Ab Frühjahr 2024 werden die ersten Konzernabschlüsse von Versicherungsunternehmen, die nach IFRS 17 (Versicherungsverträge) und IFRS 9 (Finanzinstrumente) zu erstellen sind, veröffentlicht. Aber nicht nur Konzernabschlüsse sind von IFRS 17 betroffen. Insbesondere in einigen CEE-Ländern müssen die statutarischen Jahresabschlüsse nach IFRS erstellt werden, während in Österreich und vielen westeuropäischen Ländern weiterhin ausschließlich Konzernabschlüsse börsennotierter Unternehmen betroffen sein werden.

Aus unserer Sicht ist eine verpflichtende Anwendung in Österreich undenkbar, jedenfalls aber in unserem Rechtssystem äußerst kontraproduktiv. Nicht nur, dass das Steuerrecht weiterhin die Maßgeblichkeit der UGB-Bilanz für die Steuerbilanz vorsieht, im Versicherungsbereich kommt auch noch die Bedeutung des UGB-Abschlusses als Gewinnbeteiligungsbemessungsgrundlage dazu. Sowohl in den meisten Versicherungsbedingungen als auch in der Rechnungslegungsverordnung wird die Gewinnbeteiligungsbemessungsgrundlage auf Basis von UGB-Zahlen definiert. Jeder Wechsel wäre mit sehr komplexen und teilweise willkürlichen Übergangsregeln verbunden, die auch tief in die Rechte der Versicherungsnehmer eingreifen würden.

Eingeschränkte Vergleichbarkeit

Somit bleibt die Erkenntnis, dass Konzernabschlüsse von europäischen Versicherungsunternehmen weiterhin nur eingeschränkt vergleichbar sein werden. Börsennotierte Konzerne haben bekanntlich nach IFRS zu bilanzieren, alle anderen können den Konzernabschluss nach dem Recht des jeweiligen Landes oder nach IFRS erstellen. Ähnliches gilt für Jahresabschlüsse von österreichischen Versicherungsunternehmen (UGB) und eine Reihe anderer europäischer Länder (zB IFRS in der Slowakei, Kroatien und dem Baltikum).

Um die Vermögens- und Ertragslage von Versicherungen auf Basis von Jahresabschlüssen vergleichen zu können, muss man daher in Zukunft einerseits auch ein Grundverständnis von IFRS 17 haben und andererseits überschlägige Berechnungen durchführen, um Vergleiche anstellen zu können.

Wesentliche Unterschiede zwischen UGB und IFRS

Im Bereich der Kapitalanlagen führt vor allem der IFRS 9 zu Unterschieden im Ergebnis. Während in UGB das gemilderte bzw das strenge Niederstwertprinzip anzuwenden ist, sind Finanzinstrumente (iW Wertpapiere und Darlehen) nach IFRS entweder zum Zeitwert oder zu fortgeschriebenen Anschaffungskosten zu bewerten. Die Bewertung zu fortgeschriebenen Anschaffungskosten ähnelt im Ergebnis stark der Bewertung zum gemilderten Niederstwertprinzip (und ist daher auch nach UGB im Rahmen der Anwendung des gemilderten Niederstwertprinzips umsetzbar). Immobilienvermögen ist nach UGB zum gemilderten Niederstwertprinzip unter Berücksichtigung planmäßiger Abschreibungen zu bewerten, gleiches gilt nach IFRS, allerdings ist in IFRS auch eine Bewertung zum Zeitwert optional möglich.

Eigenkapital

Wesentliche Unterschiede werden sich vor allem im Eigenkapital ergeben: Während bis Ende des letzten Jahres in UGB-Abschlüssen bei nahezu allen Kategorien von Kapitalanlagen wesentliche stille Reserven vorlagen, waren diese Reserven in IFRS-Abschlüssen durch die Anwendung der Zeitwertbewertung zu großen Teilen aufgedeckt. In Folge der Entwicklungen der letzten neun Monate an den Kapitalmärkten und des Verfalls der Zeitwerte der Kapitalanlagen sind die stillen Reserven seither erodiert und spätestens mit dem letzten Zinsschritt der EZB weitestgehend verschwunden. Dies ist in den UGB-Abschlüssen weder in Eigenkapital, noch in der Gewinn- und Verlustrechnung bemerkbar – da die Reserven ja „still“ waren. In IFRS resultiert aus dieser Entwicklung zwingend eine Reduktion des Eigenkapitals. Durch die besondere Buchungstechnik in IFRS (der Großteil der Wertänderungen wird nicht in der GuV, sondern in einem sonstigen Ergebnis „Other Comprehensive Income – OCI“ ausgewiesen) hat diese Reduktion des Eigenkapitals jedoch zumeist keine wesentliche Auswirkung auf das operative Ergebnis.

