Kaum schien die COVID-19-Krise überwunden, ist mit dem Ukraine-Russland-Konflikt die nächste Bewährungsprobe für die Weltwirtschaft entfacht. Unmittelbar mit Kriegsbeginn waren deutliche Verwerfungen auf dem Kapitalmarkt zu beobachten. Die dadurch angeheizte Inflation stellt verschiedenste Organisationen vor Herausforderungen, so auch Versicherungsunternehmen.
Die Inflation in Österreich ist im Jahr 2022 auf Rekordniveau. Der Verbraucherpreisindex weist im September 2022 gemäß Statistik Austria eine Steigerung von 10,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf. In einzelnen Sektoren wie der Baubranche war zwischenzeitlich sogar ein noch höherer Preissprung zu beobachten. Diese Preissteigerung hat nun unmittelbar Implikationen auf die klassischen Handelsbilanzen der Versicherungen.
Auswirkungen der Inflation
So kann sich hierdurch in der Schaden-Unfall-Versicherung ein entsprechender Anpassungsbedarf der Rückstellungen für noch nicht abgewickelte Schäden ergeben. Auch gilt es zu hinterfragen, ob die durch Abgrenzung gebildeten Prämienüberträge noch für die Deckung zukünftiger Schadenereignisse ausreichen. Bei den aktuariellen Chain Ladder-Berechnungen der Schadenrückstellung in Solvency II ist dieser sprunghafte Anstieg der Inflation ebenfalls zu würdigen, weil in den historischen Zahlungs- und Aufwandsdreiecken die implizite Inflation wohl deutlich darunter liegt.
Ebenso ist die Annahmensetzung im Zuge der Prämienrückstellungsberechnung zu analysieren. Insbesondere ist hierbei die Frage zu beleuchten, inwiefern sich die Inflation auch auf die Kostenannahmen auswirkt. Im Zuge der Verlängerung von Polizzen stellt sich aber auch die simple Frage, wann und zu welchem Teil die Preissteigerung an die Kund:innen weitergegeben werden kann. Durch die wohl unvermeidbare zeitliche Lücke zwischen Inflationsanstieg und erster Prämienindexierung ist jedenfalls ein kurzfristiger Anstieg der Schaden- und Kostenquoten zu erwarten. Eine ähnliche Herausforderung, wenn auch von deutlich längerfristigem Charakter, stellt sich in der langfristigen Krankenversicherung mit der Prämienanpassungsmöglichkeit. Die Auswirkungen von Prämienanpassungen in beiden Bereichen auf allfällige Stornoquoten sind jedenfalls zu beobachten.
Auch in den Personalrückstellungsberechnungen kann eine erhöhte Inflation ihre Auswirkung haben, insbesondere dann, wenn es sich um wertgesicherte leistungsorientierte Zusagen handelt. Hierbei stellt sich naturgemäß die Frage, wie sich die Inflation langfristig verhält. So lange die Europäische Zentralbank (EZB) am Langfristziel von 2 Prozent festhält, ist es wohl angemessen, dieses in den Wertsicherungen entsprechend anzunehmen. Die gegenwärtig beobachteten und auch die kurzfristigeren Inflationserwartungen liegen dennoch teilweise deutlich über diesen 2 Prozent, sodass eine entsprechend höhere Steigerung für diese Jahre angebracht erscheint.
Erhöhung der Leitzinsen
Wie erwartet hat die EZB in der jüngeren Vergangenheit längst reagiert, um die Inflationsentwicklung einzudämmen, jedoch mit ähnlich gravierenden Folgen für die Versicherungen. So hat sie im Jahr 2022 bereits dreimal die Leitzinsen des Euros erhöht. Einem Zinssprung von 0,0 Prozent auf 0,5 Prozent im Juli folgten zwei weitere um jeweils 0,75 Prozent im September und Ende Oktober. Die Konsequenz dieses Leitzinsanstiegs lässt sich plakativ an der risikolosen Zinskurve von der European Insurance and Occupational Pensions Authority (EIOPA) beobachten (Abbildung).
So beträgt der Anstieg der Spot Rates der ersten zehn Jahre im letzten Jahr um die 3 Prozentpunkte, ehe dieser bedingt durch die Extrapolationsmethodik wieder zurückgeht. Zum Vergleich sei hier angemerkt, dass EIOPA in der Solvency II-Standardformel das sogenannte 200-jährige Ereignis mit einem Anstieg von 1 Prozent je Spot Rate errechnet hat. Dieser Umstand betont abermals die außergewöhnliche Erhöhung, die in dieser Form offenbar nicht antizipiert wurde.
Konsequenzen des Zinsanstiegs
Die Implikationen dieses Basiszinsanstiegs sind jedenfalls von großer Tragweite. Einerseits ist mit dem Zinsanstieg ein deutliches Absinken der Marktwerte festverzinslicher Wertpapiere bis unter den UGB-Buchwert zu beobachten, was entsprechend den Druck auf die Ergebnisrechnung erhöht. Andererseits wirkt sich der Zinsanstieg entlastend auf die Best Estimate- und Risk Margin-Berechnung gemäß Solvency II aus. Da meist die Duration der Zahlungsströme resultierend aus den Verpflichtungen gegenüber den Versicherungsnehmer:innen über jener Duration der Zahlungsströme der Assets liegt, ist in Solvency II sogar ein positiver Eigenmitteleffekt möglich.
Naturgemäß wird mit einem gestiegenen Zinsniveau auch eine gewisse Erwartungshaltung der Versicherungsnehmer:innen in Sachen Gewinnbeteiligung einhergehen. Es bleibt abzuwarten, wie sich dieser Umstand kombiniert mit der Tatsache, dass der ein oder andere Haushalt aufgrund der gestiegenen Inflation schlichtweg Geld benötigen wird, auf das Stornoverhalten der Versicherungsnehmer:innen auswirkt.