Bundesverwaltungsgericht: Selbständigkeit eines IT-Dienstleisters anerkannt
Tax News 4/2024
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Das Bundesverwaltungsgericht hat in einer jüngeren Entscheidung die Selbständigkeit eines IT-Dienstleisters anerkannt, weil lediglich eine sachliche, aber keine persönliche Einbindung in die Betriebsorganisation bestand (BVwG 27.3.2023, L511 2131307-1).
1. Sachverhalt/Verfahrensgang
Ein IT-Dienstleister war bis 2005 bei einer IT-Gesellschaft als Dienstnehmer beschäftigt. Von 2005 bis 2013 übte er dieselbe Tätigkeit auf Selbständigenbasis für die IT-Gesellschaft aus. Zu diesem Zweck hatte er eine Gewerbeberechtigung und war in diesem Zeitraum GSVG-pflichtversichert. Er hatte einen eigenen Arbeitsplatz im Unternehmen, bekam Computer, Handy sowie Visitenkarten zur Verfügung gestellt und war wöchentlich zu Besprechungsterminen im Unternehmen anwesend. Eine Bindung an fixe Arbeitszeiten bestand nicht. Urlaubs- und Abwesenheitszeiten mussten nicht koordiniert werden, dafür waren Arbeitszeitaufzeichnungen zu führen.
Laut Bescheid der OÖ Gebietskrankenkasse (mittlerweile: Österreichische Gesundheitskasse) überwogen die wesentlichen Kriterien der Dienstnehmereigenschaft im Vergleich zu den Merkmalen der selbständigen Tätigkeit, weshalb ein abhängiges Dienstverhältnis vorliege. Es wurden daher Sozialversicherungsbeträge vorgeschrieben (Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung gemäß § 4 Abs. 1 und 2 ASVG und Arbeitslosenversicherung). Die IT-Gesellschaft brachte erfolgreich Beschwerde gegen den Versicherungsbescheid ein.
2. BVwG: Versicherungsbescheid aufgehoben – Selbständigkeit des IT-Dienstleisters anerkannt
Dienstnehmer gemäß § 4 Abs. 2 ASVG ist, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird. Dies gilt auch dann, wenn die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit im Vergleich zu den Merkmalen selbständiger Erwerbstätigkeit überwiegen.
Das BVwG stellte eine persönliche Arbeitspflicht des IT-Dienstleisters gegenüber der Gesellschaft fest. Demgegenüber erfolgte die Arbeitsgestaltung völlig frei, es bestand weder zeitliche noch örtliche Bindung. Sowohl Arbeitszeit als auch Besprechungstermine konnten selbst bestimmt werden. Soweit die Tätigkeit nicht vor Ort beim Kunden zu erfolgen hatte, stand es dem Erwerbstätigen frei, ob er von zu Hause oder vom Büro aus arbeiten wollte. Die Arbeitszeitaufzeichnungen wurden ausschließlich zu Abrechnungszwecken geführt.
Vor diesem Hintergrund beurteilte das BVwG die Einbindung in die betriebliche Organisation: Für diese ist nach dem Gericht insbesondere maßgeblich, ob ein „personenbezogener Anpassungsdruck“ auf den IT-Dienstleister ausgeht. Für einen Anpassungsdruck spricht beispielsweise, dass Abläufe vorgegeben sind, Tätigkeiten mehrerer Mitarbeiter aufeinander abgestimmt werden oder einschlägige Betriebsmittel vor Ort der Person zugewiesen sind.
Das BVwG erkannte im konkreten Fall keinen personenbezogenen Anpassungsdruck auf den IT-Dienstleister. Durch alleinige Anwesenheit bei Besprechungsterminen erfolgte noch keine Einbindung in die Betriebsorganisation, vor allem weil es sich um projektbezogene Besprechungen handelte, die lediglich den Stand der Projekte und nicht den Arbeitsablauf zum Inhalt hatten. Es bestanden auch keine personenbezogenen Weisungs- und Kontrollbefugnisse des Leistungsempfängers. Trotz – aufgrund seines Spezialwissens bestehender – persönlicher Arbeitspflicht war der IT-Dienstleister daher nicht persönlich abhängig im Sinn des ASVG.
3. Ergebnis und Praxishinweis
Nach der Rechtsprechung des BVwG ist der „personenbezogene Anpassungsdruck“ ein maßgebliches Kriterium zur Abgrenzung zwischen Selbständigkeit und Dienstnehmereigenschaft. Dabei ist entscheidend, ob und inwieweit die betriebliche Organisation auf den Erwerbstätigen einwirkt und diesen einschränkt. Die Gesamtbeurteilung erfolgt letztlich im Rahmen eines Kriterienkatalogs, ist stark einzelfallbezogen und hängt vom jeweiligen konkreten Vertragsinhalt und Sachverhalt ab. Für die steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Einschätzung Ihrer individuellen Vertragsgestaltung stehen Ihnen die Expert:innen von KPMG jederzeit gern zur Verfügung.