Keine Steuerschuld kraft Rechnungslegung, wenn eine Gefährdung des Steueraufkommens ausgeschlossen ist

Tax News 03-04/2023

Umsatzsteuer

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In Fällen in denen Leistungen nach überragender Wahrscheinlichkeit nur von Endverbrauchern bezogen werden, liegt grundsätzlich keine Steuerschuld aufgrund der Rechnung vor. Da jedoch nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein (vorsteuerabzugsberechtigter) Unternehmer unter den Leistungsempfängern ist und zu Recht oder zu Unrecht einen Vorsteuerabzug vorgenommen hat, kann im Schätzungswege eine Steuerschuld kraft Rechnungslegung festgesetzt werden. Eine Rechnungsberichtigung gegenüber den „Endverbrauchern” ist nicht notwendig.

Mit seiner Entscheidung vom 27.01.2023, RV/7100930/2021 bestätigt das BFG das Urteil des EuGH vom 08.12.2022, C-378/21, P-GmbH. Streitgegenständlich waren Leistungen eines Indoor-Spielplatzes, die typischerweise an nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Kunden erbracht wurden. Die angebotenen Dienstleistungen wurden fälschlicherweise dem Normalsteuersatz iHv 20 % USt unterworfen, obwohl die Eintrittsgelder dem ermäßigten Steuersatz von 13 % USt unterliegen.

Der EuGH führte in seinem Urteil aus, dass mit Art 203 MwStSyst-RL der Gefährdung des Steueraufkommens entgegengewirkt werden soll, die sich durch das potenzielle Recht auf Vorsteuerabzug der Empfänger der Leistung ergibt. Da im vorliegenden Fall das Vorliegen einer Gefährdung des Steueraufkommens ausgeschlossen ist, da die Endverbraucher nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, ist nach dem EuGH Art 203 MwStSystRL nicht anwendbar.

Das BFG führt in seiner Beweiswürdigung aus, dass jedoch nicht vollkommen ausgeschlossen ist, dass Kunden der Beschwerdeführerin (zu Recht oder zu Unrecht) einen Vorsteuerabzug aus den Rechnungen vorgenommen haben. Mit Verweis auf die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott (08.09.2021, C-378/21, P-GmbH, Rn 39 ff) folgert das BFG, dass eine Schätzung vorzunehmen ist, für welchen Anteil „potentiell“ ein Vorsteuerabzug vorgenommen wird und daher eine Steuerschuld kraft Rechnungslegung entsteht. Aufgrund der überragenden Wahrscheinlichkeit, dass die Leistungen der Beschwerdeführerin für den privaten Gebrauch der Kunden erbracht werden, schätzt das BFG 0,5 % des Umsatzes, für die eine Steuerschuld kraft Rechnungslegung vorliegt.

Zur Anwendbarkeit des ermäßigten Steuersatzes von 13 % führt das BFG aus, dass es unstrittig und im Rahmen der VwGH-Rechtsprechung (vgl VwGH 27.11.2014, 2011/15/0079) geklärt sei, dass die Tätigkeit der Beschwerdeführerin gem § 10 Abs 3 Z 8 UStG dem ermäßigten Steuersatz von 13 % unterliege. Da die Subsumtion der Leistungen der Beschwerdeführerin unter den Normalsteuersatz im Lichte der EuGH Rechtsprechung vom 09.09.2021, C-406/20, Phantasialand, zwar ebenso möglich aber nicht zwingend sei, hat sich das BFG mit der Frage nicht näher beschäftigt.

Das BFG befasst sich abschließend mit der Frage, wie ein unionsrechtskonformer Zustand hergestellt werden kann, da § 11 Abs 12 UStG keine Einschränkung auf Fälle, in denen es zu einer Gefährdung des Steueraufkommens kommt, vorsieht. Nach dem BFG ist das innerstaatliche Recht unionskonform auszulegen, allerdings darf eine richtlinienkonforme Interpretation nicht als Grundlage einer Interpretation „contra legem“ des nationalen Rechts führen. § 11 Abs 12 UStG müsste daher einschränkend interpretiert werden. Das BFG geht darüber hinaus davon aus, dass, selbst wenn § 11 Abs 12 UStG nicht richtlinienkonform interpretierbar sein sollte, Art 203 MwStSyst-RL unmittelbar anwendbar ist. Dabei verweist das BFG auf die Rechtsprechung des EuGH vom 11.04.2013, C-138/12, Rusedespred, Rn 40, wonach der Abgabepflichtige den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer in seiner durch die Rechtsprechung zu Art 203 MwStSyst-RL konkretisierten Form geltend machen kann.

Der streitgegenständliche Umsatzsteuerbescheid war daher dahingehend zu ändern, dass nur 0,5 % der Umsätze im Schätzungswege als Steuerschuld kraft Rechnungslegung anzusetzen waren.

Da die Rechtsprechung zum UStG 1994 des VwGH fehlt, ob eine Steuerschuld kraft Rechnungslegung entsteht, selbst wenn eine Gefährdung des Steueraufkommens ausgeschlossen ist, ist die Revision zulässig. Ebenso ist die Revision zulässig, weil unklar ist, ob § 11 Abs 12 UStG eingeschränkt richtlinienkonform interpretierbar ist.

Amtsrevision wurde bereits erhoben.

Ergebnis

In jenen Fällen, in denen ein Risiko für den Steuerausfall (fast) gänzlich ausgeschlossen werden kann, entsteht im Lichte der Aussagen des EuGH (08.12.2022, C-378/21, P-GmbH) keine Steuerschuld kraft Rechnungslegung. Der Unternehmer schuldete daher lediglich die Umsatzsteuer kraft Leistungserbringung, da nach dem BFG § 11 Abs 12 UStG einschränkend richtlinienkonform zu interpretieren ist (bzw Art 203 MwStSyst-RL unmittelbar anwendbar ist). Eine Rechnungsberichtigung ist daher in diesen Fällen nicht notwendig. Offen bleibt, ob § 239a BAO, wonach (ua) Rückzahlungen zu unterbleiben haben, soweit eine Abgabe, die nach dem Zweck der Abgabenvorschrift wirtschaftlich von einem anderen als dem Abgabepflichtigen getragen werden soll, wirtschaftlich von einem anderen als dem Abgabepflichtigen getragen wurde, anwendbar ist. Es bleibt unklar, wann diese Frage des Vorliegens einer „ungerechtfertigten Bereicherung“ geprüft werden muss.

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