Richtlinie gegen Briefkastengesellschaften – Entwurf veröffentlicht
Tax News 01/2022
Internationales Steuerrecht
Die Europäische Kommission hat am 22. Dezember 2021 einen Vorschlag für eine neue Richtlinie veröffentlicht, die ab 2024 den Missbrauch von Briefkastengesellschaften für steuerliche Zwecke bekämpfen soll. Daher werden Substanzerfordernisse für die Anerkennung der Ansässigkeit solcher Gesellschaften festgelegt. Obwohl der Name der Richtlinie suggeriert, dass nur Briefkastengesellschaften erfasst sein sollten, geht der Anwendungsbereich des Entwurfs darüber hinaus. Da die vorgeschlagene Richtlinie einstimmig beschlossen werden muss, könnte diese noch Änderungen erfahren.
Der Richtlinienentwurf soll Substanzerfordernisse für die Anerkennung der Ansässigkeit solcher Gesellschaften festlegen (COM(2021) 565 final; auch „Unshell Directive“ oder „ATAD 3“; im Folgenden: SubstanzRL). Diese Maßnahme ist dabei Teil des Maßnahmenpakets, das die Europäische Kommission in der Mitteilung über die Unternehmensbesteuerung im 21. Jahrhundert vom 18. Mai 2021 angekündigt hat. Obwohl der Name der Richtlinie suggeriert, dass nur Briefkastengesellschaften erfasst sein sollten, geht der Anwendungsbereich des Entwurfs darüber hinaus und erfasst auch Gesellschaften mit einer gewissen „Substanz“. Da die vorgeschlagene Richtlinie einstimmig beschlossen werden muss, könnte diese noch Änderungen erfahren. Im Entwurf ist eine Anwendung ab 2024 vorgesehen.
1. Anwendung der SubstanzRL in sieben Schritten
In den Anwendungsbereich der SubstanzRL sollen alle Rechtsträger fallen, die in einem EU-Mitgliedstaat ansässig sind. Dabei soll es nicht auf die Rechtsform ankommen, sodass zB auch Personengesellschaften und eventuell auch Privatstiftungen von der SubstanzRL erfasst sein würden.
Der Entwurf der SubstanzRL gliedert sich in sieben Bereiche, die aufeinander aufbauen:
- Identifikation von Gesellschaften, bei denen ein erhöhtes Risiko besteht („gateway“);
- Verpflichtung der identifizierten Gesellschaften, bestimmte Substanzkriterien zu melden;
- Vermutung auf Basis der Substanzkriterien, dass (k)eine Briefkastengesellschaft besteht;
- Möglichkeit für den Steuerpflichtigen, die Vermutung der fehlenden Substanz zu widerlegen;
- Möglichkeit für den Steuerpflichtigen, mangels Steuervorteil eine Ausnahme zu erwirken;
- Rechtsfolgen, wenn die Vermutung der fehlenden Substanz nicht widerlegt wird und auch keine Ausnahme erwirkt werden kann;
- Informationsaustausch zwischen den EU-Mitgliedstaaten.
2. Identifikation von Gesellschaften mit erhöhtem Risiko
Zunächst unterscheidet der Entwurf der SubstanzRL zwischen jenen Gesellschaften, bei denen ein erhöhtes Risiko für eine fehlende Substanz und deren Ausnutzung für steuerliche Zwecke besteht, und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist. Dies wird anhand von drei Kriterien bewerkstelligt, die auf mobile (vor allem passive) Einkünfte, die grenzüberschreitende Tätigkeit und das ausgelagerte Management abstellen und kumulativ erfüllt sein müssen:
- Mehr als 75% der Umsätze in den vorangegangen zwei Steuerjahren setzen sich aus relevanten (passiven) Einkünften zusammen. Dazu gehören zB (die RL nennt auch weitere Fälle) Zinsen, Lizenzgebühren, Dividenden, Veräußerungsgewinne aus solchen Wirtschaftsgütern, Einkünfte aus Finanzierungsleasing, unbeweglichem Vermögen oder beweglichem Vermögen für private Zwecke mit einem Buchwert von mehr als MEUR 1 (zB Jachten).
- Die Gesellschaft ist grenzüberschreitend tätig, da (insbesondere) mindestens 60% der relevanten (passiven) Einkünfte aus grenzüberschreitenden Transaktionen resultieren oder grenzüberschreitend weitergleitet werden.
- Die Gesellschaft hat in den vergangenen zwei Steuerjahren ihre Geschäftsleitung (das Tagesgeschäft) ausgelagert. Dabei dürfte es nicht darauf ankommen, ob die Auslagerung an ein verbundenes Unternehmen oder einen externen Dienstleister erfolgte. Offen ist, ob auch eine Personalgestellung als Auslagerung zu sehen sein könnte.
Ist eines dieser Kriterien nicht erfüllt, bestehen nach dem Entwurf der SubstanzRL keine weiteren Verpflichtungen. Sind hingegen alle drei Kriterien erfüllt, soll die Gesellschaft grundsätzlich verpflichtet sein, im Rahmen ihrer Steuererklärung die nachfolgenden Substanzkriterien zu melden.
Von der Meldepflicht ausgenommen sind insbesondere
- börsennotierte Gesellschaften,
- regulierte Finanzunternehmen,
- Holdinggesellschaften, die im selben Mitgliedstaat ansässig sind wie deren Gesellschafter oder die oberste Muttergesellschaft (kein Anwendungsbereich der SubstanzRL somit für österreichische Holdings österreichischer Konzerne), sowie
- Unternehmen mit mindestens fünf eigenen vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern, die sich ausschließlich der Erzielung der relevanten (passiven) Einkünfte widmen.
