Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 27. Mai 2025 (2 BvR 172/24; veröffentlicht am 7. Juli 2025) das Urteil des Thüringer Finanzgerichts vom 30. März 2022 (1 K 68/17) wegen eines Verstoßes gegen Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) in seiner Ausprägung als Willkürverbot aufgehoben und zurückverwiesen. Gegenstand der Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin (Strategieträgerin) war die Nichtanerkennung von Anlaufverlusten eines verbundenen Schwesterunternehmens (Lohnfertigerin) als eigene Betriebsausgaben aufgrund des Fehlens einer entsprechenden schriftlichen Vereinbarung zwischen den beiden Unternehmen.
Zugrundeliegender Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin (GmbH & Co. KG) handelt weltweit mit Schnittholz und ist die Strategieträgerin der Unternehmensgruppe. Sie übernimmt den Einkauf des Rohholzes und führt als Verwaltungszentrale alle zentralisierten Gruppenfunktionen aus. Eine Schwestergesellschaft (GmbH & Co. KG) ist als Lohnfertigerin für die Strategieträgerin tätig und betreibt für diese ein Sägewerk. Die Strategieträgerin ist auch für die Planung und Errichtung der Sägewerke verantwortlich.
Im Jahr 2005 hat die Strategieträgerin für die Schwestergesellschaft ein Sägewerk geplant und errichtet. Dabei ist es zu Fehlplanungen und Mängeln bei der Umsetzung durch die Strategieführerin gekommen, die zu außergewöhnlichen Zusatzkosten in Höhe von mehr als 4 Millionen Euro bei der Schwestergesellschaft geführt haben. Im Jahr 2008 haben die beiden verbundenen Unternehmen eine „Vereinbarung zum Schadensausgleich“ getroffen und die Strategieführerin hat der Schwestergesellschaft eine Kompensation in Höhe von 4 Millionen Euro gezahlt. Diese Zahlung hat die Strategieträgerin als eigene Betriebsausgaben in ihren Steuererklärungen geltend gemacht. Schriftliche Verträge zwischen den beiden verbundenen Unternehmen gab es zu dem Vorgang nicht.
Zunächst wurden diese Betriebsausgaben vom Finanzamt erklärungsgemäß berücksichtigt und unter dem Vorbehalt der Nachprüfung beschieden. Im Rahmen einer Außenprüfung kam das Finanzamt dann zu dem Ergebnis, dass kein schriftlicher Werkvertrag zur Planung und Errichtung des Sägewerks geschlossen worden ist. Eine wie unter Fremden übliche Durchführung sei damit nicht nachvollziehbar. Daraufhin versagte das Finanzamt den Betriebsausgabenabzug und erließ entsprechend Änderungsbescheide.
Die Strategieführerin legte hiergegen Einspruch ein und begründet diesen unter anderem damit, dass sie als Strategieführerin die Produktionsrisiken trage und die entsprechenden Entscheidungen getroffen habe, während das Schwesterunternehmen nur als Lohnfertigerin tätig sei und daher keine Anlaufverluste tragen müsse. Gemäß der „Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung“ (BMF vom 13. Oktober 2010 - IV B 5 - S 1341/08/10003 BStBl 2010 I S. 774) könne sich ein solches Lohnfertigerverhältnis aus einer tatsächlichen Übung ergeben. Mit Einspruchsentscheidung vom 28. Dezember 2016 wurden die Einsprüche als unbegründet zurückgewiesen. Ohne schriftlichen Vertrag seien die Einzelheiten der Vereinbarung nicht nachvollziehbar. Eine solche mündliche Vereinbarung widerspreche dem Fremdvergleich.
Die Beschwerdeführerin erhob daraufhin Klage beim Finanzgericht Thüringen (FG) und erstreckte diese nunmehr auf sämtliche Anlaufverluste in Höhe von 7,5 Millionen Euro. In der mündlichen Verhandlung trat die Beschwerdeführerin Beweis dafür an, dass sie allein für die Errichtung und Wartung des Sägewerkes einschließlich der für die Anlaufverluste ursächlichen Punkte verantwortlich war. Darüber hinaus stellte die Beschwerdeführerin Beweisanträge zur tatsächlichen Weisungsgebundenheit und fehlendem Beschaffungsrisiko der Schwestergesellschaft. Mit Urteil vom 30. März 2022 (I K 68/17) wies das FG die Klage ab und ließ auch die Revision beim Bundesfinanzhof (BFH) nicht zu. Das FG führte aus, dass die betriebliche Veranlassung der Ausgleichszahlung anhand des Fremdvergleichsgrundsatzes zu überprüfen sei. Diese Prüfung umfasse die Frage, ob die Vereinbarung zivilrechtlich wirksam, klar und eindeutig sei sowie dem Inhalt nach dem zwischen fremden Dritten Üblichen entspräche und tatsächlich durchgeführt wurde (Verweis auf BFH, Urteil vom 29. Juli 2015 – IV R 16/12 – BFH/NV 2015, S. 1572 – Rn. 17). Diesen Anforderungen würde die mündliche Vereinbarung nicht gerecht werden. Auf die tatsächliche Durchführung eines Lohnfertigerverhältnisses komme es damit nicht mehr an.
Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin Nichtzulassungsbeschwerde beim BFH ein und führte unter anderem aus, dass eine Rechtsprechungsdivergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 FGO) vorliege. Die erforderliche Prüfung der Anforderungen des Fremdvergleichsgrundsatzes sei nicht durchgeführt worden. Vielmehr wurde nur auf das Fehlen einer schriftlichen Vereinbarung abgestellt. Dies widerspreche der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 24. Januar 1990 – I R 157/86 – BStBl. II 1990, S. 645 und vom 12. Mai 2016 – IV R 27/13 – BFH/NV 2016, S. 1559) sowie des BVerfG (Beschluss der 1. Kammer des 2. Senats vom 7. November 1995 – 2 BvR 80/90). Der BFH wies die Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschluss vom 8. März 2023 (IV B 35/22) als unbegründet zurück. Eine Anhörungsrüge wies der BFH mit Beschluss vom 25. Mai 2023 (IV S 10/23) ebenfalls zurück.
Verfassungsbeschwerde beim BVerfG
Mit Beschluss vom 27. Mai 2025 (2 BvR 172/24) entschied das BVerfG, dass das Urteil des FG gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Artikel 3 Absatz 1 GG) in Gestalt des Willkürverbots verstoße. Es hob das Urteil des FG daher auf und verwies die Sache zurück an das FG. Das BVerfG führte aus, dass das FG nicht die im Rahmen des Fremdvergleichs erforderliche Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände vorgenommen, sondern allein darauf abgestellt habe, dass die Unternehmen im Vorfeld keinen schriftlichen Vertrag abgeschlossen haben. Das FG habe explizit offengelassen, ob es konkludente Vereinbarungen über das Lohnfertigerverhältnis und die Ausgleichszahlung gegeben habe. Eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Fremdvergleichs sei dem Urteil nicht ansatzweise zu entnehmen. Dementsprechend habe das FG die Rechtslage in krasser Weise verkannt, sodass das Urteil unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar sei und sich der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht.
Praxishinweise
Der Beschluss des BVerfG macht in einer erfreulichen Klarheit deutlich, dass eine stark verkürzte „strenge“ Interpretation des Fremdvergleichsgrundsatzes, die rein auf das Vorliegen schriftlicher Verträge abzielt, rechtlich unvertretbar ist. Dem Beschluss kommt in der Praxis hohe Bedeutung zu, da derartige Vereinbarungen zwischen verbundenen Unternehmen regelmäßiger Streitpunkt im Rahmen von Verrechnungspreisprüfungen sind. Von Seiten der Finanzverwaltung wird häufig, wie im vorliegenden Fall, behauptet, das Fehlen eines schriftlichen Vertrages sei per se fremdunüblich. Die Entscheidung des BVerfG schiebt einer derartigen Argumentation einen Riegel vor und stimmt insoweit mit der Interpretation des abkommensrechtlichen Fremdvergleichsgrundsatzes des Artikels 9 des OECD-Musterabkommens überein.
Fazit
Steuerpflichtige, die die Fremdüblichkeit mündlich abgeschlossener Verträge verteidigen müssen, sollten hierzu auf den oben genannten Beschluss verweisen und eine vollumfängliche Prüfung sowie Gesamtwürdigung einfordern.
Unabhängig davon empfiehlt es sich dennoch, bei derartigen Vereinbarungen zwischen verbundenen Unternehmen (Lohn- oder Auftragsfertigerverhältnis, Funktionsverlagerungen inklusive Preisanpassungsklauseln, Dienstleistungsverrechnungen, Vertriebsvergütungen inklusive Jahresendanpassungen, Darlehens- oder Cash Pooling Vereinbarungen etc.) schriftliche Verträge abzuschließen. Diesen kommt eine starke Indizfunktion zu und sie verbessern die Beweislage erheblich.
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Veröffentlichungsdatum:
29.08.2025