Mit zwei Urteilen vom 18. Dezember 2024 (Aktenzeichen I R 45/22 und I R 49/23) hat der Bundesfinanzhof (BFH) klargestellt, dass § 1 Abs. 5 des Außensteuergesetzes (AStG) eine Einkünftekorrekturnorm und keine eigenständige Regelung zur Betriebsstättengewinnermittlung darstellt. Die Gewinnermittlung einer inländischen unselbstständigen Betriebsstätte kann somit nicht allein auf Grundlage dieser Norm verworfen und eine Neuaufteilung des Gewinns vorgenommen werden.
Hintergrund: Authorised OECD Approach
Mit § 1 Abs. 5 AStG sollte der im Juli 2008 veröffentlichte Inhalt des OECD-Betriebsstättenberichts (auch als Authorised OECD Approach, kurz „AOA“ bezeichnet) sowie die darauffolgende Neufassung in den OECD-Musterabkommen und dessen Neukommentierung in innerstaatliches Recht umgesetzt werden. Konkretisiert wird die Norm des § 1 Abs. 5 AStG durch die Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV).
Gemäß der Vorschrift ist für grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte grundsätzlich der Fremdvergleichsgrundsatz maßgebend. Zudem liegt dem AOA der Gedanke zugrunde, Betriebsstätten grundsätzlich wie eigenständige und unabhängige Unternehmen zu behandeln (sogenannter Functionally Separate Entity Approach).
Der AOA unterteilt sich in zwei wesentliche Schritte:
- Zuordnung von Personalfunktionen, Vermögenswerten, Chancen und Risiken sowie angemessenem Eigenkapital (Dotationskapital) zur Betriebsstätte.
- Bestimmung der Art der Geschäftsbeziehungen zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte und die Verrechnungspreise für diese Geschäftsbeziehungen.
Die Verankerung der Betriebsstättengewinnaufzeichnung und -gewinnermittlung in der Einkünftekorrekturnorm des § 1 AStG führt seit Einführung zu zahlreichen Herausforderungen in der Praxis. Diese beinhalten Umsetzungsfragen, aber auch Fragen rund um Fristen und Sanktionen bei Nichteinhaltung. Dies führt nicht selten, wie in den vom BFH zu beurteilenden Fällen, zu Streitigkeiten zwischen Steuerpflichtigen (deren Beratern) und der Finanzbehörde.
BFH; Urteil vom 18. Dezember 2024 (I R 45/22)
Im Streitfall unterhielt eine ungarische Kapitalgesellschaft (Stammhaus) eine Betriebsstätte in Deutschland, welche Werkvertragsleistungen im Bereich Montage durchführte. Das zuständige Finanzamt folgte dem im Streitjahr erklärten Betriebsstättengewinn nicht. Es ging stattdessen davon aus, dass die Betriebsstätte lediglich Routinetätigkeiten ausübte und nahm eine schuldrechtliche Beziehung zwischen Betriebsstätte und Stammhaus (sogenanntes „Dealing“) an. Das Finanzamt ermittelte den Gewinn der Betriebsstätte unter Anwendung der deutschen konkretisierten Regelungen zur Gewinnzuordnung bei Bau- und Montagebetriebsstätten anhand der Kostenaufschlagsmethode mit einem (fiktiven) Kostenaufschlag. Die Vorinstanz sah jedoch für das Vorliegen eines Dealings keine Anhaltspunkte und lehnte daher den Ansatz fiktiver Aufschlagsätze ab (FG Nürnberg, Urteil vom 27.09.2022, 1 K 1595/20).
