Defizitäre Tätigkeiten der öffentlichen Hand – keine Unternehmereigenschaft

Tax News 07-09/2023

Umsatzsteuer

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Der EuGH hat sich in zwei Urteilen vom 30. März 2023, C-612/21 und C-616/21, Gmina O und Gmina L., mit der Frage auseinandergesetzt, ob durch eine Gemeinde erbrachte Leistungen wie die Ausstattung von Einwohnern mit PV-Anlagen zu nur 25 % der Kosten, bzw. die Organisation einer unentgeltlichen Astbeseitigung für die Einwohner Tätigkeiten als Steuerpflichtiger darstellen. Da die Leistungen nach dem EuGH gegen Entgelt und im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit erbracht werden müssen, dies jedoch in beiden Fällen nicht gegeben war, läge keine Unternehmereigenschaft der Gemeinden vor.

1. Zu den Sachverhalten:

In der Rechtssache Gmina O schloss eine polnische Gemeinde O, die eine polnische UID-Nummer besitzt, mit weiteren Gemeinden in Polen einen Partnerschaftsvertrag zur Durchführung eines Projektes zur Errichtung von PV-Anlagen. Die Gemeinde O erhielt eine Finanzierung in Höhe von 75 % der gesamten förderfähigen Kosten. Hinsichtlich der restlichen Kosten hat die Gemeinde O beschlossen, dass die Liegenschaftseigentümer, die eine PV-Anlage erhalten möchten, die restlichen 25 % der Kosten (gedeckelt mit Obergrenze) selbst tragen müssen. Zudem übernahm die Gemeinde O die restlichen nicht förderfähigen Kosten selbst. Das Eigentum an den PV-Anlagen bleibt während der Laufzeit des Projektes im Eigentum der Gemeinde und gehen erst nach Erhalt der letzten Auszahlung der Förderung (nach ca. fünf Jahren) an die Gemeinde O über.

In der Rechtssache Gmina L erbrachte eine polnische Gemeinde L im Rahmen eines Programmes zur Asbestbeseitigung ihre Leistungen gegenüber betroffenen Einwohnern kostenlos. Dies war möglich, da die Gemeinde im Nachgang mit Zuschüssen eines Umweltfonds in Höhe von 40 % bis 100 % rechnete.

Die Gemeinde O und L stellten einen Antrag auf Erteilung eines Steuervorbescheids, um zu klären, ob sie mit diesen Leistungen umsatzsteuerpflichtig seien. Mit Steuervorbescheid wurde jeweils vertreten, dass die Gemeinden im Rahmen dieser Umsätze als ein „Mehrwertsteuerpflichtiger“ anzusehen seien. Die Gemeinden haben diesen Bescheid angefochten und im Rahmen des Verfahrens Kassationsbeschwerde beim obersten Verwaltungsgericht eingereicht, dass diese Fragen dem EuGH vorgelegt hat.

2. Zu den Entscheidungen des EuGH:

In der Rechtssache Gmina O führt der EuGH aus, dass im Rahmen einer steuerpflichtigen Tätigkeit die Leistungen gegen Entgelt und im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit erbracht werden müssen. Für das Vorliegen eines Leistungsaustausches braucht es daher nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung, also ein Rechtsverhältnis, in dem gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden.

Der EuGH stellt fest, dass im Rahmen der Errichtung von PV-Anlagen an die Bürger, die als Gegenleistung
25 % der Kosten entrichten, ein Leistungsaustausch vorliegt, da die Höhe der Gegenleistung für die Beurteilung eines Leistungsaustausches grundsätzlich nicht relevant sei.

Zur Frage, ob die Gemeinde O eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt hat und daher die Unternehmereigenschaft zu bejahen sei, stellt der EuGH fest, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt, wenn sie nachhaltig erbracht und gegen Entgelt ausgeübt wird. Angesichts der Schwierigkeiten einer genauen Definition der wirtschaftlichen Tätigkeit sind alle Umstände zu prüfen, unter denen die Tätigkeit erfolgt. Dabei muss nach dem EuGH darauf abgestellt werden, worin die typische Tätigkeit eines in dem betreffenden Bereich tätigen Unternehmen liegen (hier PV-Anlagen Installateur).