Gewinn- und Verlustrechnung

In der Gewinn- und Verlustrechnung ergeben sich wesentliche Auswirkungen aus der Bilanzierung der Kapitalanlagen vor allem dann, wenn die betroffenen Kapitalanlagen der Bewertungskategorie „At Fair Value Through Profit and Loss“ zuzuordnen sind. In diesem Fall sind die Wertänderungen direkt im operativen Ergebnis auszuweisen. In IFRS 9 sind dieser Kategorie vor allem Investmentfondsanteile (soweit es sich nicht um Spezialfondsanteile handelt) und Wertpapiere mit ausgerissenen Zins- und Rückzahlungsklauseln (strukturierte Wertpapiere, Wertpapiere mit eingebetteten Derivaten), bei denen es nicht nur um Bezahlung von Zins und Tilgung geht (sogenanntes „SPPI-Kriterium“), zugeordnet.

Finanzergebnisse

Vergleicht man zukünftig die Finanzergebnisse von Versicherungsunternehmen nach UGB und IFRS, ist aber plötzlich auch der Versicherungsbewertungsstandard IFRS 17 mit zu berücksichtigen. Nach IFRS 17 werden in Zukunft fast alle versicherungstechnischen Rückstellungen auf Barwertbasis zu berechnen sein. Der aus der Veränderung der Abzinsung resultierende GuV-Effekt ist in der nach IFRS 17 zu verwendenden Gliederung im Finanzergebnis auszuweisen.

Versicherungstechnik

Die Unterschiede in der Versicherungstechnik sind deutlich fundamentaler. In der Nicht-Lebensversicherung kommt in IFRS ein Bewertungsmodell zum Einsatz, das in wesentlichen Zügen der aktuellen Bilanzierung nach UGB (und den meisten anderen Bilanzierungsregeln) entspricht. Die Bezeichnungen sind zwar anders, aber de facto erfolgt eine zeitanteilige Abgrenzung der Prämie und eine Abgrenzung von Abschlusskosten. Somit bestehen bei der abgegrenzten Prämie zwar Unterschiede in der Höhe der abgegrenzten Abschlusskosten, diese werden aber weder im Eigenkapital noch (bzw schon gar nicht) in der GuV enorm sein. Schon deutlich größer wird der Unterscheid bei den Schadenrückstellungen sein. Nach IFRS 17 ist die Schadenrückstellung de facto fast wie nach Solvency II mit einem diskontierten Best Estimate zuzüglich Risikomarge zu bewerten. Bekanntermaßen sind in den Schadenrückstellungen nach lokalem Recht sehr oft nicht zuletzt aus der Anwendung des Einzelbewertungsprinzips deutlich höhere Risikozuschläge enthalten. Der Unterschied zwischen den Ständen nach IFRS und UGB wird in vielen Fällen signifikant sein. Nachdem sich die Risikozuschläge von Jahr zu Jahr weder in UGB noch in IFRS deutlich ändern, wird die jährliche Auswirkung in der GuV aber deutlich geringer sein.

Vergleichsberechnung

In der Lebens- und Krankenversicherung bleibt in IFRS 17 bekanntlich kein Stein am anderen. Die Deckungsrückstellung (genauer: alle UGB vt Rückstellungen außer der Schadenrückstellung) nach IFRS 17 („Liability for Remaining Coverage“, kurz: LRC) besteht aus drei Teilen: Dem Barwert der bestmöglichen Einschätzung der zukünftigen Ein- und Auszahlungen aus dem Vertrag („Present Value of Future Cash Flows“, kurz PVFCF), einem Risikozuschlag und den erwarteten zukünftigen Gewinnen aus dem Vertrag („Contractual Service Margin“, kurz CSM). Die ersten beiden Teile entsprechen in groben Zügen (natürlich nicht im Detail, das wäre zu einfach …) dem Wert der versicherungstechnischen Rückstellungen unter Solvency II (dem Best Estimate). Die CSM ist eine Größe, die am Anfang der Vertragslaufzeit errechnet und in den Folgejahren fortgeschrieben wird. Im UGB-/VAG-Abschluss ist der Gewinn jedoch implizit in den versicherungstechnischen Rückstellungen enthalten. Um zwei Unternehmen und deren im Jahresabschluss abgebildeten zukünftigen Gewinnpotenziale miteinander zu vergleichen, kann man die im UGB-Wert der Deckungsrückstellung enthaltene CSM näherungsweise berechnen (Abbildung 1).

Aus der Höhe der CSM lässt sich zwar nicht genau ermitteln, wann der Gewinn in der GuV stehen wird, allerdings entspricht die absolute Höhe der CSM der Summe des für die Zukunft erwarteten Gewinns aus dem am Bilanzstichtag bestehenden Portefeuille.

