Die Belastungen, denen unsere natürliche Umwelt ausgesetzt ist, haben im Laufe der Zeit erheblich zugenommen. Der Schutz und die Erhaltung der Natur und damit auch ihrer Fähigkeit, zu einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum beizutragen, ist eine große Aufgabe für Unternehmen. Gewiss ist diese auch mit Risiken für die unternehmerische und finanzielle Stabilität verbunden. Doch sie ist die einzige Chance, den Fortbestand von Unternehmen langfristig zu sichern.
Alle Unternehmen sind direkt oder indirekt von der Natur abhängig und damit von den Folgen durch Naturzerstörung und Biodiversitätsverlust bedroht.
Die „Taskforce für naturbezogene Offenlegungen“ (abgekürzt TFND für „Taskforce Nature-related Financial Disclosures“) hat ein Rahmenwerk mit Empfehlungen veröffentlicht, wie Unternehmen über ihre naturbezogenen Risiken berichten und die Risiken in ihre Strategien, ihre Tätigkeiten, ihr Risikomanagement, ihre Messgrößen und ihre Ziele einbeziehen können.
In Anbetracht der Komplexität dieser Aufgabe wird ein frühzeitiges Handeln empfohlen. Noch vor der endgültigen Veröffentlichung des TNFD-Rahmens im September 2023 sollten Unternehmen bereits jetzt Maßnahmen ergreifen, die ihnen einen Vorsprung bei der Messung und dem Management naturbezogener Risiken verschaffen.
Was ist die TNFD und welche Ziele verfolgt sie?
Die „Taskforce Nature-related Financial Disclosures“ wurde als Reaktion auf die wachsende Erkenntnis gegründet, dass die Natur bei finanziellen und geschäftlichen Entscheidungen berücksichtigt werden sollte. Die TNFD ist eine globale, marktorientierte, wissenschaftsgeleitete und von der Regierung unterstützte Initiative, die folgende Ziele verfolgt:
Goran Mazar
Partner, EMA & German Head of ESG
KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
- Entwicklung eines praktischen und konsistenten Rahmens für Risikomanagement und Offenlegung, der es Unternehmen und Finanzinstituten ermöglicht, ihre Abhängigkeiten von der Natur und ihre Auswirkungen auf die Natur zu bewerten, zu steuern und darüber zu berichten
- Hilfe bei der Bewertung naturbezogener Risiken und Chancen mit dem Ziel, eine Umlenkung der globalen Finanzströme weg von Aktivitäten, die der Natur schaden, hin zu Aktivitäten, die der Natur zugutekommen, zu unterstützen
Was sind Natur und Naturkapital?
Unter dem Begriff „Natur“ werden vier Bereiche betrachtet: Meer, Land, Süßwasser und Atmosphäre. Die TNFD definiert Natur als die natürliche Welt und betont die Vielfalt der lebenden Organismen (einschließlich der Menschen) sowie die Wechselwirkungen untereinander und mit ihrer Umwelt. Der Mensch ist Teil der Natur und nicht von ihr getrennt.
Das Wohlergehen der Gesellschaft ist einerseits von dem natürlichen Kapital abhängig, das die vier Bereiche den Menschen bieten. Andererseits wirkt sich unser Verhalten auf die vorhandenen Ressourcen aus.
Die Natur ist unser wertvollstes Gut. Der Begriff Kapital wird oftmals nur mit Geld gleichgesetzt, aber Kapital beschreibt jede Ressource oder jeden Vermögenswert, der einen Wert für die Menschen und die Wirtschaft darstellt oder liefert. „Naturkapital“ funktioniert ähnlich wie monetäres Kapital - wenn wir in die Natur investieren, schafft sie Wert, und wenn wir sie schädigen, schränken wir ihren Wert ein.
Warum ist die Natur für Unternehmen und Investoren wichtig?
