Tätigkeitsortprinzip – alles beim Alten, oder?
Tax News 10/2022
Internationales Steuerrecht
Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hatte jüngst im Fall eines grenzüberschreitend tätigen öffentlich Bediensteten entschieden, dass sich der Ort der Arbeitsausübung nicht nach der physischen Präsenz, sondern nach dem Ort des Empfängers richte. Der VwGH hat damit den eindeutigen Wortlaut der zu Grunde liegenden Normen verlassen. Es bestehen allerdings gute Gründe zu der Annahme, dass diese Entscheidung keinen Paradigmenwechsel über den Einzelfall (und vergleichbare Fälle mit der Schweiz) hinaus mit sich bringen dürfte.
1. Sachverhalt und Fragestellung
Der Verwaltungsgerichtshof (vgl VwGH 12.05.2022, Ra 2021/13/0042-14) hatte sich zuletzt mit der – an sich banal anmutenden – Frage beschäftigt, wo die Tätigkeit eines Arbeitnehmers als ausgeübt gilt. Konkret ging es um einen in Österreich ansässigen außerordentlicher Richter zweier Schweizer Kantone, der den Großteil seiner nichtselbständigen Arbeit in eigens dafür ausgestatteten Büroräumlichkeiten in Österreich erbracht hat. Da der Richter die dafür gewährten Vergütungen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts erhalten hatte, liegen nach dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Österreich und der Schweiz (im Folgenden kurz „DBA“) unzweifelhaft Einkünfte aus öffentlichem Dienst (vgl Art 19 DBA) vor. Demnach dürfen die Vergütungen zunächst in der Schweiz besteuert werden. Österreich darf die Vergütungen nur insoweit besteuern, als diese auf eine „in der Schweiz ausgeübte Arbeit“ aus öffentlichen Kassen der Schweiz entfallen – diesfalls muss Österreich freilich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung die Schweizer Steuer auf die österreichische Einkommensteuer anrechnen (Anrechnungsmethode gem Art 23 Z 2 DBA). Wird hingegen die Arbeit nicht „in der Schweiz ausgeübt“, unterliegen die Vergütungen nach den allgemeinen Regelungen gem Art 23 Z 1 DBA der Steuerbefreiung in Österreich (Befreiungsmethode unter Progressionsvorbehalt). Insoweit war es für den steuerlichen Zugriff des österreichischen Fiskus entscheidend, ob die Arbeit des Richters in der Schweiz oder in Österreich „ausgeübt“ wurde.
2. Ergebnis und Begründung
Der VwGH kam zu dem – äußerst überraschenden – Ergebnis, dass die Arbeit des Richters zur Gänze als in der Schweiz ausgeübt gilt, weil die Tätigkeiten für Einrichtungen der Schweiz, die sich in der Schweiz befinden (Gerichte und Staatsanwaltschaften in der Schweiz), erbracht wurden. Dementsprechend kam das Gericht zu dem Schluss, dass der Tätigkeits- bzw Arbeitsort im konkreten Fall nicht nach der physischen Präsenz bei Tätigkeitsausübung, sondern quasi „funktional“ nach dem Empfängerort auszulegen sei. Diese Interpretation erscheint insoweit recht ambitioniert, als – abgesehen von einer mittlerweile überholten Rechtsprechung zu Gesellschaftsorganen (zB Geschäftsführern) – regelmäßig davon ausgegangen wird, dass Arbeit dort ausgeübt wird, wo sich die arbeitende Person bei Arbeitsausübung tatsächlich physisch aufhält (Tätigkeitsortprinzip – etwa gem Art 15 OECD-MA). Die Begründung für diese weitreichende Abkehr vom an sich eindeutigen Wortlaut des DBA erkennt der VwGH in der umfassend dargelegten Entstehungsgeschichte der relevanten DBA-Normen. Denn das DBA wurde Jahre zuvor dahin gehend geändert, dass ungewollte Steueranreize für Grenzgänger mit einem öffentlich-rechtlichen schweizerischen Arbeitgeber (insbesondere im Bereich des Krankenpflegedienstes) beseitigt werden sollten. Damals wollte man vermeiden, dass österreichische Ressourcen zur Krankenpflege (vor allem aus Vorarlberg) in die Schweiz abwandern. Dieser Sinn und Zweck war für den VwGH offenbar ausreichend, um den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes hinter sich zu lassen.
3. Auswirkungen auf die Praxis
Obwohl die Entscheidung des VwGH inhaltlich durchaus als Paradigmenwechsel gesehen werden könnte, ist uE davon auszugehen, dass die Auswirkungen für die Praxis überschaubar bleiben. Denn zum einen sind die von den zu Grunde liegenden DBA-Normen erfassten Sachverhalte (Grenzgänger im öffentlichen Dienst) recht spezifisch und dementsprechend vergleichsweise selten. Zum anderen besteht die Hoffnung (bzw auch die Erwartung), dass der VwGH sich in anders gelagerten Fällen (zB bei privaten Arbeitnehmerbezügen gem Art 15 OECD-MA) nicht dazu hinreißen lässt, den Ausübungs-/Tätigkeitsort vom Ort der physischen Präsenz loszulösen. Insoweit darf wohl davon ausgegangen werden, dass bei typischen Personaleinsätzen über die Grenze (zB Entsendungen im Konzern) nach wie vor primär auf jenen Ort abzustellen ist, an dem die Arbeit physisch erbracht wird.
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