Dr. Leonhard Schitter, M.A., ist CEO der Salzburg AG und Vizepräsident von Österreichs Energie. Im Interview mit KPMG Partner Michael Ahammer bespricht er die aktuellen Herausforderungen und nötigen Maßnahmen, um die Energieversorgung in Österreich nachhaltiger zu gestalten.

Welche Herausforderungen sehen Sie auf Ihre Branche der Energieerzeuger zukommen und mit ­welchen Maßnahmen planen Sie diesen zu begegnen?

In der aktuellen Situation ist natürlich die Sicherstellung der Gas- und damit Wärmeversorgung in Österreich das Gebot der Stunde, speziell für die Wintermonate. Aus heutiger Sicht ist die Gasversorgung für die Heizperiode 2022/23 nur dann gesichert, wenn der Winter nicht besonders streng wird. Vieles hängt auch allein damit zusammen, wie sich Russland im Winter, vor allem mit Beginn des neuen Jahres, verhält. Wir können nicht riskieren, dass die Gaskrise auch zur Stromkrise wird. Man darf nicht vergessen, dass die Gasversorgungssicherheit auch sehr wichtig für unsere Stromversorgung ist. Gaskraftwerke haben immerhin nach wie vor einen Anteil von etwa 20 Prozent an der österreichischen Stromerzeugung. Daher müssen wir noch stärker in erneuerbare Energien und gleichzeitig in die Unabhängigkeit von russischem Gas investieren und den österreichischen Gasbezug diversifizieren.

Ist die österreichische Wirtschaft in der Lage den Energieverbrauch kurzfristig zu reduzieren bzw auf Alternativen auszuweichen, um die Abhängigkeit von Russland zu reduzieren?

Wir wissen, dass wir im Jahr 2030 – das ist das politische Ziel – 100 Prozent des in Österreich verbrauchten Stroms aus Ökostrom speisen sollen. Ein absolut richtiges Ziel, zeitlich für Österreich aber unmöglich. Warum? Um dies erreichen zu können, bräuchte Österreich einen zusätzlichen Zubau an erneuerbaren Energien von 27 Terrawattstunden (TWh), was dem gesamten Jahresverbrauch von Dänemark entspricht. Um dies zu ermöglichen, bräuchte es etwa 11 TWh an Photovoltaik, 10 TWh Windkraft und wir rechnen mit etwa 6 TWh an Wasserkraft und der „Rest“ wäre Biomasse. Dafür sind in Österreich die Verfahrensdauern viel zu lange. Und das ist auch ein massiver Kritikpunkt meinerseits. Wir reden zwar die ganze Zeit vom Ausbau der Erneuerbaren, sind also so gesehen Ankündigungsweltmeister, aber in der Umsetzung sind wir Umsetzungszwerge. Bis Österreich vom russischen Gas unabhängig wird, wird es mindestens zwei bis drei Jahre dauern und bis zu einer Unabhängigkeit von fossiler Energie wird es noch einmal zehn bis fünfzehn Jahre brauchen.

Die Ressourcenverknappung, die wir international sehen, hat natürlich zu einem erhöhten Anstieg von Energiekosten geführt. Welche Erwartungen dürfen wir diesbezüglich auf die Preisentwicklung haben und wie stehen Sie zur Strompreisbremse?

Ich gehe davon aus, dass die Strom-, und Gaspreise auch in den nächsten Jahren auf dem derzeitigen Niveau bleiben werden. Das ist zum einen auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine zurückzuführen und der nächste Punkt ist das aktuelle Marktdesign: Der Preis bildet sich nach dem Merit-Order-Prinzip, bei dem das letztabgerufene und damit teuerste Kraftwerk, das derzeit Gas ist, den höchsten Preis bildet. Das gehört verändert, überhaupt keine Frage, aber auch da dürfen wir uns keiner Illusion hingeben. Diese Marktveränderung kann nur auf europäischer Ebene durchgeführt werden und wird mindestens ein Jahr oder noch länger dauern. Der letzte Punkt für ein anhaltend hohes Preisniveau ist, dass Energieversorgungsunternehmen verpflichtet sind, ein, zwei oder sogar drei Jahre im Vorhinein Energie entweder einzukaufen oder zu verkaufen, damit sie für ihre Kunden eine gewisse Preisstabilität sicherstellen können und diese Prozesse fanden bereits statt.

