Von der EU-Kommission ist eine Sanierungsrichtlinie für Versicherungen geplant. Neben Anforderungen an einen präventiven Sanierungsplan soll die Richtlinie Regelungen über die Abwicklung eines Insolvenzfalls eines Versicherungs- bzw Rückversicherungsunternehmens enthalten. Für die Abwicklung sollen eigene Abwicklungsbehörden im jeweiligen Mitgliedstaat bestimmt werden.

Die weltweite Finanzkrise 2008 offenbarte Schwachstellen und Verflechtungen des globalen Finanzsektors. Bei Versicherungen lagen die Ursachen von Notlagen und Ausfällen beispielsweise an versicherungstechnischen Risiken, Fehlbepreisungen, mangelhaftem Aktiv-Passiv-Management und Investitionsverlusten. Zur Stärkung ihrer Finanzlage mussten teilweise Steuergelder verwendet werden. Die Einführung von Solvency II erhöhte zwar die Widerstandsfähigkeit von Versicherungsunternehmen, ging der Europäischen Kommission jedoch nicht weit genug.

Neue Sanierungsrichtlinie

Schließlich wurde im Rahmen der Überarbeitung der Richtlinie 2009/138/EG (Solvency II-Richtlinie) im September 2021 ein Vorschlag der EU-Kommission über eine Richtlinie zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen (RL 2021/0296/COD; „Sanierungsrichtlinie“) veröffentlicht. Zum jetzigen Zeitpunkt steht eine Lesung im Europäischen Parlament noch aus. Neben Anforderungen an einen präventiven Sanierungsplan enthält die Richtlinie unter anderem Regelungen über die Abwicklung eines Insolvenzfalls eines Versicherungs- bzw Rückversicherungsunternehmens. Für die Abwicklung sollen eigene Abwicklungsbehörden im jeweiligen Mitgliedstaat bestimmt werden. Grund für die geplante Einführung einer eigenen Richtlinie für die Sanierung und Abwicklung von Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen ist, dass das klassische Insolvenzverfahren nur bedingt geeignet ist. Diese Verfahren ziehen sich oft über Jahre, was für Versicherungsnehmer:innen, Begünstigte, geschädigte Dritte oder andere Unternehmen schwerwiegende finanzielle Folgen haben könnte. Überdies soll vermieden werden, dass Insolvenzen durch Steuergelder finanziert werden. Da Versicherungen oft große internationale Gruppen sind und sich Insolvenzen auf Betroffene in mehreren Ländern auswirken können, ist eine einheitliche Regelung in der EU sinnvoll. Finanzielle Notlagen kamen in den letzten Jahren häufiger vor als man denkt – in einer Datenbank der European Insurance and Occupational Pensions Authority (EIOPA) wurden zwischen 1999 und 2020 219 Fälle von Beinahe-Ausfällen bzw Ausfällen im EWR-Raum erfasst.

Wer fällt unter die Regelung?

Alle Versicherer und Rückversicherer in der EU, die Solvency II unterliegen, sollen unter die Sanierungsrichtlinie fallen. Im Einklang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird es aber Ausnahmen für kleinere Versicherer und Unternehmen mit geringerem Risikoprofil geben. Ziel der Europäischen Kommission ist es, dass zumindest 80 Prozent der Versicherungsunternehmen und Rückversicherungsunternehmen in jedem EU-Land einen präventiven Sanierungsplan erstellen und für zumindest 70 Prozent der Unternehmen auch ein Abwicklungsplan von den Abwicklungsbehörden erstellt wird.

Der präventive Sanierungsplan

In einigen EU-Ländern (zB Rumänien, Niederlande und Frankreich) existieren bereits Regelungen, welche die Erstellung eines präventiven Sanierungsplans verlangen. Im österreichischen Versicherungsaufsichtsgesetz 2016 (VAG 2016) ist die Erstellung eines Solvabilitätsplans erst bei der Gefahr der Nichtdeckung der Solvenzkapitalanforderung innerhalb der nächsten drei Monate vorgesehen. Die neue Richtlinie sieht die Erstellung eines präventiven Sanierungsplans für alle unter die Regelungen fallenden Unternehmen vor. Diese präventiven Sanierungspläne sollen auf Gruppenebene oder, wenn keine Gruppe besteht, auf Einzelebene erstellt werden. Sie sollen Maßnahmen beinhalten, die zur Wiederherstellung einer stabilen finanziellen Lage beitragen und zu einem integralen Bestandteil des Governance-Systems eines Versicherungsunternehmens werden. Der präventive Sanierungsplan als solcher soll mehrere behördliche Prüfschritte durchlaufen. Es soll einerseits von der zuständigen Aufsichtsbehörde geprüft werden, inwieweit der Sanierungsplan geeignet ist, die finanzielle Stabilität des betroffenen Unternehmens wiederherzustellen und andererseits von der Abwicklungsbehörde, die anschließend die eigentliche Abwicklungsfähigkeit prüft.