Der Beitrag der Natur zur Weltwirtschaft wird auf 125 Billionen US-Dollar pro Jahr geschätzt, und mehr als 50 Prozent des weltweiten BIP (44 Billionen US-Dollar) sind mäßig oder stark von der Natur und ihren Leistungen abhängig1 - entweder direkt oder über ihre Lieferketten. Die Unternehmen, die in hohem Maße von der Natur abhängig sind, gelten als am stärksten von den Folgen der Naturzerstörung und des Verlusts der biologischen Vielfalt bedroht. Dennoch versäumen es Investor:innen, Unternehmen und politische Entscheidungsträger:innen immer wieder, den wahren Wert der Natur in ihren Entscheidungen und Handlungen zu berücksichtigen. Geschäfts- und Investitionstätigkeiten können sowohl direkt als auch indirekt zur Zerstörung der Natur und dem Verlust der Biodiversität beitragen. Beides stellt für Wirtschaft und Gesellschaft ein großes Risiko dar. Für Unternehmen und Investor:innen ergeben sich aber auch Chancen, wenn sie in ihren Geschäftsmodellen und Investitionsentscheidungen den Schutz der Natur konsequent mitdenken. Um weiterhin überleben und wachsen zu können, müssen wir alle unsere natürlichen Ressourcen schützen und regenerieren.
Was sind naturbedingte Risiken?
Naturbedingte Risiken sind die potenziellen Bedrohungen für Unternehmen und Investor:innen, die sich aus den Auswirkungen natürlicher Phänomene und Entwicklungen und unserer Abhängigkeit davon ergeben. Das können physische Risiken, Übergangsrisiken (Transitionsrisiken) und systemische Risiken sein, diese können sowohl kurzfristige als auch langfristige Auswirkungen haben:
- Physische Risiken entstehen, wenn natürliche Systeme durch die Auswirkungen des Biodiversitätsverlusts oder das Ausbleiben von Ökosystemleistungen beeinträchtigt werden. Das fortschreitende Artensterben führt unter anderem zum Verlust der für die Nahrungsmittelproduktion notwendigen Bestäuberarten. Gebietsfremde invasive Arten werden unter anderem durch den Klimawandel häufiger und stellen nicht nur eine Bedrohung für heimische Arten dar, sondern können potenziell sogar Pandemien auslösen. Der zunehmende Verlust von Ökosystemen beschleunigt zusätzlich den Klimawandel, und Extremwetterereignisse fallen durch die fehlenden natürlich schützenden Ökosystemleistungen deutlich schlimmer aus.
- Übergangsrisiken ergeben sich beim Übergang in eine umweltfreundlichere Wirtschaft aus der Diskrepanz zwischen Strategie und Management von Unternehmen oder Investor:innen sowie den sich ändernden rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen.
- Systemische Risiken entstehen durch den Zusammenbruch eines für die Gesellschaft relevanten Systems, wie beispielsweise der Gesundheits- oder Nahrungsmittelversorgung. Die Auswirkungen eins solchen Kollaps sind eklatant und es werden weitreichende makroökonomische Schäden verursacht.
Was sind naturbezogene Chancen?
Naturbezogene Chancen sind positive Ergebnisse sowohl für Unternehmen und/oder Investor:innen als auch für die Natur. Sie können sich ergeben, wenn im unternehmerischen Handeln die Zerstörung der Natur und die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen vermieden sowie Maßnahmen zur Regenerierung umgesetzt werden.
Naturbezogene Chancen können entstehen,
- wenn Unternehmen das Risiko mindern, das Naturkapital zu zerstören und die Ökosystemleistungen auszubeuten sowie
- Geschäftsmodelle, Produkte, Dienstleistungen und Investitionen, die aktiv dazu beitragen, den Verlust der Natur aufzuhalten oder rückgängig zu machen in ihre Strategie integrieren. Dazu gehören auch die Umsetzung naturbasierter Lösungen und Unterstützungsleistungen für diese Lösungen, beispielsweise durch Finanzierung oder Versicherung.
Was können Sie jetzt tun?
- Informieren und planen:
- Aufbau interner Expertise und Kompetenzen
- Beurteilung der Fähigkeit Ihrer Organisation, naturbezogene Risiken und Chancen zu bewerten, zu managen und darüber zu berichten
- Festlegung von Zielen - Bewertung vornehmen:
- Bewertung von naturbezogenen Auswirkungen und Abhängigkeiten Ihrer Organisation
- Prioritäten bei der Bewertung setzen
- Konzentration auf die Aktivitäten und Geschäftsbereiche, in denen naturbezogene Risiken und Chancen am wichtigsten sind - Engagieren und vernetzen:
- Gespräche mit Unternehmen, Beteiligungsgesellschaften oder Partnern in der Lieferkette führen, um den Stand der naturbezogenen Risiken und Chancen in den Portfolios und Geschäftsbereichen zu verstehen
1 World Economic Forum, 'Nature Risk Rising: Why the Crisis Engulfing Nature Matters for Business and the Economy', January 2020