3. Meldepflicht und Vermutung einer Briefkastengesellschaft
Sind alle drei Indizien einer Briefkastengesellschaft kumulativ erfüllt und fällt die Gesellschaft unter keine Ausnahme, soll diese verpflichtet werden, im Rahmen der Steuererklärung Folgendes zu melden und durch entsprechende Nachweise zu untermauern:
- Die Gesellschaft hat eigene Geschäftsräumlichkeiten im betreffenden Mitgliedstaat oder Geschäftsräumlichkeiten zur exklusiven Nutzung.
- Die Gesellschaft hat zumindest ein eigenes aktives Bankkonto innerhalb der EU.
- Die Gesellschaft hat entweder Geschäftsführer, die eine bestimmte Nahebeziehung zur Gesellschaft aufweisen (im selben Mitgliedstaat oder in ausreichender Nähe ansässig, qualifiziert und autorisiert, um Entscheidungen im Zusammenhang mit den relevanten Einkünften zu treffen; die Befugnis wird regelmäßig, aktiv und unabhängig ausgeübt, die Geschäftsführer sind nicht bei konzernfremden Gesellschaften angestellt), oder die Mehrheit der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ist im oder in ausreichender Nähe zum Mitgliedstaat der Gesellschaft ansässig und ausreichend qualifiziert, um die Tätigkeit auszuüben, die zur Erzielung der relevanten Einkünfte führt.
Werden alle drei Kriterien erfüllt, besteht die Vermutung, dass keine Briefkastengesellschaft vorliegt. Wird hingegen mindestens ein Kriterium nicht erfüllt, besteht die Vermutung, dass eine Briefkastengesellschaft vorliegt. In diesem Fall kann die Gesellschaft diese Vermutung widerlegen, wobei nachzuweisen ist, welche wirtschaftlichen Gründe für die Gesellschaft bestehen, welche Qualifikation die Arbeitnehmer aufweisen und wo die Entscheidungen betreffend die Tätigkeiten getroffen werden, die zu den relevanten Einkünften führen. Nach dem Entwurf der SubstanzRL besteht das Ziel darin, nachzuweisen, dass die Gesellschaft die Kontrolle über jene Aktivitäten hatte, die zu den (passiven) Einkünften geführt haben, sowie die entsprechenden Risiken getragen hat. Insofern würde der Entwurf der SubstanzRL einen neuen Substanzbegriff schaffen, der sich an Verrechnungspreisüberlegungen orientiert und vom bisherigen Verständnis etwa im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung (das Unternehmen übt, gestützt auf Personal, Ausstattung, Vermögenswerte und Räumlichkeiten, eine wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit aus) abweicht.
Alternativ ist auch der Nachweis möglich, dass durch die Einbindung der Gesellschaft keine Steuervorteile im Hinblick auf die Nutzungsberechtigten oder den Konzern entstehen. In diesem Fall würden auch völlig substanzlosen Gesellschaften keine steuerlichen Vorteile versagt werden.
4. Rechtsfolgen
Wird die Vermutung einer Briefkastengesellschaft nicht widerlegt und greift auch keine Ausnahme, dann würden die Rechtsfolgen der geplanten SubstanzRL im Wesentlichen darin bestehen, dass die Vorteile der Doppelbesteuerungsabkommen sowie die Anwendung der Mutter-Tochter-RL und der Zinsen- und Lizenzgebühren-RL in allen anderen EU-Mitgliedstaaten versagt werden. Der Ansässigkeitsstaat der Briefkastengesellschaft dürfte keine Ansässigkeitsbescheinigung mehr ausstellen oder müsste dieser einen „Warnhinweis“ beifügen (relevant auch im Verhältnis zu Drittstaaten). Zudem würde der EU-Mitgliedstaat, in dem die Gesellschafter ansässig sind, verpflichtet sein, die von der Gesellschaft erzielten Einkünfte auf Gesellschafterebene zu besteuern. Damit würde eine Art Hinzurechnungsbesteuerung auch für natürliche Personen eingeführt werden.
Durch eine Änderung der Richtlinie 2011/16/EU soll zudem ein automatischer Informationsaustausch innerhalb der EU vorgesehen werden, der insbesondere die im Rahmen der Steuererklärung gemeldeten Substanzkriterien, die Widerlegung der Vermutung einer Briefkastengesellschaft, die Anwendung der Ausnahme mangels Steuervorteil sowie eine Zusammenfassung der Beweismittel umfassen würde.
5. Ergebnis
Ob der Entwurf der SubstanzRL in dieser Form beschlossen wird, ist aus jetziger Sicht offen. Sollte dies der Fall sein, könnte die SubstanzRL wesentliche Auswirkungen auf das bisherige Verständnis der Substanzerfordernisse haben und dabei strengere Vorgaben machen, als dies zB bei den Substanzerfordernissen für Zwecke der Hinzurechnungsbesteuerung der Fall ist. Selbst wenn der Entwurf der SubstanzRL in dieser Form nicht beschlossen wird, sollte berücksichtigt werden, dass es zukünftig zu strengeren Substanzanforderungen oder zumindest zu Erklärungspflichten in diesem Zusammenhang mit anschließendem Informationsaustausch kommen könnte.
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