Aktuelle BFG-Rechtsprechung zu unzulässiger Schätzung des Finanzamts

Tax News 3/2025

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Ist es unmöglich, die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, darf die Behörde schätzen. Der Beitrag zeigt anhand von zwei aktuellen Entscheidungen des Bundesfinanzgerichts (BFG) Schranken der behördlichen Schätzungsbefugnis.

1. Höchstgerichtliche Rechtsprechung: Schätzung muss wirklichkeitsnah und verfahrensrechtlich-methodisch einwandfrei sein

Bei der Schätzung gemäß § 184 Abs. 1 Bundesabgabenordnung (BAO) geht es um die vergangenheitsbezogene Ermittlung von Bemessungsgrundlagen, wenn die Behörde die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln kann, insbesondere weil der Steuerpflichtige keine hinreichende Aufklärung über den Sachverhalt gibt. Ziel der Schätzung ist es, der Wirklichkeit so nahe wie möglich zu kommen (Verfassungsgerichtshof 29.6.2002, G 11/02).

Laut Verwaltungsgerichtshof muss (müssen)

  • das Schätzungsverfahren einwandfrei sein,
  • die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen mit der Lebenserfahrung im Einklang stehen,
  • die zum Schätzungsergebnis führenden Gedankengänge schlüssig und folgerichtig sein,
  • die Schätzung die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben und
  • die Begründung der Schätzung unter anderem die Schätzungsmethode, die der Schätzung zu Grunde gelegten Sachverhaltsannahmen und die Ableitung der Schätzungsergebnisse darlegen (VwGH 19.12.2012, 2012/08/0148; VwGH 21.10.2015, 2012/13/0097).

2. BFG 28.1.2025: Schätzung ohne Anhaltspunkt für eine wirtschaftliche Aktivität dem Grunde nach unzulässig

BFG 28.1.2025, RV/7102679/2022: Die Beschwerdeführerin (Bf) führte ab 2016 eine Pizzeria, deren Betrieb sie am 13.3.2017 nach einer Explosion im Geschäftslokal einstellen musste. Strittig war die Höhe der Einkünfte aus Gewerbebetrieb und der Umsätze der Jahre 2017 und 2018. Diese ermittelte das Finanzamt auf Basis einer Schätzung nach den Lebenshaltungskosten mit jeweils EUR 15.000, weil die Bf die Frage nach der Deckung der Lebenshaltungskosten unbeantwortet ließ. Für 2018 wurden keine Steuererklärungen eingereicht.

Das BFG hob den Einkommen- und den Umsatzsteuerbescheid für 2018 mit folgender Begründung auf:

  • Die Schätzungsbefugnis erstreckt sich neben der Ermittlung der Bemessungsgrundlagen der Höhe nach auf den Sachverhalt dem Grunde nach. Wenn ein Steuerpflichtiger nicht aufklären kann, aus welchen Quellen er seinen laufenden Lebensunterhalt bestritten hat, löst dies eine Schätzungsbefugnis aus. Dies bedeutet aber nur, dass die Behörde des Nachweises der konkreten Geschäfte enthoben ist. Im Zeitraum 1.1.2017 bis 12.3.2017 hat die Bf nachweislich eine gewerbliche Tätigkeit ausgeübt. Für diesen Zeitraum besteht eine Schätzungsbefugnis.
  • Aufgrund unterlassener Aufschlüsselung der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung und vager Angaben über den Familienlebensunterhalt ist es bei freier Beweiswürdigung sehr wahrscheinlich, dass der Bf weitere – in den Steuererklärungen 2017 nicht erfasste – Einnahmen aus dem Betrieb der Pizzeria zuflossen, die für den Lebensunterhalt Verwendung fanden.
  • Jedoch geht das BFG aufgrund fehlender Anhaltspunkte davon aus, dass die Bf in den Jahren 2017 und 2018 neben dem Betrieb der Pizzeria keine weiteren steuerrelevanten Tätigkeiten ausübte. Da ab der Schließung der Pizzeria am 13.3.2017 weder die vom Finanzamt angesetzten Einkünfte aus Gewerbebetrieb noch andere wirtschaftliche Aktivitäten der Bf feststellbar sind, können für diesen Zeitraum weder Einkünfte noch Umsätze zugerechnet werden. Eine Begründung für eine neue unternehmerische Tätigkeit der Bf nach März 2017 findet sich im Bescheid nicht.

