VwGH-Urteil zu Betriebsstättenbegründung – Grenzen der Verfügungsmacht (home office)
Tax News 07-09/2022
Internationales Steuerrecht
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Urteil vom 22. Juni 2022 (Ro 2020/13/0004-7) der Begründung einer Betriebsstätte durch die Mitbenutzung eines Schreibtisches in den Büroräumlichkeiten eines anderen Steuerpflichtigen eine klare Absage erteilt, zumal die Verfügungsmacht über eine feste Einrichtung im konkreten Fall als nicht ausreichend angesehen wurde. Wenngleich das Urteil des Verwaltungsgerichtshofes keine explizite Aussage zu Homeoffice-Betriebsstätten enthält, gibt es in der Literatur Stimmen, welche darin ein Ende der Homeoffice-Betriebsstätten in Österreich erblicken. Ob das Urteil tatsächlich derart weitreichende Konsequenzen mit sich bringt, erscheint – auch wenn dies aus Sicht der Praxis durchaus wünschenswert wäre – zumindest fraglich. Bis zu einer allfälligen Klarstellung durch das österreichische BMF oder weitere Gerichtsurteile ist die Thematik der Homeoffice-Betriebsstätten daher weiterhin im Auge zu behalten.
Der VwGH hat sich in seinem Urteil vom 22. Juni 2022 (Ro 2020/13/0004-7) der Thematik von Betriebsstätten und der dafür erforderlichen Verfügungsmacht gewidmet.
1. Ausgangssacherhalt
Gegenstand der Verfahren vor dem BFG und dem VwGH war die Frage, ob eine in Ungarn ansässige Dolmetscherin durch die Tätigkeit in den Räumlichkeiten eines ihrer Kunden in Österreich eine feste Einrichtung/Betriebsstätte begründet und mit den aus dieser Tätigkeit erzielten Einkünften der österreichischen Besteuerung unterliegt. Anders als man vielleicht vermuten würde, hat die Beschwerdeführerin die Begründung einer festen Einrichtung und damit die Steuerpflicht in Österreich gefordert, während das Finanzamt diese in Abrede gestellt und die bereits erlassenen Einkommensteuerbescheide aufgehoben hat. Der genauere Hintergrund des Interesses an der Betriebsstätte wurde in den Gerichtsurteilen nicht angeführt, könnte aber in sozialversicherungsrechtlichen Themen zu finden sein.
Konkret basierte die von der Dolmetscherin behauptete Betriebsstätte auf folgenden Gründen:
- Die Dolmetscherin hat sich geringfügig (ein bis zwei Stunden täglich) in den Räumlichkeiten eines ihrer Kunden aufgehalten. Im überwiegenden Ausmaß war sie allerdings außerhalb der erklärten Räumlichkeiten mit ihren mehrheitlich in Ungarn ansässigen Kunden unterwegs.
- Beim Kunden konnte sie Schreibtische (mit-)nutzen. Diese standen ihr jedoch nicht exklusiv zur Verfügung, sondern wurden überwiegend vom Kunden selbst genutzt.
- Die „jederzeitige“ Verfügungsmacht bzw Nutzungsmöglichkeit über die Räumlichkeiten beim Kunden (dh mit eigenem Firmenschlüssel auch außerhalb der Betriebszeiten des Kunden) wurde durch die Bf. weder behauptet noch glaubhaft gemacht.
- Zeitlich nachgelagert wurde seitens der Dolmetscherin zudem ein unmöbliertes Büro in Österreich angemietet. Der Erwerb von Einrichtungsgegenständen bzw einer fremdüblichen Mindest-geschäftsausstattung konnte nicht nachgewiesen werden.
2. Wesentliche Aussagen des BFG
Das Bundesfinanzgericht bestätigte die Entscheidung des Finanzamtes, der zu Folge keine feste Einrichtung der Dolmetscherin in Österreich vorliegt.
