Drohende Doppelbesteuerung österreichischer Geschäftsführer von ausländischen Gesellschaften

Tax News 03-05/2021

Tax News 03-05/2021

Kletterer

Wo in Österreich ansässige Geschäftsführer bzw Vorstandsmitglieder ausländischer Gesellschaften zu besteuern sind, wird im grenzüberschreitenden Kontext (außer im Verhältnis zu Deutschland) nach wie vor uneinheitlich beurteilt. Problematisch erscheint die dadurch drohende Doppelbesteuerung vor allem auch deswegen, weil derartige Fälle durch pandemiebedingte Lockdowns und die daraus resultierenden Home-Office-Tätigkeiten rasant zugenommen haben.

Der Ausgangsfall

Im Rahmen des Express Antwort Service hat sich das BMF zuletzt mit folgendem - verkürzt dargestellten - Sachverhalt beschäftigt (EAS 3431): Eine in Österreich ansässige natürliche Person ist Vorstandmitglied einer slowakischen AG. Fraglich war die bilaterale Verteilung der Besteuerungsrechte an der Vorstandsvergütung. Zur Beantwortung dieser Frage verweist das BMF zunächst auf seine bisherige Verwaltungspraxis, wonach Art 16 OECD-MA („Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsvergütungen“) nur dann anwendbar wäre, wenn der Vorstand nach slowakischem Gesellschaftsrecht keine unmittelbaren Leitungs- oder Mitwirkungsaufgaben übernimmt. Denn Art 16 OECD-MA erfasse nur überwachende Tätigkeiten. In weiterer Folge legt das BMF dar, welche Verteilungsnormen für die Bezüge operativ tätiger Vorstandsmitglieder stattdessen in Frage kämen, wobei je nach Weisungsgebundenheit und Beteiligungsausmaß von Art 15 OECD-MA, Art 7 OECD-MA oder gegebenenfalls Art 14 OECD-MA idF vor 2000 die Rede ist.

Internationale Qualifikationskonflikte

Aus Sicht der Praxis mag diese Rechtauffassung insoweit unerfreulich sein, als zahlreiche andere Staaten Art 16 OECD-MA sehr wohl auch auf die Bezüge operativ involvierter (und nicht bloß überwachender) gesellschaftsrechtlicher Organe anwenden. Dementsprechend sind in Österreich ansässige Geschäftsführer oder Vorstandsmitglieder von im Ausland ansässigen Körperschaften häufig damit konfrontiert, dass sich die jeweils betroffenen ausländischen Staaten durch die Art 16 OECD-MA entsprechende Regelung des jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) berechtigt sehen, die Bezüge vollumfänglich und der Höhe nach uneingeschränkt besteuern zu dürfen. Die resultierende Besteuerung der Bezüge im Ansässigkeitsstaat der ausländischen Gesellschaft bleibt zumeist dann unproblematisch, wenn die betroffenen Geschäftsführer bzw Vorstandsmitglieder ihre Organfunktion jeweils tatsächlich auch im Ausland physisch ausüben. Denn in diesem Fall gesteht auch Österreich dem ausländischen Staat regelmäßig das Besteuerungsrecht zu und vermeidet seinerseits die Doppelbesteuerung durch Befreiung oder Anrechnung. Dass Österreich dies auf Grundlage einer anderen Verteilungsnorm (idR Art 15 OECD-MA für „Einkünfte aus unselbständiger Arbeit“) vollzieht, bleibt ohne Bedeutung, solange die DBA-Anwendung letztlich in beiden Staaten zu demselben Ergebnis führt („unechter“ Qualifikationskonflikt).

Problematisch wird es freilich spätestens dann, wenn Österreich nicht nur eine andere DBA-Verteilungsnorm anwendet als der andere Staat (zB Art 15 statt Art 16 OECD-MA), sondern diese unterschiedliche Qualifikation in weiterer Folge auch zu einer unterschiedlichen Verteilung der Besteuerungsrechte führt. Eine derartige Problematik ergibt sich derzeit (vor allem aufgrund der wiederholten Lockdowns) durch die weitreichende Tätigkeitsausübung im Home-Office. Arbeiten nämlich in Österreich ansässige Geschäftsführer bzw Vorstandsmitglieder ausländischer Gesellschaften in ihren (österreichischen) Home-Offices (und wird dadurch jeweils der Ort der Geschäftsleitung der betroffenen Gesellschaften nicht nach Österreich verlagert), bestehen jene Staaten, die Art 16 OECD-MA für anwendbar halten weiterhin auf der vollen Besteuerung der Bezüge, während Österreich – idR wegen des Tätigkeitsortprinzips gem Art 15 OECD-MA – nun ebenfalls besteuern möchte. Derartige Qualifikationskonflikte lösen eine Doppelbesteuerung aus, welche weder wirtschaftlich noch steuerrechtlich akzeptabel ist.

Mögliche Lösungsansätze

Die bisherige Verwaltungspraxis sieht offenbar keine rechtliche Möglichkeit, ebenfalls Art 16 OECD-MA anzuwenden und dadurch entsprechende Qualifikationskonflikte an der Wurzel zu vermeiden. Stattdessen verweist das BMF in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeit der Klärung derartiger Zweifelsfragen im Wege des Verständigungsverfahrens (vgl etwa EAS 3431 zur Slowakei und EAS 3355 zu Slowenien). Aus Praktikersicht – und vor allem auch aus Sicht der unmittelbar betroffenen Steuerpflichtigen – ist dieses Szenario freilich kein echter Trost, dauern doch derartige Verfahren durchschnittlich mehrere Jahre und besteht nach wie vor nicht in allen Fällen Einigungszwang. Vor diesem Hintergrund und angesichts der durch die COVID-19 Pandemie unerwartet großen Fallzahl sollte daher die bisherige Verwaltungspraxis nach Möglichkeit überdacht werden. Ein unter Umständen fruchtbringender Ansatzpunkt könnte insbesondere darin liegen, dass DBA (anders als jenes zwischen Österreich und der Schweiz, wozu die in EAS 3431 zitierte VwGH-Entscheidung ergangen ist) für die Auslegung in Zweifelsfällen idR gerade nicht auf die deutsche, sondern die englische Sprachfassung des DBA verweisen. Und dort ist regelmäßig nicht von „Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsvergütungen“, sondern von „directors‘ fees“ die Rede. Stützen sich daher ausländische Staaten zu Recht auf den englischsprachigen Abkommenstext, wäre wohl auch für Österreich die Tür zur Anwendung des Art 16 OECD-MA offen. Damit wäre eine pragmatische und rechtlich vertretbare Lösung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung in Reichweite, ohne unzählige und langwierige Verständigungsverfahren vom Zaun zu brechen. Aus Sicht der Praxis erschiene dabei unter Umständen sogar die – rechtlich an sich nicht erforderliche – Beibringung eines ausländischen Besteuerungsnachweises zweckdienlich und hinnehmbar, damit Nichtbesteuerungsszenarien ausgeschlossen bleiben.

Abschließend sei der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass mit Deutschland eine Sonderregelung für Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder in Art 16 Abs 2 des gemeinsamen DBA getroffen wurde, wonach ein solcher Qualifikationskonflikt mit Österreichs wichtigstem Handelspartner erfreulicherweise ausgeschlossen ist.