Vorsteuererstattungsverfahren: Muss ein Erstattungsmitgliedstaat die verspätete Nachreichung von Unterlagen akzeptieren?

Tax News 3/2024

Tax News 3/2024 – Umsatzsteuer

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Der EuGH hat sich in seinem Urteil vom 16. Mai 2024, Slovenské Energetické Strojárne, C‑746/22 mit der Frage beschäftigt, inwieweit einem Vorsteuererstattungsantrag stattgegeben werden muss, auch wenn ein Steuerpflichtiger die vom Erstattungsmitgliedstaat angeforderten Unterlagen erst nach Ablauf der in der Richtlinie 2008/9 vorgesehenen Monatsfrist nachreicht.

Slovenské Energetické Strojárne ist eine in der Slowakei ansässige Gesellschaft, die Montage- und Installationsarbeiten in einem Kraftwerk in Ungarn durchführte. Die in Rechnung gestellte ungarische Vorsteuer machte sie im Vorsteuererstattungsverfahren geltend. Die ungarische Steuerbehörde forderte den Steuerpflichtigen zur Vorlage einer Reihe von Unterlagen innerhalb eines Monats auf. 2,5 Monate später stellte die ungarische Steuerbehörde das Verfahren ein, weil der Steuerpflichtige die von der Steuerbehörde verlangten Auskünfte nicht erteilt habe und es auf der Grundlage der verfügbaren Informationen nicht möglich gewesen sei, den diesem Antrag zugrunde liegenden Sachverhalt mit der erforderlichen Genauigkeit zu ermitteln. Die Gesellschaft legte Einspruch gegen diese Einstellung des Verfahrens ein und übermittelte die geforderten Unterlagen.

Die zweitinstanzliche Steuerbehörde hielt jedoch die erstinstanzliche Entscheidung aufrecht. Die zu spät nachgereichten Unterlagen könnten nicht berücksichtigt werden, weil die nationale Steuerverwaltungsordnung die Vorlage neuer Beweise verbiete, wenn der Einspruchsführer vor dem Erlass des erstinstanzlichen Bescheids Kenntnis von diesen Beweisen gehabt habe. Der Steuerpflichtige erhob Klage vor dem Höchstgericht, dem vorlegendem Gericht.

Eingangs betonte der EuGH, dass der Vorsteuerabzug ein Grundsatz des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems sei und grundsätzlich zu gewähren ist, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formalen Anforderungen nicht genügt hat. Mitgliedstaaten können Informationen und Unterlagen anfordern, wenn sie nicht über alle relevanten Informationen für die Entscheidung über eine vollständige oder teilweise Erstattung verfügt. Diese Informationen sind gemäß der Richtlinie 2008/9 innerhalb eines Monats ab Erhalt der Anfrage zu übermitteln; bei dieser Monatsfrist handelt es sich jedoch nicht um eine Ausschlussfrist.

Im vorliegenden Fall wurden die angeforderten Unterlagen nicht innerhalb der Monatsfrist, sondern erst i. Z. d. Einspruches vorgelegt. Aufgrund einer nationalen Vorschrift, wonach im Einspruch keine neuen Informationen vorgebracht werden dürfen, die dem Steuerpflichtigen vor dem Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung bekannt waren, wurden diese Eingaben nicht berücksichtigt.

Diese Nicht-Berücksichtigung widerspricht jedoch dem Unionsrecht: Einerseits hat die nationale Vorschrift eine systematische Verhinderung des Vorsteuerabzugsrechts zur Folge, auch wenn alle materiellen Voraussetzungen für die Erstattung erfüllt sind. Da es sich bei der Monatsfrist gerade nicht um eine Fallfrist handelt, kann der Antrag auf Vorsteuererstattung nicht versagt werden, wenn die Unterlagen nach der Monatsfrist nachgereicht werden und dadurch erwiesen ist, dass die materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt sind. Zudem widerspricht die nationale Regelung dem Grundsatz einer guten Verwaltung. Dieser Grundsatz verlangt von einer Verwaltungsbehörde, im Rahmen der ihr obliegenden Kontrollpflichten eine sorgfältige und unvoreingenommene Prüfung aller relevanten Gesichtspunkte vorzunehmen.

Ergebnis

Dieses Urteil betont, dass ein Mitgliedstaat, der zusätzliche Informationen im Zuge eines Vorsteuererstattungsantrages einfordert, diese angeforderten Informationen auch nach der in Richtlinie 2008/9 normierten Monatsfrist akzeptieren muss, und zwar unabhängig von einer u. U. im nationalen Gesetz anders normierten Verfahrensordnung. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Vorsteuerrückerstattungsantrag durch den Steuerpflichtigen vor der Frist am 30. September des Folgejahres eingebracht wurde. Die Frist zur Einbringung des Vorsteuererstattungsantrages ist gemäß ständiger Rechtsprechung eine nicht verlängerbare Fallfrist.