Musterregelungen für ein globales Mindestbesteuerungsregime
Tax News 01/2022
Internationales Steuerrecht
Am 20. Dezember 2021 wurden die OECD-Musterregelungen für ein globales Mindestbesteuerungsregime (Pillar 2) veröffentlicht. Nur zwei Tage später legte die Europäische Kommission einen darauf basierenden Vorschlag für eine EU-Richtlinie zur Umsetzung dieser Musterregelungen in der EU vor. Durch das Mindestbesteuerungsregime soll bei Konzernen mit weltweiten Umsätzen von mindestens EUR 750 Millionen ab 2023 sichergestellt werden, dass diese in jenen Staaten, in denen sie tätig sind, einer effektiven Steuerbelastung von mindestens 15 % unterliegen. Da es auf die Effektivsteuerbelastung ankommt, können auch Staaten mit einem nominellen Steuersatz von mehr als 15 %, einschließlich Österreich, betroffen sein. Aus praktischer Sicht bietet es sich daher an, bereits jetzt zu prüfen, für welche Staaten potenziell mit einer Zusatzsteuer zu rechnen ist.
Seit 2019 arbeitet die OECD daran, einen Umbruch im internationalen Steuerrecht herbeizuführen. Dazu wurden zwei Säulen (Pillar 1 und Pillar 2) entwickelt. Deren geplante Grundkonzeption wurde von der OECD im Jahr 2019 präsentiert und danach stetig weiterentwickelt. Am 20. Dezember 2021 wurden nunmehr die OECD-Musterregelungen der zweiten Säule (Pillar 2) veröffentlicht. Nur zwei Tage später legte die Europäische Kommission einen darauf basierenden Vorschlag für eine EU-Richtlinie zur Umsetzung dieser Musterregelungen in der EU vor. In Folge geben wir einen Überblick über die wesentlichen Inhalte der Regelungen, die bereits im Jahr 2023 in Kraft treten sollen.
1. Konzept von Pillar 2
Ziel von Pillar 2 ist es, eine globale Mindestkörperschaftsteuer von 15 % für solche Unternehmen sicherzustellen, die zu einem Konzern mit weltweit mindestens EUR 750 Millionen Jahresumsatz gehören. Die Mindestbesteuerung soll durch eine Zusatzsteuer (top-up tax) sichergestellt werden. Zu diesem Zweck wird zunächst der effektive Steuersatz (effective tax rate, ETR) sämtlicher in einem Staat ansässiger Konzerngesellschaften (jurisdictional blending) ermittelt und mit dem Mindeststeuersatz von 15 % verglichen. Liegt der effektive Steuersatz unter dem Mindeststeuersatz, wird eine Zusatzsteuer erhoben, die für das Erreichen der Mindestbesteuerung erforderlich ist.
Grundsätzlich soll die Zusatzsteuer von der obersten Konzerngesellschaft getragen werden. Der Ansässigkeitsstaat der Konzernobergesellschaft hat zu diesem Zweck die Income Inclusion Rule (IIR) im nationalen Recht umzusetzen. Sollte der Ansässigkeitsstaat der Konzernobergesellschaft dies nicht tun oder selbst ein Niedrigsteuerstaat sein, greift alternativ die Undertaxed Payments Rule (UTPR). Die Ausgestaltung der UTPR weicht von der ursprünglich angedachten Konzeption deutlich ab. Statt wie ursprünglich geplant auf Zahlungsströme abzustellen, wird die Zusatzsteuer auf die Staaten, in denen die einzelnen Konzerngesellschaften ansässig sind, nunmehr nach der Anzahl der Mitarbeiter und dem Gesamtwert der körperlichen Wirtschaftsgüter aufgeteilt.
Konzeptionell soll die Mindestbesteuerung somit weiterhin im Ansässigkeitsstaat der Konzernobergesellschaft sichergestellt werden. Einzelne Staaten, wie zB Irland, haben in Anbetracht dessen bereits angekündigt, den Körperschaftsteuersatz für von Pillar 2 betroffenen Unternehmen auf 15 % zu erhöhen. Der EU-Richtlinienentwurf eröffnet den Mitgliedstaaten vergleichbar dazu das Wahlrecht, eine qualifizierte nationale Zusatzsteuer (qualified domestic top-up tax) einzuführen, die die effektive Steuerbelastung erhöht und damit zu einer Reduktion der Zusatzsteuer auf Ebene der Konzernobergesellschaft führt. Das Aufkommen aus der Zusatzsteuer kommt somit nur dann dem Ansässigkeitsstaat der Konzernobergesellschaft zugute, wenn die Staaten, in denen der Konzern tätig ist, keine „Ausgleichsmaßnahmen“ zur Herstellung der Mindestbesteuerung von 15% ergreifen. Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob die IIR langfristig überhaupt eine aufkommensmäßige Bedeutung erlangen wird. Plausibler erscheint es, dass die Staaten – in welcher Form auch immer – dafür Sorge tragen werden, ansässige Gesellschaften dem Mindest(effektiv)steuersatz von 15% zu unterwerfen, um eine Zusatzbesteuerung in einem anderen Staat zu verhindern.
