Rückforderung der Umsatzsteuer bei Anwendung eines falschen Umsatzsteuersatzes

Tax News 4/2025

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Bergsteiger auf Gipfel

Im Urteil vom 1. Oktober 2025, C-794/23, Finanzamt Österreich, befasst sich der EuGH mit der Frage, ob fälschlich in Rechnung gestellte Umsatzsteuerbeträge geschuldet werden, wenn die Dienstleistungen nicht ausschließlich an Privatpersonen erbracht wurden. Zudem äußert sich der EuGH zur vom nationalen Gericht vorgenommenen Schätzung und damit verbundenen Grenzen.

1. Sachverhalt und Vorlagefragen

Die Klägerin verkaufte Eintrittskarten für einen Indoor-Spielplatz. Diese Eintrittskarten wurden versehentlich mit 20 % Umsatzsteuer ausgestellt statt des korrekt ermäßigten Umsatzsteuersatzes von 13 %. Die Klägerin führte die 20 % Umsatzsteuer an das Finanzamt ab. Um die zu hohe Abfuhr der Umsatzsteuer zu korrigieren, reichte die Klägerin eine berichtigte Umsatzsteuererklärung ein. Das Finanzamt setzte den Umsatzsteuerbescheid ohne Berücksichtigung der Berichtigung fest, da der 20%ige Umsatzsteuersatz auf den Registrierkassenbelegen ausgewiesen sei und die Klägerin demnach die Steuer schulde. Die Klägerin reichte Beschwerde gegen den Umsatzsteuerbescheid ein mit der Begründung, die Leistungen seien „praktisch ausschließlich" an nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Privatpersonen erbracht worden, so dass eine Gefährdung des Steueraufkommens auszuschließen und eine Berichtigung der Rechnungen nicht erforderlich sei.

Das BFG setzte das Verfahren aus und leitete ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH ein. Der EuGH entschied in der Rs Finanzamt Österreich (siehe EuGH vom 8. Dezember 2022, C-378/21, Finanzamt Österreich), dass ein Steuerpflichtiger die Umsatzsteuer gem. Art. 203 MwStSyst-Rl nicht schulde, wenn keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt, weil diese Dienstleistung ausschließlich an Endverbraucher erbracht wurde, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind.

Daraufhin änderte das BFG den Umsatzsteuerbescheid ab und wendete auf 99.5 % der Umsätze den 13%igen Steuersatz an. Die restlichen Umsätze wurden dem 20%igen Steuersatz kraft Rechnungslegung unterworfen. Diese 0,5 % wurden vom BFG geschätzt, weil nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die Klägerin auch Leistungen an (zum Vorsteuerabzug) berechtigte Unternehmer erbracht hatte.

Das Finanzamt legte Revision gegen das BFG-Urteil mit der folgenden Begründung ein: Der EuGH hätte sein Urteil unter der Prämisse erlassen, dass die Klägerin ihre Umsätze ausschließlich an nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Kunden erbracht habe. Diese Prämisse wurde jedoch widerlegt, sodass Zweifel bestehen, ob die im EuGH-Urteil vorgenommene Würdigung auf den vorliegenden Fall anwendbar ist. Der VwGH gab der Revision statt, setzte das Verfahren aus und legte erneut drei Vorlagefragen dem EuGH vor.

2. Entscheidung des EuGH

Mit der ersten Frage wollte der VwGH wissen, ob ein Unternehmer auch die an Nichtunternehmer auf der Rechnung falsch ausgewiesene Mehrwertsteuer gem. Art. 203 MwStSyst-RL schuldet, wenn er dieselben Leistungen auch an Steuerpflichtige erbracht hat. Zu dieser Frage führte der EuGH aus, dass die Steuerschuld kraft Rechnungslegung nur entsteht, wenn eine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt. Um zu beurteilen, ob eine solche Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt, muss geprüft werden, ob der Empfänger der Rechnung zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. In diesem Sinne hat der EuGH entschieden, dass die an Nichtunternehmer in Rechnung gestellte zu hoch ausgewiesene Mehrwertsteuer nicht gem. Art. 203 MwStSyst-RL geschuldet wird, selbst wenn der Unternehmer gleichartige Leistungen auch an andere Steuerpflichtige erbracht hat.

Die zweite Vorlagefrage betraf die vom EuGH in seinem „ersten“ Urteil verwendete Formulierung „nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Endverbraucher“ (siehe EuGH vom 8. Dezember 2022, C-378/21, Finanzamt Österreich). In der Rs Finanzamt Österreich hat der EuGH nämlich entschieden, dass Art. 203 MwStSyst-RL nicht anwendbar ist, wenn keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt, weil diese Dienstleistung ausschließlich an Endverbraucher erbracht wurde, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Der VwGH fragt nun, ob diese Formulierung nur Nichtsteuerpflichtige umfasst oder auch Steuerpflichtige, die in einer bestimmten Situation nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Der EuGH hielt in der Beantwortung der zweiten Vorlagefrage fest, dass die Formulierung eng auszulegen sei und nur nicht steuerpflichtige Personen als „Endverbraucher, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind", einzustufen sind. .

Mit der letzten Vorlagefrage wollte das vorlegende Gericht wissen, ob ein nationales Gericht durch eine Schätzung ermitteln kann, für welchen Anteil der Rechnungen die Mehrwertsteuer gem. Art. 203 MwStSyst-RL geschuldet wird, wenn die an Steuerpflichtige erbrachte Leistungen aufgrund der vereinfachten Rechnungslegung gem. Art. 238 MwStSyst-RL nicht ermittelt werden können. Der EuGH betonte, dass das Unionsrecht einer Schätzung nicht entgegensteht, wenn die Grundsätze der steuerlichen Neutralität und der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt werden. Dem Steuerpflichtigen muss zudem durch Einräumung der Verteidigungsrechte die Möglichkeit gegeben werden, die mit der vom Gericht angewendeten Methode erzielten Ergebnisse in Frage zu stellen.  

3. Ausblick

Mit dem vorliegenden Urteil stellt der EuGH (nochmals) klar, dass bei Verkäufen an Nichtunternehmer eine zu hoch ausgewiesene Umsatzsteuer grundsätzlich nicht gem. § 11 Abs. 12 UStG geschuldet wird. Dass der Unternehmer gleichartige Leistungen auch an Steuerpflichtige erbringt, ändert die Beurteilung für die an Nichtunternehmer ausgestellten Belege nicht. Der EuGH hat zudem klargestellt, dass bei Kleinbetragsrechnungen der Anteil der Umsätze an Unternehmer und Nichtunternehmer mangels Identifizierbarkeit im Wege der Schätzung ermittelt werden kann. Wird eine solche Schätzung vom Steuerpflichtigen angewendet, ist zu empfehlen, dass die angewendete Schätzmethode gegenüber dem Finanzamt offengelegt wird. Um auch für den geschätzten „Unternehmer-Anteil“ eine Steuerschuld kraft Rechnung zu vermeiden, wäre grundsätzlich eine Rechnungsberichtigung erforderlich, was in der Praxis bei Kleinbetragsrechnungen jedoch häufig nicht umsetzbar ist.