Nachhaltigkeit in den drei Bereichen Umwelt (E=Environment), Soziales (S=Social) und Unternehmensführung (G=Governance) ist für Unternehmen heute wichtiger denn je. Warum eine funktionierende ESG-Strategie Chef:innensache ist, was Nachhaltigkeit mit Digitalisierung zu tun hat und wieso Automatisierung die einzige Möglichkeit ist, sich den Themen der Zukunft zu stellen, beantworten unsere Experten Jochen Trommer und Dominik Ladich.

Warum sind die Themen Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und ESG gerade bei großen Unternehmen so wichtig?

Die Anforderungen an Transparenzschaffung der Unternehmen über ihre Nachhaltigkeitsbestrebungen nimmt erheblich zu. Mit der CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) kommen 2025 und 2026 erhebliche zusätzliche Anforderungen auf eine Vielzahl von Unternehmen zu. Allein in Österreich sind knapp 2.000 Unternehmen von der Berichtspflicht betroffen.

Aber nicht nur die regulatorischen Anforderungen spielen eine immer größere Rolle, auch die Erwartung der Stakeholder nimmt spürbar zu – vom Kapitalmarkt über die Belegschaft bis hin zu den Kunden ist die Forderung nach Transparenz über den Status quo wie auch zur Erreichung der teils ja schon gesetzten Nachhaltigkeitsziele von immer größerer Relevanz.

Laut KPMG Survey of Sustainability Reporting 2022 hat nur ein Drittel der N100-Unternehmen ein eigenes Mitglied im Führungsteam, das gezielt für Nachhaltigkeit zuständig ist. Wie kann man Awareness für das Thema schaffen, um diese Zahl zu steigern?

Die Zahlen sind nicht weiter verwunderlich – eine amerikanische Studie1 kommt zu ähnlichen Ergebnissen und sieht bei den Fortune 100 eine noch niedrigere Quote an Vorstandspositionen mit relevanter Expertise in den Bereichen E, S und G. Insbesondere im Bereich E fehlt es oftmals noch an Erfahrung. Fest steht aber, ESG betrifft praktisch alle Organisationseinheiten in einem Unternehmen – vom Einkauf über die Produktion bis hin zum Bereich HR und dem Vertrieb. ESG ist also ein stark cross-funktionales Thema, das unbedingt aus einer Leitungsebene heraus gemessen und gesteuert werden muss.

Es lohnt sich, als Unternehmen einen Vergleich zu bereits besonders gut aufgestellten Mitbewerbern anzustellen und sich daran zu orientieren. Am Ende liegt die Verantwortung – wenn nicht anders verteilt – bei der obersten Leitungsfunktion, also CEO oder Vorsitzende:r der Geschäftsführung. Eine entsprechende Chancen-Risiken-Bewertung und Verantwortungszuordnung muss im obersten Führungskreis erfolgen.

1 https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3758584

Wie kann es gelingen, dass Unternehmen das ESG-Thema und Nachhaltigkeit nicht als Risiko sehen, sondern als Chance?

ESG ist ein wertetreibendes Themenfeld. Die Dimension E – also beispielsweise der CO2-Äquivalent-Fußabdruck des Unternehmens und seiner verkauften Produkte oder Dienstleistungen – ist für die Kunden wichtig, da diese die gekauften Produkte und Dienstleistungen in Ihrer CO2-Bilanz ausweisen werden müssen. Hier gibt es bereits in verschiedenen Branchen wie dem Lebensmittelhandel oder der Automobilbranche spürbaren Druck zu Transparenz aus den Einkaufsabteilungen. Eine Schaffung von CO2-Äquivalent-Transparenz wird damit zum Vertriebsargument. Wer diese Transparenz nicht liefern kann, läuft Gefahr, von seinen Kunden mit einem schlechten Rating belegt zu werden. Eine große Chance also für Unternehmen, die sich aktiv damit positionieren.

Der Bereich S wiederum ist vor allem aus Employer Branding-Sicht wichtig. Mitarbeiter:innen und Bewerber:innen möchten vermehrt für Unternehmen arbeiten, für die Diversität, Inklusion und moderne Arbeitszeitmodelle selbstverständlich sind. Auch das ist eine Möglichkeit für Unternehmen, sich hervorzuheben in einem Arbeitsmarktumfeld, das immer mehr zum Arbeitnehmer:innenmarkt wird.

Wie können Sie konkret dabei unterstützen?

Wir unterstützen Unternehmen in allen Dimensionen der Transformation. Von der Entwicklung einer ESG-Strategie und dem Aufbau einer ESG Governance-Organisation mit den einhergehenden Change-Prozessen über die Einbettung der Berichterstattung in die IT-Systeme, dem Ermöglichen einer ESG-Messung und Steuerung bis hin zur Unterstützung bei der Berichterstattung oder der Prüfung ebendieser.

Mit unseren lokalen und internationalen Teams decken wir die komplette Transformations-Reise ab und profitieren von unserer hohen Wertschöpfungstiefe in allen drei Dimensionen von E, S und G. Auch die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle wird immer relevanter. So kann man beispielsweise den CO2-Fußabdruck in Scope 3 reduzieren, indem man Ansätze der Kreislaufwirtschaft in seinem Geschäftsmodell berücksichtigt und auf eine maximale Produktlebenzeitverlängerung abzielt sowie – als Substitut für den Einkauf von Primärrohstoffen – auf das Führen von Material und Produkten im Kreislauf.

Können Sie ein paar kreislaufwirtschaftliche Geschäftsmodelle beschreiben?