2. Anwendungsbereich
Von der Mindestbesteuerung sind nach dem EU-Richtlinienentwurf zum einen multinationale Unternehmensgruppen erfasst, deren weltweite (Jahres-)Umsätze laut konsolidiertem Konzernabschluss in zumindest zwei der letzten vier Wirtschaftsjahre EUR 750 Millionen erreicht haben. Zum anderen ist die Mindestbesteuerung aber auch für rein national tätige Unternehmensgruppen (nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren) einschlägig, wenn diese die Umsatzgrenze erreichen. Damit soll ein Konflikt mit den Grundfreiheiten vermieden werden.
Ausgenommen sind staatliche Einrichtungen, internationale Organisationen, Non-Profit-Organisationen, Pensionsfonds sowie andere Investment- und Immobilieninvestmentfonds, sofern diese als oberste Konzerngesellschaften fungieren. Eine weitere Ausnahme betrifft die von ihnen zumindest zu 95 % gehaltenen Tochtergesellschaften, sofern diese nahezu ausschließlich Beteiligungen für die jeweiligen Anteilseigner halten oder Hilfstätigkeiten leisten. Gleichermaßen sind von ausgenommenen Konzernobergesellschaften zu mindestens 85 % gehaltene Tochtergesellschaften ausgenommen, deren Einkünfte nahezu ausschließlich aus Dividenden und Veräußerungsgewinnen/-verlusten bestehen.
3. Ermittlung der Zusatzsteuer (top-up tax)
Ausgangspunkt für die Berechnung der Zusatzsteuer ist der anzupassende Gewinn (net qualifying income), der in den Einzelabschlüssen der jeweiligen Konzerngesellschaften ausgewiesen ist, wobei die Gewinnermittlung grundsätzlich nach dem Rechnungslegungsstandard der obersten Muttergesellschaft zu erfolgen hat. Dieser Gewinn wird für Zwecke der Berechnung der Zusatzsteuer adaptiert. So sind zB Steueraufwendungen und -erträge, Dividenden sowie Gewinne und Verluste aus der Veräußerung von Schachtelbeteiligungen und Neubewertungsergebnisse auszuscheiden.
Dem derart angepassten Gewinn sind die anzupassenden einkommens- und gewinnabhängigen Steuern (adjusted covered taxes) gegenüberzustellen. Darunter fallen Steuern vom Einkommen und Ertrag, Steuern auf ausgeschüttete Gewinne, einer Körperschaftsteuer vergleichbare Steuern und auch Steuern auf nicht ausgeschüttete Gewinne und Eigenkapital, nicht aber auf Pillar 2 zurückzuführende Zusatzsteuern. Die Anpassungen betreffen zB Steuern aufgrund von Dividenden und Veräußerungsgewinnen, die das Pillar 2-Einkommen nicht beeinflussen, sowie Steuern, die voraussichtlich nicht innerhalb von drei Jahren zu zahlen sind. Temporäre Differenzen sind ebenfalls zu berücksichtigen, indem zB bei einer beschleunigten Abschreibung der latente Steueraufwand den relevanten Steueraufwand und damit die effektive Steuerbelastung erhöht. Dies bedeutet, dass temporäre Differenzen grundsätzlich zu keiner Zusatzsteuer führen sollten. In bestimmten Fällen (nicht so bei beschleunigten Abschreibungen körperlicher Wirtschaftsgüter) werden allerdings die temporären Differenzen spätestens nach fünf Jahren „nachversteuert“. Auch Verluste (Verlustvorträge) werden im Rahmen der temporären Differenzen berücksichtigt. Für Verluste ist zudem optional eine vereinfachte Berechnung möglich, bei der nur die Verluste, nicht aber andere temporäre Differenzen berücksichtigt werden.
