EuGH zur umsatzsteuerlichen Beurteilung des Factorings

Tax News 4/2025

Tax News 4/2025

  • 1000
Bergsteiger in Wand

Mit seiner Entscheidung in der Rechtssache C-232/24 Kosmiro vom 23.10.2025 hat der EuGH weitere Aspekte der umsatzsteuerlichen Behandlung von Factoring geklärt und seine bisherige Judikatur bestätigt.

1. Factoring und seine umsatzsteuerliche Einordnung

Der EuGH hat in der Vergangenheit im Wesentlichen mit zwei besonders relevanten Urteilen Beurteilungskriterien für Factoring definiert:

EuGH 26.6.2003, Rs C-305/01 MKG

Wenn die Dienstleistung des Factors im Wesentlichen darin besteht, dass der Zedent von der Einziehung der Forderung entlastet wird, erbringt er eine umsatzsteuerpflichtige wirtschaftliche Tätigkeit für den Zedenten. Dies gilt unabhängig davon, ob echtes oder unechtes Factoring gegeben ist, d. h. es ist irrelevant, ob das Risiko der Nichterfüllung übernommen wird oder nicht. Diese Kernaussagen finden sich auch in den Umsatzsteuerrichtlinien Rz. 8, 757 und 760.

Im Falle von Verträgen, in denen die Übernahme des Inkasso durch den Zessionar nicht vereinbart ist, liegt jedoch keine umsatzsteuerpflichtige Leistung vor. Nach dem deutschen Umsatzsteuer-Anwendungserlass stellt dies beim Forderungsverkäufer einen steuerfreien Umsatz im Geschäft mit Forderungen dar. Mit dem Einzug der abgetretenen Forderungen (zB Servicing bei Asset-Backed-Securities-Transaktionen) erbringt der Forderungsverkäufer keine weitere Leistung an den Forderungskäufer oder es liegt eine Nebenleistung zum umsatzsteuerbefreiten Forderungsverkauf vor.

EuGH 27.10.2011, Rs C-93/10 GFKL Financial Services AG:

Bei der Übertragung einer zahlungsgestörten Forderung unter Übernahme des Ausfallrisikos durch den Erwerber besteht der wirtschaftliche Gehalt in der Entlastung des Verkäufers vom wirtschaftlichen Risiko und nicht in der Einziehung der Forderung.

Wenn der Abschlag vom Nennwert der übertragenen Forderung vorrangig auf der Beurteilung der Werthaltigkeit der Forderung beruht, liegt keine umsatzsteuerpflichtige Factoringleistung des Forderungskäufers an den Zedenten vor, selbst wenn der Erwerber den Verkäufer von Inkasso und weiterer Verwaltung der Forderung entlastet. Vielmehr erbringt der Verkäufer mit der Übertragung einer zahlungsgestörten Forderung unter Übernahme des Ausfallrisikos durch den Erwerber eine steuerfreie Leistung im Geschäft mit Forderungen an den Erwerber.

2. Sachverhalt und Schlussanträge des Generalanwalts

Am 3.4.2025 wurden die Schlussanträge des Generalanwalts Rantos in der Rechtssache Kosmiro veröffentlicht. Im finnischen Ausgangsverfahren erbringt ein Finanzdienstleister (genannt „A“) Dienstleistungen in Form von unechtem und echtem Factoring, in der deutschen Übersetzung bezeichnet als Factoring in Form der Verpfändung oder in Form eines Forderungsverkaufs.

Beim Factoring in Form der Verpfändung übernimmt A das Mahnwesen und die außergerichtliche Eintreibung der sicherungsweise verpfändeten Forderungen, das Zahlungsausfallsrisiko bleibt beim Zedenten. Bei Factoring in Form eines Forderungsverkaufs geht zusätzlich das Ausfallsrisiko auf A über.

Für seine Dienstleistungen stellt A den Zedenten je nach Vertrag bis zu neun verschiedene Gebühren in Rechnung, wobei das vorlegende Gericht vom EuGH nur die betragsmäßig höchsten, nämlich die Finanzierungsprovision und die Einrichtungsgebühr, umsatzsteuerlich beurteilt haben möchte:

  • Die Finanzierungsprovision, die bei beiden Vertragsformen gleich erhoben wird, ist eine in Prozent ausgedrückte Gebühr für jede Rechnungsforderung. Die Höhe bemisst sich nach den Zahlungsbedingungen der Rechnungsforderung; sie ist umso höher, je länger das Zahlungsziel der Rechnung und je schlechter das Rating sind.
  • Die Einrichtungsgebühr ist ein festes Entgelt, das der Kunde als Gegenleistung für die mit der Einrichtung und dem Ingangsetzen des Factoringverfahrens verbundenen Tätigkeiten an A entrichtet.