Die Abwicklung

Im Insolvenzfall eines Versicherers sollen die Abwicklungsbehörden einheitliche Abwicklungsinstrumente anwenden, um möglichst schnell handeln zu können und mit ausländischen Abwicklungsbehörden zusammenarbeiten. Die Abwicklungsbehörden sollen Abwicklungspläne und Abwicklungsmaßnahmen ausarbeiten. Die EIOPA wird ein Komitee etablieren, dem die Vorsitzenden aller nationalen Abwicklungsbehörden angehören und so für eine einheitliche europäische Abwicklung sorgen sollen. Ziele bei der Abwicklung sind die Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes, die Übertragung von rentablen Portfolios und Tätigkeiten auf andere, geeignete Versicherungsunternehmen sowie die möglichst faire Verteilung von Verlusten.

Folgende Instrumente zur Abwicklung sollen angewendet werden:

  • Abschreibung oder Umwandlung von Kapitalinstrumenten, Schuldtiteln und anderen berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten
  • Solvent Run-Off (die Beschränkung eines Versicherers, dass dieser keine neuen Verträge mehr ­abschließen darf)
  • Unternehmensveräußerung
  • Brückenunternehmen (Übertragung der Geschäftstätigkeit auf ein öffentlich kontrolliertes Unternehmen)
  • Ausgliederung von Vermögenswerten und Verbindlichkeiten (Übertragung auf eine Zweckgesellschaft und Liquidation)

Fazit und Ausblick

Gegenwärtig werden die Bestimmungen der geplanten Sanierungsrichtlinie noch intensiv diskutiert, der Zeitpunkt des Inkrafttretens steht noch nicht fest. Bei Kreditinstituten wurden bereits vor geraumer Zeit vergleichbare Regelungen geschaffen. Die diesbezüglichen Erfahrungen zeigen, dass die Etablierung von Sanierungsplänen sowohl in zeitlicher wie auch organisatorischer Hinsicht äußerst anspruchsvoll war.

Es mussten umfangreiche Dokumentationen zu den Sanierungsplänen geschaffen und zudem ein laufendes Reporting aufgebaut werden (zB bezüglich des Rahmenwerks der Indikatoren für die Sanierungspläne, Sanierungsoptionen und Szenarien). Bei Versicherungsunternehmen ist zu erwarten, dass ein bereichsübergreifendes Involvement verschiedener Funktionen (zB Risikomanagement, Compliance, Aktuariat, Rechnungswesen, Kapitalveranlagung) für die Etablierung von präventiven Sanierungsplänen erforderlich sein wird.

Quellen:

EIOPA (2021). Failures and near misses in insurance. Abgerufen am 13. Oktober 2022 von https://www.eiopa.europa.eu/sites/default/files/publications/reports/eiopa-bos-21-394-failures-and-near-misses-database-report.pdf

EIOPA (2022). EIOPA Staff Paper on the Proposal for an Insurance Recovery and Resolution Directive

Europäische Kommission (2021). Fragen und Antworten: Vorschlag zur Änderung der Richtlinie „Solvabilität II“ und Vorschlag für eine neue Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Versicherungsunternehmen

Europäische Kommission (2021). RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen und zur Änderung der Richtlinien 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2009/138/EG, (EU) 2017/1132 und der Verordnungen (EU) Nr. 1094/2010 und (EU) Nr. 648/2012

Insurance Europe (2022). Views on EC proposals on establishment of an Insurance Recovery and Resolution Directive. Abgerufen am 12. Oktober von Views on EC proposals on establishment of an Insurance Recovery and Resolution Directive (insuranceeurope.eu)