Der Effektivsteuersatz für einen Staat ergibt sich durch Gegenüberstellung der adjusted covered taxes und des net qualifying income sämtlicher in diesem Staat ansässiger Konzerngesellschaften. Liegt der Effektivsteuersatz unter dem Mindeststeuersatz von 15 %, ist das net qualifying income sämtlicher in dem betreffenden Staat ansässiger Konzerngesellschaften um einen Substanzfreibetrag zu reduzieren. Der Freibetrag ergibt sich aus der Summe aus 5 % der länderweisen Lohnkosten (payroll carve-out) und 5 % der länderweisen Buchwerte körperlicher Wirtschaftsgüter (tangible asset carve out), wobei die Prozentsätze während einer Übergangsphase von zehn Jahren noch höher ausfallen. Aus der Differenz des net qualifying income und des Substanzfreibetrags ergibt sich der Übergewinn (excess profit), der mit der Differenz zwischen dem Effektivsteuersatz und dem Mindeststeuersatz (top-up tax percentage) zu multiplizieren ist. Das noch um etwaige qualified domestic top-up taxes zu reduzierende Ergebnis ergibt die für den jeweiligen Staat zu erhebende Zusatzsteuer. Wie und bei wem die Zusatzsteuer erhoben wird, hängt davon ab, ob es sich um einen Anwendungsfall der IIR oder der UTPR handelt.
4. Erklärungspflichten
Um die Einhaltung der Pillar 2-Regelungen überprüfen zu können, sind die erfassten Konzerngesellschaften verpflichtet, innerhalb von 15 Monaten nach Ablauf eines jeden Wirtschaftsjahres eine Zusatzsteuerinformationserklärung (top-up tax information return) einzureichen. Alternativ besteht die Möglichkeit, die Informationen gesammelt von der Konzernobergesellschaft oder einer Vertreterkonzerngesellschaft (designated filing entity) in ihrem Ansässigkeitsstaat einzureichen, sofern mit diesem Staat ein Abkommen besteht, dass jährlich den automatischen Austausch der maßgebenden Informationen sicherstellt (qualifying competent authority agreement).
Nach dem EU-Richtlinienentwurf hat der top-up tax information return lediglich die Informationen zu beinhalten, die für die Beurteilung, inwieweit Pillar 2 anwendbar ist, und für die Berechnung sowie Erhebung der Zusatzsteuer relevant sind. Die Berechnungen selbst müssen nicht in dieser Erklärung vorgenommen werden. Aus Konzernsicht ist jedoch davon auszugehen, dass die einzelnen Konzerngesellschaften maßgebend zu den auch für interne Zwecke relevanten Berechnungen beitragen werden.
5. Ausblick
Die OECD hat für Anfang 2022 einen Kommentar zu den bereits veröffentlichen Musterregelungen angekündigt. Da sich der EU-Richtlinienentwurf am OECD-Standard orientiert, wird dieser Kommentar auch für die Auslegung der Richtlinienregelungen von Nutzen sein. Die Mitgliedstaaten sollen nach den Vorstellungen der Europäischen Kommission (sowie der OECD) die Richtlinie bis Ende des Jahres 2022 umsetzen. Die Regelungen sollen grundsätzlich mit 01.01.2023 in Kraft treten. Lediglich jene Vorschriften, die die UTPR betreffen, müssen erst bis 01.01.2024 in Kraft gesetzt werden.
Aus praktischer Sicht bietet es sich an, bereits jetzt zu prüfen, für welche Staaten potenziell mit einer Zusatzsteuer zu rechnen ist. Naheliegend sind Staaten mit einem Nominalkörperschaftsteuersatz von unter 15 % (zB Irland, Bulgarien, Nord-Mazedonien, Ungarn, Zypern). Aber auch Staaten, die über besondere Steuerregime (zB tax holidays) verfügen, sind potenziell betroffen. Angesichts der Anknüpfung an das Rechnungslegungsrecht und der vom nationalen Steuerrecht losgelösten Anpassungen kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass auch für Staaten mit Steuersätzen von über 15 % und ohne Sonderregime eine top-up tax anfallen kann. Es ist daher zB auch für in Österreich ansässige Gesellschaften internationaler Konzerne sinnvoll, zu analysieren, ob sich für Österreich eine top-up tax ergeben kann, zumal es durchaus wahrscheinlich erscheint, dass Österreich das Aufkommen einer solchen Zusatzsteuer nicht dem Staat der Konzernobergesellschaft überlassen wird, sondern über eine qualified domestic top-up tax selbst lukrieren wird wollen.
Gerne steht Ihnen Ihr KPMG-Berater bei allen Fragen rund um das Zwei-Säulen-Modell und insbesondere zur anstehenden Umsetzung von Pillar 2 zur Verfügung.
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