A geht davon aus, dass sämtliche erhobenen Provisionen und Gebühren der Umsatzsteuer zu unterwerfen sind, weshalb A uneingeschränkten Vorsteuerabzug geltend macht, und wollte einen entsprechenden Vorbescheid von der finnischen Finanzverwaltung erwirken. Die Finanzverwaltung teilte diese Beurteilung nur teilweise und qualifizierte einen Teil der Finanzierungsprovision als umsatzsteuerbefreite Gegenleistung für die Gewährung eines Kredits. Folglich sei auch die Einrichtungsgebühr in einen umsatzsteuerpflichtigen und einen umsatzsteuerfreien Teil aufzuspalten.

Das finnische Gericht hat dem EuGH fünf Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

3. Urteil des EuGH vom 23.10.2025 in der Rs C-232/24 Kosmiro

In seiner Entscheidung vom 23.10.2025 folgte der EuGH den Schlussanträgen des Generalanwalts.

Zur ersten und zweiten Vorlagefrage verweist der EuGH auf das Urteil MKG. Factoring stellt eine wirtschaftliche Tätigkeit gegen Entgelt dar und fällt in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuerrichtlinie. Da sich der Factor nicht als passiver Eigentümer der erworbenen Forderungen verhält, sondern seinem Kunden eine Dienstleistung erbringt, ist die Rechtsprechung GFKL nicht übertragbar. Die Finanzierungsprovision und die Einrichtungsgebühr sind daher als tatsächliche Gegenleistung für die erbrachte Dienstleistung des Factors anzusehen.

Hinsichtlich der dritten und vierten Vorlagefrage beschäftigt sich der EuGH zunächst mit dem Begriff der „Einziehung von Forderungen“, der in der Richtlinie nicht definiert ist. Der EuGH bestätigt den Generalanwalt, der schon ausgeführt hatte, dass die Einziehung von Forderungen als Gegenausnahme zu einer Umsatzsteuerbefreiungsvorschrift weit auszulegen ist. Der EuGH wiederholt seine MKG-Judikatur, dass der Begriff alle Formen des Factorings umfasst, da der Hauptzweck des Factorings seinem objektiven Charakter nach in der Einziehung von Forderungen eines Dritten besteht. Dies gilt für echtes als auch unechtes Factoring.

Anschließend untersucht der EuGH, ob eine einheitliche und unteilbare umsatzsteuerpflichtige Leistung Forderungseinziehung vorliegt oder ob teilweise eine gesonderte Dienstleistung Kreditgewährung vergütet wird. Unter Bezugnahme auf Vorjudikatur leitet der EuGH her, dass die Erbringung der Factoring-Dienstleistung sowohl aus Sicht des Kunden als auch des Factors einen einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang darstellt, wodurch der Factor den Zedenten von der Forderungseinziehung befreit. Beim echten Factoring existiert gar keine Kreditvaluta, die jemals zurückzuzahlen wäre, und auch beim unechten Factoring steht die Inkassoleitung im Vordergrund. Dementsprechend konkludiert der EuGH, dass sowohl bei echtem als auch unechtem Factoring eine einheitliche und unteilbare Dienstleistung „Einziehung von Forderungen“ vorliegt. Die Finanzierungsprovision und die Einrichtungsgebühr sind somit zur Gänze umsatzsteuerpflichtig.

Zur fünften Vorlagefrage führt der EuGH zunächst allgemein aus, dass nationale Gesetze nach Möglichkeit richtlinienkonform zu interpretieren sind. Sollte dies nicht möglich sein, sind die nationalen Vorschriften außer Acht zu lassen. In weiterer Folge schließt sich der EuGH dem Generalanwalt an, dass die „Einziehung von Forderungen“ in Artikel 135 (1)(d) Mehrwertsteuerrichtlinie hinreichend genau und unbedingt ist, um unmittelbare Wirkung zu entfalten, sodass sich Rechtsunterworfene vor den nationalen Gerichten darauf unmittelbar berufen können.