In der heutigen krisenbelasteten Weltwirtschaft sind nicht nur die klassischen energieintensiven Unternehmen zunehmend mit volatilen Energiepreisen konfrontiert. Was liegt da näher, als dem Corporate Treasury, das üblicherweise neben anderen zentralen Aufgaben auch für die Steuerung von Finanzrisiken und die Sicherstellung der finanziellen Stabilität des Unternehmens sowie das zugehörige Reporting verantwortlich ist, eine weitere Aufgabe zu übertragen. Dabei steht das Treasury neben den spezifischen Herausforderungen, die bei der operativen Steuerung von Energiepreisrisiken mit derivativen Instrumenten auftreten, vor zusätzlichen Aufgaben beim Management der Auswirkungen auf Bilanz- und Controllingkennzahlen.
Eine Besonderheit dieser Instrumente für das Corporate Treasury liegt unter anderem darin, dass die für die Risikosteuerung von Energiepreisen eingesetzten derivativen Finanzinstrumente z.B. physisch gesettelte Standardhandelsinstrumente auf Strom, Gas oder Oil Products zwar häufig im Treasury abgeschlossen werden, die zugrundeliegenden Risiken allerdings in anderen Unternehmensteilen gemanagt werden, wie der Beschaffung oder der Logistik, teilweise sogar in separaten Rohstoffhandelsabteilungen. Daher müssen für eine angemessene Risikobeurteilung und -steuerung sowie das damit verbundene interne und externe Berichtswesen die zugrundeliegenden Daten aus den beteiligten Bereichen möglichst automatisiert lokalisiert, interpretiert, erhoben, qualitätsgesichert, transformiert, harmonisiert, verarbeitet und auch in geeigneter Weise aggregiert und reportet werden.
Beurteilung von Energiepreisentwicklung und -volatilität
Die Beurteilung von Energiepreisen und ihrer Volatilität stellt die notwendige Basis für die Steuerung der Risken dar, sie ist gleichzeitig aber auch eine der komplexesten Herausforderungen im Bereich des Risikomanagements. Diese Komplexität ergibt sich aus der Vielzahl von Faktoren, die die Preisentwicklung beeinflussen, sowie aus der dynamischen Natur der Energiemärkte. Eine präzise Prognose von Preis- und Volatilitätsentwicklungen ist allerdings entscheidend für die zielgerichtete strategische Planung und das Risikomanagement in energieintensiven Unternehmen.
Die Vorhersage der Energiepreisentwicklung ist besonders anspruchsvoll, da die relevanten Faktoren oft schwer vorhersehbar sind und gerade in der jüngeren Vergangenheit von schweren Schocks betroffen gewesen sind. Dazu gehören in der jüngeren Vergangenheit die Ukraine-Krise, die Zollunsicherheit oder die politischen Entwicklungen im Mittleren Osten. Traditionelle statistische Modelle wie ARIMA (AutoRegressive Integrated Moving Average) und GARCH (Generalized Autoregressive Conditional Heteroskedasticity) sind weit verbreitet, um die Volatilität von Energiepreisen zu modellieren. Laut gängiger Literatur bieten diese Modelle eine solide Grundlage für die Analyse historischer Preisdaten und die Identifikation von Trends. Allerdings stoßen sie in den aktuellen hochvolatilen Märkten an ihre Grenzen, da sie oft nicht in der Lage sind, plötzliche Marktveränderungen oder unvorhergesehene Ereignisse in geeigneter Weise zu berücksichtigen. Modernere Modelle nutzen Big Data und KI, insbesondere maschinelles Lernen, um die Prognosegenauigkeit zu verbessern und die Komplexität durch eine umfassende Datenanalyse zu bewältigen. Solche Modelle sind allerdings typischerweise in Unternehmen, für die der Energiehandel eine Kernkompetenz darstellt, weiter verbreitet als in der energieintensiven Industrie und dem verantwortlichen Treasury.
Absicherung gegen Preisrisiken
Die Absicherung gegen Energiepreisrisiken erfolgt in der Unternehmenspraxis durch den Einsatz von Derivaten wie Forwards, Futures, Optionen und Swaps. Dass diese Art von Verträgen im Unternehmen meist im Treasury für die Absicherung von Zins- und Währungsrisiken im Einsatz sind, ist einer der Hauptgründe, warum die Instrumente durch das Treasury und nicht in anderen Abteilungen abgeschlossen und reportet werden. Das führt dazu, dass dem Treasury eine wichtige Aufgabe in Steuerung und Reporting von Energiepreisrisiken zukommt, ohne das genaue Ausmaß der Risiken auf Basis eigener Daten erheben zu können.