Mit der Strompreisbremse, dem Energiekostenausgleich oder mit der massiven Anhebung der Heizkostenzuschüsse in den jeweiligen Bundesländern und vieles mehr, ist der Bundesregierung und den Landesregierungen viel gelungen. Hier wurde rasch geholfen, die steigenden Energiekosten für Haushalte einzudämmen. Auch viele rechtliche Anpassungen, wie die Regelung der Gasreserven, das Gasdiversifizierungsgesetz oder die Ausdehnung der Gasreserven von 12 auf 20 TWh waren richtig und wichtig. Da braucht sich Österreich im EU-Vergleich nicht zu verstecken.

Jetzt geht es aber auch darum, Unternehmen gut durch diesen Winter zu bringen. Es geht neben den aktuellen Herausforderungen wie Klimawandel – das bedeutet für uns Energieerzeuger heuer weniger Wasser in den Laufkraftwerken zu haben – und dem Ukraine-Krieg – das bedeutet Teuerung in allen Bereichen – nun auch auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und Industrie zu achten. Denn neben der Versorgungssicherheit ist es genau so wichtig, die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Wenn wir die heimische Industrie, die hauptsächlich exportorientiert ist und am internationalen Wettbewerb bestehen muss, nicht unterstützen, wird sie bald überhaupt nicht mehr kostendeckend produzieren können. Hier braucht es dringende Maßnahmen, um die Teuerung, die die Industrie und das Gewerbe genauso hart treffen wie die Haushalte, abzufedern.

Sie haben ja schon die aktuellen Rahmenbedingungen im Hinblick auf die E-Wirtschaft angesprochen – lange Genehmigungsverfahren und die Preisbildung an der Strombörse mit Merit-Order. Gibt es aus Ihrer Sicht darüber hinaus noch Maßnahmen, die für die E-Wirtschaft in Österreich verbessert werden müssten?

Der wesentliche Punkt für die Energiewirtschaft ist nochmals ganz klar eine massive Beschleunigung der Verfahrensdauern. Es braucht eine abgestimmte Liste mit den jedenfalls 100 wichtigsten Energiewende-Projekte in Österreich, zu der sich Politik, Wirtschaft und auch die Bürger:innen „committen“. Diese müssen ohne lange Verfahrensverzögerung und ohne lange Verfahrensdauer für die Energiewende umgesetzt werden. Ein weiterer wichtiger Punkt ist das gesamthafte Verständnis von Politik, Wirtschaft und Bevölkerung den Klimapakt als das größte Investitionsprojekt der Zweiten Republik zu sehen. Immerhin müssten wir für die Energiewende – heißt 100 Prozent erneuerbare Energie im Verbrauch – gesamt fast EUR 50 Milliarden österreichweit aufwenden.

Die Salzburg AG ist ein sehr innovatives Unternehmen und unterstützt mit der Crowdinvesting-Plattform Investing Green den Ausbau erneuerbarer Energien von Unternehmen sowie Unternehmen auf dem Weg zu ihrer Zero-Emission mit dem Corporate Start-Up one2zero. Können Sie uns zu diesen beiden Investitionen und Innovationen ein paar Details geben?

Investing Green ist eine Plattform, um die Energiewende weiter voranzutreiben und das Committment der Bevölkerung zu stärken. Anleger:innen können bereits mit kleinen Beträgen – ab EUR 100 – und mit bis zu EUR 5.000 direkt in Maßnahmen zur Förderung von erneuerbaren Energien investieren. Es war uns auch sehr wichtig, für die Region hier wirksam zu werden, damit man sieht, Energiewende passiert im Großen, aber es passiert fast noch stärker im Kleinen.

