutsche Organschaft auf dem Prüfstand

Tax News 11-12/2022

Umsatzsteuer

Kletterer

Am 1. Dezember 2022 wurden die EuGH Urteile zu den Rechtssachen Finanzamt T (C‑269/20) und Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie (C-141/20) veröffentlicht. Der EuGH musste sich in diesen Rechtssachen mit verschiedenen Detailfragen der deutschen Umsetzung der Organschaft auseinandersetzen. Da die deutsche Umsetzung der Organschaft der österreichischen Umsetzung ähnelt, könnten die Urteile auch Auswirkungen auf österreichische Organschaften haben.

Rechtssache Finanzamt T (C‑269/20)

Die deutsche Stiftung öffentlichen Rechts, S, betreibt einen Gebäudekomplex in dem sich ein Krankenaus sowie Hörsäle und Labore befinden. Der eigentliche Krankenhausbereich zur Versorgung von Patient:innen ist dem wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich von S zuzuordnen. DieHörsäle, Labore und andere Räume (7,6 % der Gesamtfläche), die zur Ausbildung der Studierenden verwendet werden, sind hingegen dem hoheitlichen Tätigkeitsbereich von S zuzuordnen sind.

S ist Organträgerin der U-GmbH, die entgeltliche Reinigungs-, Hygiene- und Wäschereileistungen für den Gebäudekomplex von S erbrachte. Nach Ansicht des Finanzamts wäre die Erbringung der Reinigungs-, Hygiene- und Wäschereileistungen für den hoheitlichen Bereich (7,6 %) als Eigenverbrauch zu versteuern. S jedoch behandelte den Umsatz als nicht steuerbaren Innenumsatz.

In diesem Zusammenhang wurden dem EuGH zwei Fragen vom BFH vorgelegt. In der ersten Vorlagefrage musste sich der EuGH damit auseinandersetzen, ob es unionsrechtskonform ist, dass in Deutschland bei einer Organschaft nicht ein neuer Steuerpflichtiger für Mehrwertsteuerzwecke gebildet wird, sondern ein Mitglied der Organschaft, der Organträger, zum Steuerpflichtigen der Organschaft wird.

Zur Beantwortung dieser Frage nahm der EuGH eine umfangreiche Auslegung der unionsrechtlichen Bestimmungen zur Mehrwertsteuergruppe vor. Der EuGH betont, dass die unionsrechtlichen Vorgaben zur Mehrwertsteuergruppe weder eine Vorgabe zur Bestimmung des Mitglieds, das die Mehrwertsteuergruppe vertritt, noch zu der Form, in der dieses die steuerlichen Pflichten der Mehrwertsteuergruppe wahrnimmt, vorsehen. Die Mehrwertsteuergruppe wurde mit dem Ziel der Verwaltungsvereinfachung und der Verhinderung bestimmter Missbräuche in der 6. MwSt-RL eingeführt. Diese Ziele stehen der deutschen Umsetzung, dass kein neuer Steuerpflichtiger durch die Gründung einer Organschaft entsteht, nicht entgegen. Ausschlaggebend jedoch ist, dass der Organträger in der Lage ist, seinen Willen bei den anderen Mitgliedern der Mehrwertsteuergruppe durchzusetzen, und somit eine genaue Erhebung der Mehrwertsteuer ermöglicht wird. Die deutsche Umsetzung der Organschaft, bei der der Organträger zum Steuerpflichtigen wird, steht diesen Voraussetzungen nicht entgegen und ist demnach richtlinienkonform.

Mit der zweiten Vorlagefrage befragte der BFH den EuGH, ob die erbrachten Leistungen der U-GmbH an ihre Organträgerin S für den hoheitlichen Bereich der Eigenverbrauchsbesteuerung zu unterwerfen sind. Einerseits hielt der EuGH fest, dass eine Subsumtion der Dienstleistung im hoheitlichen Bereich unter die Eigenverbrauchsbesteuerung zu dem Schluss führen würde, dass die Dienstleistung zu unternehmensfremden Zwecken erbracht worden wäre. Eine solche Auslegung widerspricht dem Sinn und Zweck der Eigenverbrauchsbesteuerung. Andererseits wurden die Dienstleistungen der U-GmbH entgeltlich für S erbracht. Die entgeltliche Erbringung von Dienstleistungen schließt jedoch gesetzlich die Anwendbarkeit der Eigenverbrauchsbesteuerung aus.