Nach einer Gesamtabwägung der Umstände des Einzelfalles gelangt der EuGH zu dem Ergebnis, dass die Gemeinde O nicht nachhaltig gehandelt hat (einmalige Leistung an Grundstückseigentümer) und zudem ihre Leistungen weit unter dem Marktpreis (zu lediglich 25 % der förderfähigen Selbstkosten) veräußert hat. Im Rahmen eines Fremdvergleiches gelangt der EuGH daher zu der Auffassung, dass ein privater Dritter so nicht gehandelt hätte und daher keine Unternehmereigenschaft der Gemeinde O vorliegt.

In der Rechtssache Gmina L beschäftigt sich der EuGH eingangs mit der Frage, ob ein Kommissionsgeschäft vorliegt, da die Hauptbegünstigten die Gemeindebewohner sind und diese die Gemeinde beauftragt haben, die Asbestbereinigung zu organisieren. Der EuGH stellt sodann fest, dass ein Kommissionsgeschäft es verlangt, dass ein Auftrag vorliegt zu dessen Ausführung der Kommissionär für Rechnung des Kommittenten hinsichtlich der Erbringung von Dienstleistungen tätig wird, was den Abschluss einer Vereinbarung zwischen dem Kommissionär und dem Kommittenten voraussetzt, die die Erteilung des betreffenden Auftrags zum Gegenstand hat. Da im streitgegenständlichen Sachverhalt die Bewohner lediglich einen Antrag auf den Erhalt der Leistungen bei der Gemeinde L stellen können und keinen Einfluss auf die tatsächliche Erbringung der Dienstleistung haben, ist die Voraussetzung nach dem EuGH nicht erfüllt.

Der EuGH prüft sodann, wie in der Rechtssache Gmina O, ob die Leistungen gegen Entgelt und im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit erbracht wurden.

Der EuGH tendiert in seinen Ausführungen zu einem Leistungsaustausch, da auch in den Zuschüssen von dritter Seite ein Entgelt gesehen werden kann. Nach dem EuGH ist von zwei Dienstleistungen, die nebeneinander bestehen, auszugehen. Zum einen die, die von dem der Gemeinde L ausgewählten und bezahlten Unternehmen erbracht wird und zum anderen die, die von dieser Gemeinde erbracht wird, deren Begünstigte die betreffenden Einwohner dieser Gemeinde sind und bei der die Gegenleistung in dem Zuschuss besteht, den der Umweltschutzfonds an die Gemeinde zahlt.

Da die Gemeinde nach dem EuGH nicht nachhaltig gehandelt habe, da sie kein Personal für die Asbestbeseitigung beschäftigt und keine Kunden gesucht habe, sondern sich darauf beschränkt, im Rahmen eines auf nationaler Ebene festgelegten Programms Asbestbeseitigungsmaßnahmen durchzuführen, liegt keine wirtschaftliche und damit unternehmerische Tätigkeit vor. Die Gemeinde trage nur das Risiko von Verlusten, ohne eine Aussicht auf Gewinn zu erzielen und sei daher nicht unternehmerisch tätig.

3. Ergebnis

Obwohl sich der EuGH in beiden Urteilen allgemein zur Abgrenzung der unternehmerischen von der nicht­unternehmerischen Tätigkeit von Gemeinden auseinandersetzen musste, sind die Urteile auch für Fälle außerhalb des „öffentlichen Bereiches“ relevant. Da defizitäres Handeln i.d.R. jedoch im öffentlichen Bereich (z.B.) aufgrund sozialpolitischer oder umweltpolitischer Aspekte auftritt, ist die Auswirkung der Urteile im öffentlichen Bereich wohl am stärksten zu beobachten. Sofern defizitäre Tätigkeiten im Einzelfall dazu führen, dass die Unternehmereigenschaft verneint wird, steht der Vorsteuerabzug aus bezogenen Eingangseistungen nicht zu.

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