One2zero ist das „grüne Start-Up“ der Salzburg AG, das wir letztes Jahr komplett neu aufgezogen haben. Es soll unseren Kunden bzw den Beteiligten den Weg in Richtung Klimaneutralität vorzeigen und nachhaltige Energielösungen anbieten. Wir helfen Unternehmen ihren CO2-Fußabdruck zu minimieren und bieten praktische operative Lösungen an, die das Zusammenspiel von Energieerzeugung, Verbrauch und Energiemanagementsystem sicherstellen.

Zum Abschluss darf ich Ihnen noch ein paar Fragen zur Tätigkeit des Aufsichtsrats stellen. Die Anforderung an Aufsichtsräte haben sich in den letzten Jahren enorm gesteigert und es wird zunehmend schwieriger geeignete Aufsichtsräte zu finden. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Ich glaube, dass es jetzt absolut erforderlich ist, auch Expert:innen aus den jeweiligen Bereichen in einen Aufsichtsrat, gerade von größeren Unternehmen, zu bringen: Die Unternehmensleitung braucht hier nicht „nur“ Kontrollorgane, sondern sie braucht im klassischen Sinn des Wortes Sparringpartner, die mit hoher Expertise kritisch als auch unterstützend vorangehen können. Die Anforderungen an Aufsichtsräte werden bzw sollten sich daher massiv steigern. Deshalb braucht es meiner Meinung nach weiterhin Fortbildungsprogramme für Aufsichtsräte, um die entsprechenden Werkzeuge an die Hand zu bekommen.

Eine wichtige Rolle in jedem Unternehmen übernimmt der Aufsichtsrat, in der Verantwortung als Überwachungsorgan. Welche Verantwortung soll aus Ihrer Sicht der Aufsichtsrat in der aktuellen Situation übernehmen?

Aus meiner Sicht hat der Aufsichtsrat die Verantwortung in dieser schwierigen Lage, in der sich Unternehmen gerade befinden, auch unterstützend tätig zu sein. Es ist gerade nicht die Zeit, ausschließlich die Kontrollfunktion und -tätigkeit zu übernehmen, sondern auch zu verstehen, wie sich Unternehmen derzeit zu bewegen haben und mit welchen außergewöhnlichen Herausforderungen sie umgehen müssen. Wie geht das Unternehmen mit den hohen Energiepreisen um? Wie gehen e-wirtschaftliche Unternehmen oder Unternehmen an der Börse mit hohen Sicherheitsleistungen um? Ich glaube, es braucht jetzt auch eine gewisse wohlverstandene Gelassenheit, um mit Ruhe durch diese kritischen Phasen zu segeln.

Was erwarten Sie als Aufsichtsrat vom Abschlussprüfer? Welche Kompetenzen soll der Abschlussprüfer für ein Unternehmen mitbringen, was ist besonders wichtig?

Ein Abschlussprüfer sollte mit dem Unternehmen eine Expertenpartnerschaft eingehen – Aufzeigen von Verbesserungspotenzialen, Hinweise
über Veränderungen und wie man darauf reagieren kann. Dies bedeutet, eine noch stärkere Spezialisierung und Fachkenntnis des Abschlussprüfers, weil dieser verstehen muss, was das Unternehmen ganz konkret macht und mit welchen Problemen es zu kämpfen hat.

Deshalb ist es sinnvoll, länger mit einem Abschlussprüfer zu gehen – vorausgesetzt die kritische Einstellung bleibt auch. Denn der Abschlussprüfer muss sehen, wie sich das Unternehmen entwickelt und kann verstehen wie das Unternehmen tickt. Ich glaube auch, dass es für den Abschlussprüfer wichtig ist, die Entwicklung des Unternehmens zu sehen, um mitverfolgen zu können, ob seine Tätigkeit eine gute ist.