Der BFH bestätigte nun die Entscheidung des FG Nürnberg. Der entscheidende Senat vertrat die Auffassung, dass sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut und der Eingliederung der Norm in das Außensteuergesetz ergibt, dass es sich bei § 1 Abs. 5 AStG um eine Einkünftekorrekturnorm und nicht um eine eigenständige systematisch dem Regelungsbereich der §§ 4 ff. des Einkommensteuergesetzes (EStG) zuordenbare Gewinnermittlungsvorschrift handelt. Insofern knüpft die Vorschrift tatbestandlich an einer vorangegangenen Minderung der Einkünfte an. § 1 Abs. 5 AStG entfaltet somit keine Ausstrahlwirkung außerhalb des entsprechenden Anwendungsbereichs, sodass auch für Betriebsstätten eine veranlassungsbezogene Gewinnermittlung nach §§ 4 ff. EStG zulässig ist. Zudem betont der BFH, dass eine außerbilanzielle Korrektur durch § 1 Abs. 5 AStG nur dann vorgenommen werden kann, wenn nicht fremdübliche Preise vereinbart wurden und dadurch – als kausale Bedingung – die Betriebsstätteneinkünfte gemindert wurden.
Aufgrund der Tatsache, dass der BFH nicht von einer Verletzung der Dokumentationspflichten ausgeht, lässt sich schließen, dass er nicht von einem Vorliegen anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus ausgeht. Da in dem Urteilssachverhalt keine (fremdunüblich vergüteten) Leistungsbeziehungen festgestellt werden konnten, darf § 1 Abs. 5 AStG folglich nicht zur Anwendung kommen. Nach Ansicht des BFH fehlt es somit an einer Verrechnungspreisrelevanz.
Diese Grundsätze bestätigte der BFH auch in einer zweiten Entscheidung, datiert auf denselben Tag (Urteil vom 18. Dezember 2024, I R 49/23 (NV)).
Fazit und Praxisimplikationen
Der BFH hat mit den Urteilen seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, wonach § 1 AStG eine reine Korrekturvorschrift für Einkünfte ist. Sie erlaubt es nicht, eine bestehende, anlassbezogene Gewinnermittlung, wie sie im Ausland oftmals vorgegeben ist bzw. erfolgt, ohne weitere Prüfung einfach zu verwerfen.
Eine Einkünftekorrektur bei Betriebsstätten nach § 1 Abs. 5 AStG ist nur dann möglich, wenn es einen kausalen Zusammenhang zwischen nicht fremdüblichen Verrechnungspreisen und einer dadurch entstandenen Einkünfteminderung gibt. Dies ist sachverhaltsbezogen anhand der folgenden Prüfschritte zu beurteilen:
- Wurden zwischen Betriebsstätte und Stammhaus für anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen (Dealings) fremdunübliche Preise vereinbart?
- Haben diese fremdunüblichen Preise die inländischen Betriebsstätteneinkünfte gemindert?
Gleichzeitig zeigen die Urteile die Schwachstellen der gesetzgeberischen Umsetzung des AOA im Rahmen der Einkünftekorrekturnorm des § 1 AStG auf, welche eingangs bereits adressiert wurden.
Hieraus resultiert folgende Praxisfrage: Ist die Anwendung des AOA und die Erstellung der geforderten Hilfs- und Nebenrechnung für (beschränkt) Steuerpflichtige mit Betriebsstätten in Deutschland verpflichtend?
Selbst wenn die Urteile gegen eine Verpflichtung sprechen, so unterliegt das Finanzamt intern dennoch Anweisungen und Richtlinien entsprechend zu prüfen und diesen Maßstab anzulegen. Aus Beraterpraxis empfiehlt es sich folglich im besten Falle eine entsprechende Gewinnermittlungslogik beim Aufsatz zu berücksichtigen, um entsprechende Dispute zu vermeiden.
Auch wenn die jüngsten Urteile unserer Meinung nach zu begrüßen sind, so lösen sie das Dilemma nicht. Die weitere Rechtsentwicklung bleibt daher mit Spannung abzuwarten. Derzeit ist beim BFH unter dem Aktenzeichen I R 38/23 ein weiteres Verfahren zu vergleichbaren Fragestellungen anhängig, dessen Entscheidung im kommenden Jahr erwartet wird.
Gerne stehen Ihnen unsere KPMG-Experten für Verrechnungspreise für Fragen rund um Betriebsstätten zur Verfügung.
Veröffentlichungsdatum:
29.08.2025