Bei Anwendung des Variable Fee Approaches sind zusätzlich die stillen Reserven (oder Lasten) bei den Kapitalanlagen mit zu berücksichtigen, da diese nach IFRS 17 Teil der Underlying Items sind (Abbildung 2).

Eine gewisse Mühsal ist mit dem vorstehenden Vergleich natürlich verbunden: Um die CSM aus der UGB-Welt errechnen zu können, braucht man einerseits den UGB-Abschluss, andererseits den SFCR und die darin enthaltenen Details zur Solvenzbilanz. Der Unterschiedsbetrag ist im SFCR in der Regel angegeben. Wie erwähnt entspricht der Solvency II Best Estimate Leben nur im Wesentlichen dem Present Value of Future Cash Flows nach IFRS 17. Der wesentlichste Unterschied ist, dass in IFRS 17 bei den Kosten des Versicherungsbetriebs mit Teilkosten gerechnet wird, während in Solvency II Vollkosten verwendet werden. Um von Teil- auf Vollkosten umzurechnen, benötigt man dann allerdings Details (insbesondere den Kostenbarwert), die nicht mehr öffentlich verfügbar sind. Fakt ist, dass der PVFCF immer etwas niedriger als der Best Estimate sein wird, solange es sich um eine Verbindlichkeit handelt. Ein einfacher prozentueller Abschlag ist allerdings schwierig, da dabei das Alter des Bestandes, die Art des Geschäfts aber vor allem auch die Prämienzahlungsweise (laufende Prämie oder Einmalerlag) von entscheidender Bedeutung sind.

Berücksichtigt werden muss, dass die Analyse keine Aussage zur absoluten Profitabilität der jeweiligen Bestände und Tarife ermöglicht. Die CSM wie die Deckungsrückstellung sind Resultat der in der Vergangenheit in den jeweiligen Systemen vorgenommenen Rückstellungsfortschreibungen. Der Stand der CSM stellt das im Jahresabschluss des jeweiligen Unternehmens enthaltene zukünftige Gewinnpotenzial dar – und mit der Vergleichsberechnung lässt sich das (näherungsweise) auch für UGB-Abschlüsse ermitteln.

Unterschiedliche Wege für die Gewinn- und Verlustrechnung

Auch in der Darstellung der Gewinn- und Verlustrechnung geht der IFRS 17 neue Wege, wie Abbildung 3 veranschaulicht. Die Tatsache, dass der rechnungsmäßige Zinsaufwand nach IFRS 17 im Finanzergebnis ausgewiesen wird, wurde schon bei den Ausführungen zu den Kapitalanlagen erwähnt.

Der wesentlichste Unterschied ist allerdings, dass es in der IFRS GuV keinen Posten „Veränderung der (Deckungs-)Rückstellungen“ gibt, ebenso gibt es keinen Posten Gewinnbeteiligung. Beides hat mit dem grundlegenden Unterschied in der GuV-Darstellung zwischen UGB und IFRS zu tun: In IFRS sind zukünftig die Sparprämienanteile in den Prämien sowie sämtliche Erlebensanteile in den Leistungen nicht mehr als Ertrag oder als Aufwand zu zeigen, sondern ergebnisneutral gegen die Liability for Remaining Coverage zu buchen. Dadurch wird sich das Umsatzvolumen in der Lebensversicherung signifikant verringern. Gleichzeitig wird es in Zukunft auch in der Lebens- und Krankenversicherung möglich sein, Schadensätze und Kostensätze zu errechnen und damit auch die klassische Sachversicherungskennzahl Combined Ratio zu verwenden.

Weiters fällt auf, dass in IFRS 17 nicht mehr jeder Posten in der Gesamtrechnung und nach Rückversicherung ausgewiesen wird. Stattdessen werden sämtliche Posten brutto dargestellt und das gesamte Ergebnis aus der Rückversicherungsabgabe saldiert in einer GuV-Zeile gezeigt. Insbesondere bei der Darstellung der Netto Combined Ratio wird es in Zukunft Unterschiede geben. Nach UGB werden alle in die Berechnung eingehenden Posten (Prämien, Schäden, Kosten) netto gerechnet, während nach IFRS das RV-Ergebnis zusätzlich im Zähler berücksichtigt wird. In der Regel wird das RV-Ergebnis negativ sein, in einzelnen Jahren können sich vor allem bei hohen Naturkatastrophenereignissen auch positive RV-Ergebnisse zeigen.

Fazit

Die Tatsache, dass sich die Bilanzierung nach IFRS 17 und IFRS 9 deutlich von der derzeitigen Bilanzierungspraxis nach UGB unterscheidet, ist weithin bekannt. Bei entsprechend intensiver Auseinandersetzung mit den jeweiligen Abschlüssen lassen sich jedoch auch zukünftig überschlägige Vergleiche zwischen IFRS- und UGB-Bilanzierung herstellen.