3. BFG 12.8.2024: Keine Schätzungsberechtigung dem Grunde nach bei geringer Kalkulationsdifferenz in Höhe von 3 %

BFG 12.8.2024, RV/7100130/2017: Bei einem Fliesenleger (Bf) fand eine Außenprüfung betreffend Einkommensteuer und Umsatzsteuer für die Jahre 2008 bis 2010 statt. Dieser beschäftigte im Jahr 2008 einen Mitarbeiter. Laut den Aufzeichnungen des Bf erzielte er im Jahr 2008 mit einem Wareneinsatz von EUR 23.737,36 einen Gesamtumsatz von EUR 93.374,38. Im Rahmen der Außenprüfung kalkulierte der Prüfer den nach Erfahrungswerten zu erzielenden Jahresumsatz. Das kalkulierte Ergebnis überstieg den sich aus den Büchern des Bf ergebenden Gesamtumsatz im Jahr 2008 um 18 %. Aufgrund der Kalkulationsdifferenzen seien die kalkulatorisch ermittelten Nettoeinnahmendifferenzen den erklärten Umsätzen und Gewinnen hinzuzurechnen (rund EUR 20.000).

Das BFG hob den Einkommen- und den Umsatzsteuerbescheid für 2008 mit folgender Begründung auf:

  • Buchführungsmängel sind nicht ersichtlich und wurden in der Außenprüfung nicht beanstandet.
  • Im Rahmen der Kalkulation ist ua zu berücksichtigen, dass der Mitarbeiter des Bf im Jahr 2008 aus gesundheitlichen Gründen nicht in vollem Ausmaß einsetzbar war und es aufgrund schwieriger Auftragslage zu vermehrten Stehzeiten kam.
  • Auf Basis dieser – vom BFG neu vorgenommenen – Kalkulation ergibt sich kalkulatorisch für das Jahr 2008 ein zu erzielender Gesamtumsatz in Höhe von EUR 96.330,57 (EUR 65.472 Leistungsumsatz + EUR 30.858,57 Materialumsatz), somit ein um 3,17 % höherer Wert als der Gesamtumsatz laut den Büchern des Bf in Höhe von EUR 93.374,38. Diese Abweichung in Höhe von rund 3 % stellt sich für das BFG als nicht wesentlich dar.
  • Werden Bücher und Aufzeichnungen – wie gegenständlich – ordnungsgemäß geführt, ist gemäß § 163 Abs. 1 BAO auch ihre sachliche Richtigkeit zu vermuten. Ein begründeter Anlass, die sachliche Richtigkeit ordnungsgemäß geführter Bücher in Zweifel zu ziehen, liegt vor, wenn diese wesentlich von einer auf allgemeinen Erfahrungswerten basierenden Kalkulation abweichen. Ein wesentliches Abweichen hat der VwGH bei einer Kalkulationsdifferenz von über 10 % bejaht. Bei rund 3 % ist keine wesentliche Abweichung der ordnungsgemäß geführten Bücher von den allgemeinen Erfahrungswerten zu erkennen. Es besteht daher keine Berechtigung des Finanzamts, die Grundlagen für die Abgabenerhebung durch Schätzung zu erheben.

4. Fazit und Praxistipp

Die Befugnis des Finanzamts zur Schätzung ist naturgemäß ein „scharfes Schwert“. Allerdings darf die Behörde dieses Schwert nicht schrankenlos zücken. Der Beitrag zeigt Fälle auf, in denen eine Schätzung schon dem Grunde nach – also in vollem Umfang – unzulässig war. Die vom BFG verwendeten Argumente lassen sich aber auch auf Praxisfälle anwenden, bei denen der Steuerpflichtige nur die Höhe der Schätzung rügen will.