Dies wurde unter anderem wie folgt begründet:
„Die ‚fallweise‘ Benützung eines Schreibtisches bei der Fa. B1 in A2a stellt nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes keine ‚feste Einrichtung‘ gem. Art. 14 Abs. 1 DBA Österreich-Ungarn dar, da lt. Verwaltungsgerichtshof (VwGH vom 25.11.1992, 91/13/0144) nicht nur ein Schreibtisch, sondern der ganze Raum der Bf. hätte zur Verfügung stehen müssen, samt weiteren Einrichtungsgegenständen (zur Aufbewahrung von benötigten Geschäftsunterlagen) und weiterer Hilfsmittel zur Ausübung der beruflichen Tätigkeit (Büromaterial etc.). Weiters ist den Ausführungen der Bf. nicht zu entnehmen, dass die Räumlichkeiten bei der Fa.B1 „jederzeit“ (d.h. mit eigenem Firmenschlüssel auch außerhalb der Betriebszeiten der Fa.B1) durch die Bf. genutzt werden konnten. Eine bloße Mitbenutzung von Räumlichkeiten durch die Bf. bewirkt jedenfalls keine Betriebsstätte bzw. feste Einrichtung.“ (vgl VwGH vom 21. Mai 1997, 96/14/0084).
Auch das später angemietete Büro wurde nicht als feste Einrichtung iSd Art 14 DBA Ungarn anerkannt, da „nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes eine fremdübliche Kundenbetreuung (ohne Tisch und Sesseln) jedenfalls im Streitmonat Dezember 2016 nicht glaubhaft und nachvollziehbar“ ist.
2. Urteil VwGH
Der VwGH hat die Revision der Beschwerdeführerin als unzulässig zurückgewiesen, zumal es nach Ansicht des VwGH an einem Vorbringen zur Zulässigkeit mangelt und in der Revision keine Rechtsfrage aufgezeigt wurde, welcher grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Um das Fehlen einer Rechtsfrage mit grundsätzlicher Bedeutung zu untermauern, ist der Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil nochmals auf die Aussagen früherer Judikatur zum Themenkreis der Betriebstättenbegründung (bzw der hierfür erforderlichen „Verfügungsmacht“) eingegangen:
Zum einen wurde erneut bestätigt, „dass der Begriff der ‚festen Einrichtung‘ im Sinne des Art. 14 des OECD-Musterabkommens (OECD-MA) mit dem Begriff der – als Anknüpfungspunkt für die Zuteilung von Unternehmensgewinnen gemäß Art. 7 OECD-MA dienenden - ‚Betriebsstätte‘ im Sinne des Art. 5 OECD-MA inhaltsgleich und im selben Sinne auszulegen ist.“
Weiters wurde darauf verwiesen, dass „die Möglichkeit der Mitbenutzung eines Schreibtisches in Büroräumlichkeiten eines anderen Steuerpflichtigen nicht ausreichend [ist], um die Verfügungsmacht über eine feste Geschäftseinrichtung zu bejahen“.
4. Diskussion und mögliche Auswirkungen für die Praxis
Dass die bloße Mitbenutzung eines Schreibtisches keine Betriebsstätte begründet, war bereits nach bisheriger in Österreich vorherrschender Verwaltungspraxis unstrittig (siehe zB Rz 259 ff VPR 2021 sowie die hierin genannten Verweise auf diverse EAS-Auskünfte).
Die vom BFG unter Verweis auf ein früheres VwGH-Urteil (VwGH vom 25. November 1992, 91/13/0144) getroffene Aussage, der zu Folge nicht bloß ein Schreibtisch zur Verfügung stehen müsse, „sondern der ganze Raum“, ist allerdings insofern wesentlich, als das österreichische BMF in diversen EAS Auskünften sowie den VPR 2021 (siehe Rz 261) davon ausgeht, dass selbst die Verfügungsmacht über einen abgegrenzten Raumteil (also etwa einen dauerhaft zugewiesenen Arbeitsplatz bzw Schreibtisch in einem Großraumbüro) ausreichend wäre, um eine Betriebsstätte zu begründen. Die Aussage des BFG Urteils basiert zwar auf dem zitierten VwGH Urteil aus 1992, es wurde allerdings das Wort „ganze“ ergänzt, wodurch uE zumindest fraglich erscheint, ob das Zurverfügungstehen eines bloßen Raumteiles oder Schreibtisches, welches seitens des österreichischen BMF bereits als potenziell betriebsstättenbegründend ansehen wird (siehe Rz 261), künftig tatsächlich ausreichen kann, oder in diesem Kontext nicht viel mehr ein vergleichsweise strengerer Maßstab anzulegen ist.
Die Aussagen des VwGH erscheinen zunächst lediglich bestätigend und inhaltlich nicht neu. In der Literatur wird der klaren Aussage des VwGH zur mangelnden Verfügungsmacht im Falle der bloßen Mitbenutzungsmöglichkeit eines Schreibtisches in Büroräumlichkeiten eines anderen Steuerpflichtigen allerdings teilweise auch eine wesentliche Bedeutung für die Thematik der Homeoffice-Betriebsstätten beigemessen. So wird im Wege eines Größenschlusses argumentiert, dass eine Verfügungsmacht des Dienstgebers über Privaträumlichkeiten jedenfalls nicht vorliegen könne, wenn selbst bei der Mitnutzung eines Schreibtisches in Büroräumlichkeiten eines anderen keine solche Verfügungsmacht erblickt werden kann, denn der Dienstgeber habe – „wenn überhaupt – nur ein Mitbenutzungsrecht am Arbeitsplatz seines Arbeitnehmers, der sich am Küchen- oder Wohnzimmertisch, in einem Arbeitsraum, auf der Terrasse oder im Garten befinden kann“ (siehe Bendlinger/Bendlinger, SWI 2022, S 451). Zu diesem Größenschluss ist anzumerken, dass Vertreter des BMF in der Vergangenheit bereits die gegenteilige These vertreten haben: „So mag mitunter die Machtposition eines Unternehmers über seinen Arbeitnehmer weitreichender sein, als dieser über ein gemietetes Objekt verfügen kann. Immerhin kann es umgekehrt zB auch für ein Großraumbüro vielfache Beschränkungen geben, die es dem Unternehmen nicht erlauben, darüber beliebig zu verfügen.“ (siehe Kerschner, ÖStZ 2021, S 386 f).
Unseres Erachtens trifft der VwGH in seinem Urteil keine explizite Aussage zur Thematik der (von Seiten der Finanzverwaltung vielfach unterstellten) faktischen Verfügungsmacht, welche iZm Homeoffice-Betriebsstätten maßgeblich sein soll (siehe Rz 260 öVPR).
5. Ergebnis und Handlungsbedarf für die Praxis
Die Aussagen des BFG, wonach der „ganze Raum“ (und nicht etwa bloß einzelne Raumteile) zur Verfügung stehen müsse, um eine Betriebsstätte zu begründen sind erfreulich, zumal sie dazu geeignet sind, die generelle Betriebsstättenproblematik etwas zu entschärfen. Ob das BMF die Rechtsauffassung des BFG zum Anlass nimmt, um die diesbezüglichen Aussagen in den VPR anzupassen bzw einen Schwenk in der aktuell vorherrschenden Verwaltungspraxis vorzunehmen, bleibt freilich abzuwarten.
Wenngleich eine Lösung für das Problem der Homeoffice-Betriebsstätten absolut wünschenswert wäre und die in der Literatur vertretene Sichtweise zu diesem Urteil des VwGH insoweit verlockend erscheint, ist die (mittlerweile schier endlose) Thematik der Homeoffice-Betriebsstätten mit dem Urteil des VwGH unseres Erachtens nicht final zu Grabe getragen, sondern lediglich um eine Facette reicher geworden.
Es bleibt vielmehr abzuwarten, ob und wie das österreichische Finanzministerium auf dieses Urteil reagiert. Bis zu einer allfälligen Klarstellung durch das österreichische BMF oder weitere Gerichtsurteile sollte das Thema der Homeoffice-Betriebsstätten jedenfalls weiter im Auge behalten werden. Ein proaktives Risikomanagement ist uE weiterhin geboten, um steuerliche Risiken zu minimieren. Die Experten der KPMG stehen Ihnen für eine Abklärung allfälliger Betriebsstättenrisiken iZm Homeoffice-Tätigkeiten gerne zur Verfügung.
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