Ein besonders wirkungsvolles Geschäftsmodell mit Impact auf Kundenbindung und CO2-Fußabdruckreduktion ist das Modell „Product-as-a-service“. Hier verkauft der Hersteller nicht mehr sein Produkt, sondern dessen Nutzen. Somit behält er das Eigentum am Produkt und kann es am Ende der Nutzungsphase wieder zurücknehmen und – wenn richtig designed – demontieren, wieder- oder weiterverwenden bzw recyclen und somit den Einkauf von Primärrohstoffen vermeiden.

Nebenbei erhöht man so die Kundenbindung durch wiederkehrende Abrechnungspunkte und damit die Möglichkeit zum Up- oder On-Selling. Beispielsweise im Bereich von Mobiltelefonie gibt es schon klar erkennbare Tendenzen hin zum Vermieten statt Verkaufen. Auch im Bereich Maschinen- und Anlagenbau ist das Geschäftsmodell der Abrechnung per Produktionseinheit anstatt dem Verkauf der Maschine als Trend erkennbar.

Wie kann es gelingen, dass sich Unternehmen aus intrinsischer Motivation ESG-Themen annehmen und nicht „weil sie müssen“, da die CSRD bevorsteht?

Die Chancen, sich aktiv zu positionieren, den Vertrieb zu stärken, neue grüne Finanzmarktprodukte zu geringeren Kapitalkosten zu nutzen und sich als Arbeitgeber vom Wettbewerb abzuheben, überwiegen. Diese Chancen müssen die Leitungsfunktionen für sich erkennen. Ein Blick in den Wettbewerb und die Orientierung an „best in class“-Unternehmen ist hier empfehlenswert.

Um ESG-Faktoren tatsächlich abbildbar und messbar zu machen, braucht es innovative Technologien und den Einsatz von Digitalisierung. Haben Unternehmen Vorbehalte gegen Digitalisierung/Automatisierung und wenn ja, warum?

Mit leichten Unterschieden in den jeweiligen Branchen erleben wir, dass die Unternehmen von vielen Seiten aufgefordert werden, sich dem Thema ESG zu widmen – sei es Aufgrund von Regulatorik, Anforderungen vonseiten der Kapitalgeber, der Kunden unserer Kunden sowie der Konkurrenz unserer Kunden in den jeweiligen Märkten. Trotzdem halten sich Unternehmen oft noch zurück. Das mag vor allem an einer großen Unsicherheit liegen: So wenig den Unternehmen die konkreten Anforderungen, die an sie gestellt werden, klar sind, so wenig sind diese Anforderungen auch den Technologie- und Softwareanbietern klar. Entsprechend dynamisch und unübersichtlich ist der Markt.

Im Sustainability Reporting 2022 kam heraus, dass die Offenlegung von ESG-Aspekten nach wie vor überwiegend erzählerisch geprägt ist, anstatt quantitative oder finanzielle Daten zu veröffentlichen. Zudem werden viele Daten noch manuell erhoben. Wie kann hier ein Umdenken passieren und was ist dafür notwendig?

Der Wandelt tritt gerade erst ein. Vor noch wenigen Monaten war die Mehrheit des Markts noch nicht so weit, sich im Hinblick auf ESG mit der Technologie-Dimension zu beschäftigen. Heute ist es so, dass uns Klienten anrufen und erzählen, dass ihre Kunden sie auffordern, „in sechs Monaten auf jeder Lieferung den CO2-Fußabdruck offenzulegen“. Um diese Informationen zu liefern, sind eine Vielzahl von Datenpunkten, der Aufbau von methodischem Wissen und Änderungen in den Kernprozessen des Unternehmens notwendig, die manuell nur schwer und vor allem deutlich schwerer nachvollziehbar gemacht werden können. Genau hier findet aktuell ein Umdenken statt.

Wie kann Automatisierung bei der Datenerhebung helfen? Was sind die Vorteile?

Automatisierung ist die effizienteste Lösung, sich im Bereich Nachhaltigkeit einer Transparenzschaffung zu stellen. Ein Beispiel: Beim Product Carbon Footprint wird in Zukunft mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von vielen Kunden die Information zu den CO2-Produktkennzahlen der gekauften Produkte auf dem Lieferschein, der Rechnung oder im Einkaufsportal abverlangt werden. Dies ist ohne Automatisierung entlang der Lieferkette nur schwer vorstellbar. Das effektive Steuern der Emissionen, die Unternehmen entlang ihrer Wertschöpfungskette einkaufen, ist ohne entsprechende Digitalisierung und kontinuierlichen Ist-Plan-Abgleich ebenfalls ein hochgradig aufwändiger, ressourcenbindender und ineffizienter Prozess.

Will man Produkt A oder Produkt B kaufen, wofür entscheidet man sich? Das eine Produkt ist preismäßig vielleicht günstiger, aber hat einen höheren CO2-Abdruck. Das andere Produkt wiederum ist etwas teurer, dafür mit weniger Emissionen behaftet. Ohne eine Übersicht über die bereits getätigten Einkäufe (in Euro und CO2-Äquivalent) und deren Auswirkung auf das global vorliegende CO2-Äquivalent-Budget ist diese Entscheidung schlichtweg nicht zu treffen.

Wie steht Österreich im internationalen Vergleich da?

In unserer Studie Digitalisierung im Rechnungswesen haben wir gesehen, dass Österreich nur einen geringen Vorsprung zu unseren Nachbarn in der Schweiz und Deutschland hat. Man sieht aber, dass der Weg insgesamt noch weit und von einigen fachlichen und technischen Herausforderungen geprägt ist.

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