Erhebung des zugehörigen abzusichernden Risikoexposures
Neben den relevanten Preisentwicklungen an den Energiemärkten ist die Erhebung des Risikoexposures, das abgesichert werden soll, ein zentraler Bestandteil für ein erfolgreiches Risikomanagement. Das Risikoexposure ist die Basis für die Messung potenzieller finanzieller Auswirkung von Preisänderungen auf die relevanten Steuerungskennzahlen des Unternehmens. Sie wird typischerweise in Mengeneinheiten des zugrundeliegenden gehandelten Rohstoffs oder in Geldeinheiten definiert und gemessen. Um das Risikoexposure zu ermitteln, müssen Unternehmen eine umfassende Analyse ihrer Energieverbrauchsmuster und ihrer Abhängigkeit von bestimmten Energierohstoffen durchführen und gleichzeitig die theoretische wie auch die faktische Weitergabemöglichkeit dieser Kostenkomponenten in ihren Absatzverträgen berücksichtigen. Die Erhebung des Risikoexposures erfordert daher eine enge Kooperation zwischen den beteiligten Abteilungen, einschließlich Vertrieb, Einkauf, Produktion, Logistik und Finanzen. Die Abteilungen operieren üblicherweise in unterschiedlichen IT-Systemen, deren Daten zusammengeführt werden müssen, um darauf basierend eine Analyse der Planbedarfe und Mengenrisiken des Unternehmens zu erhalten. Nur durch die genaue und regelmäßige Quantifizierung des Risikoexposures können Unternehmen passende Absicherungsstrategien entwickeln, umsetzen und backtesten, die auf ihre spezifischen Bedürfnisse und Risiken abgestimmt sind.
Auswirkungen auf Bilanzkennzahlen
Der Einsatz von Derivaten zur Absicherung kann neben ihrer erwarteten ökonomischen Wirkung direkte Auswirkungen auf die Bilanz eines Unternehmens haben. Diese Instrumente müssen gemäß den geltenden Rechnungslegungsstandards bilanziert werden, was direkt die externe Darstellung der relevantesten Kennzahlen der Unternehmen beeinflussen kann. Freistehende derivative Finanzinstrumente sind nach IFRS 9 in der Bilanz als finanzieller Vermögenswert oder finanzielle Verbindlichkeit auszuweisen und der Kategorie Fair Value Through Profit and Loss zuzuordnen. Dies kann gerade bei sehr langfristigen Sicherungsinstrumenten in Verbindung mit starken Marktpreisbewegungen zu erheblichen unerwünschten bilanziellen Auswirkungen sowie Ergebnisauswirkungen führen. Um insbesondere nachteilige Ergebnisauswirkungen zu vermeiden, kommt nach IFRS oftmals der Einsatz des Hedge Accounting in Frage. Im Rahmen der Anwendung von Hedge Accounting ist verpflichtend der ineffektive Betrag der Sicherungsbeziehung zu bestimmen. Diese Ineffektivität zu messen und zu reporten obliegt in der Folge ebenfalls dem Treasury, mit je nach Umfang der Sicherungsaktivitäten erheblichen operativen Belastungen für Datenbeschaffung, Qualitätssicherung, verpflichtenden Kalkulationen und Dokumentationen.
Auswirkungen auf Controllingkennzahlen (KPIs)
Die Absicherung durch Derivate hat neben ihrem Einfluss auf das externe Berichtswesen auch Auswirkungen auf wichtige Controllingkennzahlen, die zur Steuerung und Bewertung des Unternehmenserfolgs verwendet werden. Der Einsatz von Derivaten für die Absicherung von Energiepreisrisiken hat gerade bei energieintensiven Unternehmen eine erhebliche Wirkung im Hinblick auf eine Absicherung der Marge. Allerdings gilt es bei der Kalkulation der Marge im Detail zu berücksichtigen, dass die Effekte den einzelnen Business Units bis hin zu Kostenträgern verursachungsgerecht zugeschlüsselt werden sollten. Das trägt beim zentralisierten Hedging beim Einkauf von Strom und Gas wegen ihrer erheblichen kurzfristigen Preisfluktuationen insbesondere in großen Unternehmen mit ihren unterschiedlichen Geschäftsmodellen zu einer deutlichen Erhöhung der Komplexität bei. Die zugehörige Transparenz über die tatsächlichen Kosten und damit die Marge der einzelnen Business Units ist gerade im aktuell sehr kompetitiven Marktumfeld für die meisten Unternehmen aber ein wesentlicher Erfolgsfaktor und sollte daher bereits in der Planung der derivativen Absicherung gegen Energiepreisrisiken mit berücksichtigt werden.
Fazit
Die Steuerung von Energiepreisrisiken durch das Corporate Treasury ist eine komplexe, interdisziplinäre Aufgabe, die eine koordinierte Herangehensweise erfordert. Nur durch die Kombination aus einer klugen Projektplanung, der stabilen und dauerhaften Zusammenführung und Nutzung der vorhandenen Daten und zielorientierter interdisziplinärer Zusammenarbeit kann das Treasury Energiepreisrisiken effektiv und ressourceneffizient managen und gleichzeitig einen wesentlichen positiven Beitrag zur finanziellen Stabilität und darüber hinaus zur verursachungsgerechten Kostentransparenz des Unternehmens leisten.
Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 157, August 2025
Autoren:
Ralph Schilling, CFA, Partner, Head of Finance and Treasury Management, Treasury Accounting & Commodity Trading, KPMG AG
Bardia Nadjmabadi, Senior Manager, Finance and Treasury Management, Treasury Accounting & Commodity Trading, KPMG AG
Ralph Schilling
Partner, Audit, Head of Finance & Treasury Management
KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft