Scheinunternehmer: Ausgewählte Änderungen des Sozialbetrugsbekämpfungsgesetzes (SBBG)
Tax News 4/2024
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Seit Inkrafttreten des Sozialbetrugsbekämpfungsgesetzes (SBBG) im Jahr 2016 sind in der Praxis neue Betrugsmuster anzutreffen, deren wirksame Bekämpfung nach Ansicht des Gesetzgebers legistische Anpassungen erforderte. Mit dem Betrugsbekämpfungsgesetz (BBKG) 2024 (Teil II) wurden zahlreiche Anpassungen des SBBG vorgenommen, die eine effektive(re) Bekämpfung von Sozialbetrug durch Scheinunternehmen gewährleisten sollen. Die Änderungen sind mit 1. September 2024 in Kraft getreten.
1. Erweiterung des Begriffs „Scheinunternehmen“
Bisher war als Scheinunternehmen ein Unternehmen anzusehen, das vorrangig darauf ausgerichtet ist,
- Lohnabgaben, Beiträge zur Sozialversicherung, Zuschläge nach dem BUAG oder Entgeltansprüche von Arbeitnehmern zu verkürzen oder
- Personen zur Sozialversicherung anzumelden, um Versicherungs-, Sozial- oder sonstige Transferleistungen zu beziehen, obwohl diese keine unselbstständige Erwerbstätigkeit aufnehmen.
Diese Regelung spiegelte die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des SBBG gängige Praxis wider, wonach die (vermeintlichen) Arbeitnehmer beim Scheinunternehmer direkt beschäftigt bzw. (an-)gemeldet wurden.
Mittlerweile haben sich die Betrugsmuster dahingehend verändert, dass vermehrt mehrstufige, komplexe Scheinunternehmens-Konstruktionen anzutreffen sind, die Schein- und Deckungsrechnungen ausstellen, um (Teil-)Schwarzgeldlöhne und gleichzeitig gewinnmindernde Aufwendungen zu generieren. Am unteren Ende solcher Konstruktionen finden zumeist Bargeldbehebungen statt, die als „Kick-Back-Zahlungen“ an übergeordnete Unternehmen zurückfließen und oftmals zur Begleichung von (Teil-)Schwarzlöhnen nicht ordnungsgemäß gemeldeter Beschäftigten dienen. In Reaktion auf diese mehrstufigen Scheinunternehmens-Konstruktionen wurde die bisherige Definition von Scheinunternehmen erweitert: ein Scheinunternehmen liegt nunmehr auch dann vor, wenn seine vorrangige Tätigkeit darin liegt, „Belege zu verfälschen, zu verwenden, herzustellen, oder einem anderen Unternehmen zur Verfügung zu stellen, die dazu dienen, einen Geschäftsvorgang vorzutäuschen oder dessen wahren Gehalt zu verschleiern.“ Korrespondierend wurde in § 51b FinStrG eine neue Finanzordnungswidrigkeit geschaffen, die die Herstellung und Verwendung von Schein- und Deckungsrechnungen pönalisiert.
2. Erweiterung der Sozialbetrugsdatenbank
Zur effizienteren Bekämpfung von Sozialbetrug haben die Finanzstraf- und Abgabenbehörden sowie die sonstigen in § 5 Abs. 1 SBBG genannten Stellen (z. B. GKK, BUAK) zusammenzuarbeiten und einander alle erforderlichen Informationen über Sozialbetrugsverdachtsfälle in der Sozialbetrugsdatenbank zwecks Datenaustausch zur Verfügung zu stellen.
Die Sozialbetrugsdatenbank wurde um gerichtlich strafbaren Sozialbetrug i. S. d. § 2 SBBG sowie um den (bloßen) Verdacht auf Vorliegen eines Scheinunternehmens i. S. d. § 8 SBBG erweitert. Demnach wird aus Sicht des Gesetzgebers in Zukunft auch der – vielfach durch Scheinunternehmen – vollzogene Leistungsmissbrauch (Bezug von Versicherungs-, Sozial- oder sonstigen Transferleistungen) vom Datenaustausch erfasst sein und effizienter bekämpft werden können. Indem bereits der Verdacht auf Vorliegen eines Scheinunternehmens in die Sozialbetrugsdatenbank eingetragen werden kann, ist eine frühzeitige Informierung anderer Stellen auch in Fällen möglich, in denen mangels konkreter Handlungen, wie Anmeldung von Dienstnehmern zur Sozialversicherung, Sozialbetrugshandlungen erst zu erwarten sind.
Ergänzend wird das AMS künftig Kooperationsstelle (bisher Informationsstelle) sein, um die Sozialbetrugsdatenbank gleichsam nutzen zu können.
3. Verdacht auf Scheinunternehmen
Der neu geschaffene § 8 Abs. 2a SBBG stellt klar, dass ein Verdacht auf Vorliegen eines Scheinunternehmens auch bei konkreten Anhaltspunkten für die Unterstützung von Sozialbetrug in einer Unternehmenskette gegeben ist. Einschlägig ist insbesondere die Rechnungsstellung ohne zugrunde liegende Leistungen, etwa in vorgetäuschten Subvergabekonstruktionen.
§ 8 Abs. 3 SBBG ergänzt den demonstrativen Kriterienkatalog für einen Verdacht auf Vorliegen eines Scheinunternehmens um das Nichtvorhandensein von dem Geschäftszweig entsprechenden Arbeitnehmern. Dieser Aspekt ist nicht für sich allein, sondern im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu würdigen. Nach § 8 Abs. 4 SBBG ist bei Bestehen eines konkreten Verdachtes nunmehr auch die Bundesgeschäftsstelle des AMS zu informieren.
4. Vorläufige Sicherung von Geldtransaktionen („Freezing“)
Die neu eingefügte Bestimmung des § 8a SBBG dient der vorläufigen Sicherung von Geldtransaktionen bei Banken und Kreditinstituten und soll inkriminierte Gelder dem Zugriff der Tätergruppen entziehen. Die behördliche Anordnung der Nichtdurchführung von Transaktionen dient dazu, erforderliche Ermittlungsmaßnahmen zu erleichtern und Sicherungsmaßnahmen im gerichtlichen oder abgabenrechtlichen Verfahren zu ermöglichen. Vorbild der Regelung ist § 17c ZollR-DG: Banken können nunmehr mittels Bescheides verpflichtet werden, Geldtransaktionen kurzfristig nicht abzuwickeln („Freezing“), um Geldabflüsse von einem festgestellten Konto eines Scheinunternehmers für den Geltungszeitraum des Bescheides wirksam zu unterbinden. Der Bescheid richtet sich an das Kreditinstitut, zur Beschwerde berechtigt sind alle davon betroffenen Rechtsträger. Aufgrund des Charakters einer Sicherungsmaßnahme kommt Beschwerden gegen diese Maßnahme naturgemäß keine aufschiebende Wirkung zu. Bescheide nach § 8a SBBG treten nach Ablauf der Frist automatisch außer Kraft. Die Zuständigkeit liegt beim ABB; die Verfahrensbestimmungen der BAO sind sinngemäß anzuwenden.
5. Ausweitung der Haftung des Auftraggebers für Entgeltansprüche von Arbeitnehmern bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Einbindung von Scheinunternehmen
Die Erweiterung der Haftung des auftraggebenden Unternehmers erfasst Umgehungsversuche mit Subvergabekonstruktionen. Künftig haftet der Auftraggeber bei „Zwischenschaltungen von Unternehmen“ auch für die Entgeltansprüche von Arbeitnehmern eines in der Kette weiter „unten” gereihten Scheinunternehmens. Entscheidend ist, dass der Auftraggeber im Zeitpunkt der Auftragserteilung wusste oder wissen musste, dass es sich bei einem nachfolgenden Unternehmen um ein Scheinunternehmen handelt. Bei einer Kettenvergabe – wenn also ein beauftragtes Scheinunternehmen oder nachfolgendes Unternehmen seinerseits ein anderes Unternehmen beauftragt – erstreckt sich die Haftung des Auftraggebers gemäß § 9 Abs. 2 SBBG künftig auf jedes weitere beauftragte Unternehmen. Entscheidend ist wiederum das Wissen oder Wissen-Müssen des Auftraggebers im Zeitpunkt der Auftragserteilung um die Eigenschaft als Scheinunternehmen.
6. Ausgewählte Verfahrensaspekte
Nach § 8 Abs. 5 SBBG hat die Zustellung der Verdachtsmitteilung im Verfahren zur Feststellung eines Scheinunternehmens nunmehr auch im Insolvenzfall unmittelbar an den Rechtsträger zu erfolgen; der Insolvenzverwalter wird informiert. Korrespondierend sieht Abs. 7 leg cit nunmehr vor, dass die Verpflichtung zur persönlichen Vorsprache auch im Fall der Insolvenzeröffnung eine unmittelbare Pflicht des Rechtsträgers bzw. dessen organschaftlichen Vertreters bleibt und sohin nicht vom Insolvenzverwalter vorgenommen werden kann. Die Parteistellung des Insolvenzverwalters bleibt davon unberührt. Künftig wird auch das Datum der Feststellung als Scheinunternehmen (= Zeitpunkt, ab dem das Unternehmen als Scheinunternehmen anzusehen ist) in der vom BMF nach § 8 Abs. 10 SBBG im Internet zu veröffentlichenden Liste der rechtskräftig festgestellten Scheinunternehmen enthalten sein.
7. Ermittlungskompetenz
Künftig ist das Amt für Betrugsbekämpfung (ABB) auch bei Tatbeständen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Verwirklichung von Sozialbetrug (insbesondere § 146 ff. und 148a StGB) zur Ermittlung befugt.