Finanzstrafverfahren gegen Verbände und Steuerkontrollsystem
Tax News 3/2024
Tax News 3/2024 – Finanzstrafrecht
Nicht nur natürliche Personen können sich strafbar machen, sondern auch Unternehmen. Das einschlägige Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG) soll Unternehmen zur Compliance motivieren. Dieses seit rund 20 Jahren bestehende Gesetz kommt im Finanzstrafrecht überdurchschnittlich oft zur Anwendung. Risikominimierend können „Steuerkontrollsysteme“ (SKS) wirken. Der folgende Überblick richtet den Fokus auf Konsequenzen nach Tatbegehung und speziell auf das sogenannte „Verfolgungsermessen“.
1. Überblick
Parallele Steuerstrafverfahren sowohl gegen eine GmbH als auch deren Geschäftsführer sind keine Seltenheit. Besondere Relevanz haben in diesem Zusammenhang Steuerkontrollsysteme. SKS sollen einerseits Vergehen von vornherein verhindern, andererseits können sich SKS nach Tatbegehung in unterschiedlicher Weise mildernd auswirken. Das lässt den Steuerkontrollsystem-Standard ins Spiel kommen:
- Vor einer möglichen Finanzstraftat:
Im Sinn begleitender Kontrolle ist ein SKS ein wesentliches Maßnahmenpaket zur Verhinderung von Finanzvergehen. Der Unternehmer (Geschäftsführer) hat damit grundsätzlich seine Sorgfaltspflichten erfüllt. Im Ergebnis ist das SKS per se ein wesentliches Indiz gegen vorsätzliches und grob fahrlässiges Handeln. - Nach einer erfolgten Finanzstraftat:
Strafbehörden müssen einen Verband nicht zwingend bestrafen. Sie haben einen gewissen Spielraum. Das nennt man „Verfolgungsermessen“. Ist keine Selbstanzeige mehr möglich, weil die Tat entdeckt ist und die Finanzstrafbehörde bereits ermittelt, und richtet der Verband dennoch proaktiv ein SKS zur Verhinderung künftiger Rechtsgutverletzungen ein, zeigt er damit konstruktives Reue- und Nachtatverhalten.
2. Verfolgungsermessen: Rechtsgrundlagen
In Österreich gibt es keine „einheitliche“ Finanzstrafbehörde. Über Taten entscheidet entweder eine Verwaltungsbehörde oder ein Gericht. Es gibt auch jeweils unterschiedliche Verfahrensregeln.
Das gilt auch für das Verfolgungsermessen: Sowohl im gerichtlichen Finanzstrafverfahren (§ 18 VbVG) als auch im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren (§ 56 Abs. 5 Z. 4 Finanzstrafgesetz, FinStrG) gibt es jeweils eine diesbezügliche Norm:
- § 18 Abs. 1 Satz 1 VbVG:
Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung eines Verbandes absehen oder zurücktreten, wenn in Abwägung der Schwere der Tat, des Gewichts der Pflichtverletzung oder des Sorgfaltsverstoßes, der Folgen der Tat, des Verhaltens des Verbandes nach der Tat, der zu erwartenden Höhe einer über den Verband zu verhängenden Geldbuße sowie allfälliger bereits eingetretener oder unmittelbar absehbarer rechtlicher Nachteile des Verbandes oder seiner Eigentümer aus der Tat eine Verfolgung und Sanktionierung verzichtbar erscheint. - § 56 Abs. 5 Z. 4 FinStrG:
Die Finanzstrafbehörde kann von der Verfolgung eines Verbandes absehen, wenn in Abwägung der Schwere der Tat, des Gewichts der Pflichtverletzung oder des Sorgfaltsverstoßes, der Folgen der Tat und der zu erwartenden Höhe der Verbandsgeldbuße eine Verfolgung und Sanktionierung verzichtbar erscheint, es sei denn, dass die Verfolgung geboten ist, um der Begehung von Taten im Rahmen der Tätigkeit anderer Verbände entgegenzuwirken oder wegen eines sonstigen besonderen öffentlichen Interesses.
3. Verfolgungsermessen: Praktische Auswirkungen eines SKS
In § 56 Abs. 5 Z. 4 FinStrG fehlt – im Gegensatz zu § 18 Abs. 1 VbVG – die Wendung „des Verhaltens des Verbandes nach der Tat“. Bei strenger Wortlautinterpretation wäre also die Einrichtung eines SKS als Abwägungsgrund bei der Ausübung von Verfolgungsermessen nur im gerichtlichen Finanzstrafverfahren einzubeziehen.
Aus praktischer Sicht ist es aber auch im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren zu empfehlen, die Einrichtung eines SKS selbst nach Einleitung eines Finanzstrafverfahrens gegen einen Verband raschestmöglich anzustoßen und die diesbezüglichen Bemühungen im Verfahren vorzubringen. Denn vieles spricht dafür, dass sich die nachträgliche Einrichtung eines SKS auch im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren positiv auf das Verfolgungsermessen auswirken muss: Es wäre wertungswidrig, positives Nachtatverhalten zwar bei der Bemessung der Strafe, nicht aber bei der – vorgelagerten – Entscheidung zu berücksichtigen, ob überhaupt eine Strafe zu verhängen ist. Denn zentraler Sinn des VbVG ist auch laut den Gesetzesmaterialien die Prävention.
4. Strafmilderung: Praktische Auswirkungen eines SKS
Für den Fall, dass die Behörde kein Verfolgungsermessen übt und eine Strafe ausspricht, kommt es zur Bemessung der Verbandsgeldbuße. Die Verbandsgeldbuße ist geringer zu bemessen, wenn der Verband „wesentliche Schritte zur zukünftigen Verhinderung ähnlicher Taten unternommen hat“ (§ 5 Abs. 3 Z. 5 VbVG). Ein SKS ist ein solcher Schritt. Hier gibt es – anders als beim Verfolgungsermessen – formal keinen Unterschied zwischen gerichtlichem und verwaltungsbehördlichem Finanzstrafverfahren. Denn das FinStrG erklärt insoweit die VbVG-Norm direkt für anwendbar (§ 28a Abs. 2 FinStrG verweist auf § 5 VbVG).
5. Fazit
- Die Implementierung eines formellen Steuerkontrollsystems ist in der heutigen höchst komplexen Steuerwelt jedenfalls zu empfehlen.
- Betritt man zudem ungewollt die Strafrechtswelt und wird mit der Einleitung eines Finanzstrafverfahrens konfrontiert, sollte man kühlen Kopf bewahren. Proaktives Reueverhalten von Steuerpflichtigen kann ein wichtiger Teilaspekt zur Sanierung von Finanzvergehen sein.
- Ein sinnvoller Compliance-Schritt ist jedenfalls die Einrichtung eines formellen Steuerkontrollsystem. Damit kann man ein Strafverfahren zwar nicht einfach „wegzaubern“. Dennoch kann ein nach der Tat eingerichtetes SKS ein wichtiger Mosaikstein sein, um bei der Behörde ein Absehen von der Strafverfolgung zu erreichen.
- Für das gerichtliche Verfahren ist ein Absehen von der Strafverfolgung aufgrund nachträglicher Einrichtung eines SKS schon nach dem Gesetzeswortlaut möglich. Auch im verwaltungsbehördlichen Verfahren ist es ratsam, die Implementierung eines SKS proaktiv vorzubringen und damit künftige Abgabenredlichkeit zu zeigen.
- Für den Fall einer Bestrafung ist ein nachträgliches SKS ein Milderungsgrund.