Rechtssache Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie (C-141/20)

Die deutsche NGD mbH hat zwei Gesellschafter: Gesellschafter A, eine Körperschaft öffentlichen Rechts, ist mit 51 % und Gesellschafter C e. V, ein eingetragener Verein, ist mit 49 % an der NGD mbH beteiligt. Die beiden Gesellschafter verfügten über jeweils 50 % der Stimmrechte. Aufgrund dieser Stimmrechtsvereinbarung im Gesellschaftsvertrag versagte das deutsche Finanzamt das Bestehen einer Organschaft zwischen NGD mbH und A, weil A zusätzlich zu der 51 %igen Beteiligung nicht mehr als 50% des Stimmrechts innehabe und deshalb das Kriterium der finanziellen Eingliederung nicht erfüllt sei.

Der BFH legte dem EuGH vier Vorlagefragen vor, wobei die erste Vorlagefrage und die Ausführungen des EuGH dazu der ersten Vorlagefrage aus der Rechtssache Finanzamt T (C‑269/20) gleichen. Aufgrund der Unionskonformität der deutschen Umsetzung in Bezug auf den Organträger als Steuerpflichtigen einer Organschaft war die zweite Vorlagefrage nicht zu beantworten.

In der dritten Vorlagefrage beschäftigt sich der EuGH mit den Voraussetzungen für die finanzielle Eingliederung. Der BFH wollte insbesondere wissen, ob zusätzlich zu einer Mehrheitsbeteiligung eine Stimmrechtsmehrheit notwendig ist, damit eine finanzielle Eingliederung erfüllt ist. Dabei betonte der EuGH, dass die enge Verbindung durch finanzielle Beziehungen nicht zu restriktiv ausgelegt werden darf. Das Bestehen eines Unterordnungsverhältnisses lässt zwar vermuten, dass zwischen den betreffenden Einheiten enge Verbindungen bestehen. Dennoch kann es nicht grundsätzlich als eine für die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe notwendige Voraussetzung angesehen werden. Eine Stimmmehrheit zur Mehrheitsbeteiligung ist demnach für das Vorliegen der finanziellen Eingliederung nicht notwendig.

Die vierte Vorlagefrage bezog sich darauf, ob Mitgliedstaaten Organmitgliedern aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Mehrwertsteuergruppe die „Selbstständigkeit“ iSd MwStSyst-RL versagen können. Der EuGH führte aus, dass zwar die Organträgerin die einzige Steuerpflichtige ist und deshalb die Steuererklärung im Namen aller Mitglieder dieser Gruppe abgeben muss. Dennoch können die Mitglieder der Mehrwertsteuergruppe, die mit ihrer jeweiligen wirtschaftlichen Tätigkeit einhergehenden wirtschaftlichen Risiken selbst tragen. Folglich ist davon auszugehen, dass diese Mitglieder eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit nachgehen und daher nicht im Wege der Typisierung aufgrund ihrer bloßen Zugehörigkeit zu einer Mehrwertsteuergruppe als „nicht selbständig“ eingestuft werden können. Der EuGH sieht diese Auslegung darin bestätigt, dass in einer Mehrwertsteuergruppe zwar enge finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen vorliegen müssen, die MwStSyst-RL jedoch nicht vorsieht, dass die Organmitglieder eine nicht selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Die Zugehörigkeit zu einer Organschaft bedeutet demnach nicht, dass die eingegliederten Organgesellschaften per se nicht selbstständig sind.

Ausblick

Da die österreichische Umsetzung in § 2 Abs 2 UStG der deutschen Umsetzung der Organschaft ähnelt, können die vorliegenden Urteile Auswirkungen auf Organschaften in Österreich haben. In dieser Hinsicht dürfte auch die österreichische Umsetzung der Organschaft, bei welcher der Organträger der Unternehmer der Organschaft ist, unionsrechtskonform sein. Allerdings widerspricht die lt EuGH fehlende Notwendigkeit der Stimmmehrheit der engen Auslegung der österreichischen Finanzverwaltung, wonach für eine finanzielle Eingliederung eine Stimmmehrheit von mehr als 50 % notwendig ist (siehe USt 2000 Rz 236). Es ist mit Spannung zu erwarten, wie der BFH die Antworten des EuGH umsetzen wird und inwiefern diese EuGH-Urteile von der österreichischen Finanzverwaltung in die Wartung der UStR 2000 aufgenommen werden.

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