VwGH zur Geschäftsführerhaftung für Abgaben: Ungenügende Begründung der Ermessensübung durch die Abgabenbehörde bewirkt Rechtswidrigkeit des Haftungsbescheides
Tax News 05-06/2022
Verfahrensrecht
Sind Abgaben bei der Gesellschaft nicht einbringlich, haften nach Maßgabe des § 9 BAO deren Geschäftsführer. Bei der Inanspruchnahme kommt der Behörde Ermessen zu. Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH ist bei Vorliegen einer Geschäftsverteilung jener Geschäftsführer in Anspruch zu nehmen, der die abgabenrechtliche Verantwortung im Unternehmen trägt. Gibt es jedoch Anlass an der ordnungsgemäßen Geschäftsführung des verantwortlichen Geschäftsführers zu zweifeln, haben die anderen Geschäftsführer Abhilfe zu schaffen; widrigenfalls können sie selbst in Anspruch genommen werden (VwGH 01.02.2021, Ra 2020/13/0087).
1. Sachverhalt: Haftung trotz (behaupteter) Geschäftsführung durch den Sohn
Der Steuerpflichtige war von 2009 bis Mai 2011 Alleingeschäftsführer einer GmbH. Ab Mai 2011 vertrat er die Gesellschaft gemeinsam mit Ehefrau und Sohn. Im Jahr 2013 wurde über das Vermögen der GmbH ein Konkursverfahren eröffnet. Die Abgabenbehörde erließ 2017 einen Haftungsbescheid gegen den vormaligen Alleingeschäftsführer betreffend nicht entrichteter Abgaben im Zeitraum April 2011 – Juni 2013.
In der Beschwerde gegen den Haftungsbescheid brachte der Beschwerdeführer vor, dass ab Mai 2011 vereinbarungsgemäß der Sohn die tatsächliche Geschäftsführung sowie die abgabenrechtlichen Agenden übernommen habe. Das BFG gab der Beschwerde in Hinblick auf die Höhe einzelner Abgaben Folge, blieb jedoch bei der Inanspruchnahme des Beschwerdeführers.
2. VwGH 01.02.2021, Ra 2020/13/0087: KEINE Begründung des Ermessens – Rechtswidrigkeit
Bei mehreren Geschäftsführern liegt es im Ermessen der Behörde, welcher Geschäftsführer zur Haftung der uneinbringlichen Abgabenschulden herangezogen wird. Stehen mehrere Geschäftsführer (Vater, Mutter, Sohn) als Haftungspflichtige zur Verfügung, ist zu begründen, warum und in welchem Ausmaß ein bestimmter Geschäftsführer zur Haftung herangezogen wird. Die vom BFG unterlassene Begründung führt schon aus diesem Grund zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung.
Geschäftsverteilung: Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH ist bei vorhandener Geschäftsverteilung jener Geschäftsführer zur Haftung nach § 9 BAO heranzuziehen, der mit den abgabenrechtlichen Pflichten im Unternehmen betraut ist. Der von den steuerlichen Angelegenheiten ausgeschlossene Geschäftsführer ist in der Regel nicht in Anspruch zu nehmen. Dieser haftet jedoch dann, wenn aus gegebenem Anlass Zweifel an der ordnungsgemäßen Geschäftsführung des zuständigen Geschäftsführers bestehen. In einem solchen Fall könnte ihn nur entschuldigen, dass ihm die Erfüllung seiner abgabenrechtlichen Pflichten aus triftigen Gründen unmöglich gewesen wäre. Auch diesbezüglich traf das BFG keinerlei Feststellungen.
3. Ergebnis: Ausdrückliche Geschäftsverteilung von Vorteil
Die Haftungsinanspruchnahme von Vertretern liegt zwar im Ermessen der Abgabenbehörde, ist jedoch entsprechend zu begründen. Die Abgabenbehörde hat in ihre Entscheidung auch eine allfällige Geschäftsverteilung im Unternehmen einzubeziehen und zu begründen, warum im Einzelfall der nicht mit den steuerlichen Agenden des Unternehmens betraute Geschäftsführer zur Haftung herangezogen wird.
Um das Risiko einer Haftungsinanspruchnahme zu reduzieren, sollte daher eine Geschäftsverteilung ausdrücklich vereinbart und gelebt werden. Implementierte Kontroll- und Überwachungsmechanismen iSe Steuerkontrollsystems reduzieren die Wahrscheinlichkeit einer Haftungsinanspruchnahme weiter.
Zu den finanzstrafrechtlichen Konsequenzen eines Co-Geschäftsführers bei Vorliegen einer (bloß) faktischen Geschäftsverteilung siehe Tax News 12/2021 (BFG zur finanzstrafrechtlichen Verantwortung des Co-Geschäftsführers bei faktischer Geschäftsverteilung).
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