Angesichts stagnierender Wirtschaft und rückläufiger Inflation wird der Leitzins schrittweise gesenkt. Unternehmen stehen vor der Herausforderung, die Auswirkungen auf ihre Entscheidungen zur Anlage von Überschussliquidität zu verstehen. Ein Umdenken ist gefragt: Wie können Mittel sinnvoll eingesetzt werden, wenn die Renditen sinken?
Wir möchten beleuchten, wie Treasurer auf das veränderte Zinsumfeld reagieren können und welche Strategien jetzt gefragt sind.
Die Wirtschaftsweisen gehen für 2025 von einem Null-Wachstum der deutschen Wirtschaft aus.1 Auch die EU-Kommission teilt diese Einschätzung.2 Etwas positiver sieht dies die OECD, die Deutschland für 2025 ein Wachstum von 0,4 Prozent prognostiziert. Für das kommende Jahr wird ein Wachstum von rund einem Prozent vorausgesagt. Bezogen auf die gesamte EU wird für 2025 ein Wachstum von ca. 1,1 Prozent erwartet, während für das Jahr 2026 mit einem Anstieg um knapp 1,4 Prozent gerechnet wird.
Gleichzeitig geht die Inflation zurück: Im Euroraum ist sie im Mai deutlich gesunken und liegt mit 1,9 Prozent leicht unter dem Zielwert der Europäischen Zentralbank (EZB), der bei 2,0 Prozent liegt.3
Stagnierende Wirtschaft, sinkende Inflation – Gründe für die EZB, den Leitzins weiter zu senken. Dementsprechend folgte Anfang Juni die siebte Zinssenkung in Folge.4 Mit der Senkung um 25 Basispunkte liegt der Leitzins nun bei 2 Prozent. Dieses Zinsniveau erlaubt der EZB eine Anpassung in beide Richtungen, je nach zukünftiger wirtschaftlicher Entwicklung – eine Option, die bei der derzeitigen wirtschaftlichen wie auch geopolitischen Unsicherheit sicherlich von Vorteil ist.
Vor diesem Hintergrund stellt sich für Unternehmen vermehrt die Frage, wie sich die Zinserwartungen auf Entscheidungen über die Anlage von Überschussliquidität auswirken. Unternehmen und Treasurer stehen vor der Herausforderung, ihre Strategien zur Liquiditätsanlage anzupassen. Während in den letzten Jahren liquide Mittel wieder zu attraktiven Zinssätzen angelegt werden konnten, stellt sich nun erneut zunehmend die Frage, wie diese Mittel auch bei rückläufigen Zinsen sinnvoll eingesetzt werden können.
Die Herausforderungen im Umgang mit der Inflation und deren Einbindung in ein wirkungsvolles Zinsrisikomanagement beleuchten wir ausführlich in einem unserer kommenden Newsletter.
Einstellen auf ein neues Zinsumfeld
Ein kurz- bis mittelfristig wieder moderat sinkendes Zinsumfeld stellt neue Anforderungen an das Liquiditäts- und Anlagemanagement im Corporate Treasury. Unternehmen mit nennenswerten Cash-Beständen sehen sich mit rückläufigen Renditen und einer wachsenden Notwendigkeit konfrontiert, vorhandene Mittel effizienter einzusetzen. Der Fokus verschiebt sich dabei zunehmend von der reinen Kapitalerhaltung hin zur zielgerichteten Steuerung der Liquiditätsverwendung.
Fragen wie „Wie viel Liquidität wird tatsächlich benötigt?“, „Welche alternativen Anlageformen sind sinnvoll?“ oder „Wie lassen sich Mittel bedarfsgerecht segmentieren?“ gewinnen erneut an Relevanz. Eine vorausschauende Allokation von Liquidität wird damit zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor. Insbesondere wenn weder eine anhaltende Niedrigzinsphase noch ein mittelfristiger Wiederanstieg der Zinsen ausgeschlossen werden kann.
Die Differenzierung des Cash-Bestands zielt darauf ab, den unterschiedlichen Anforderungen an Sicherheit, Verfügbarkeit und Ertrag gerecht zu werden. Dabei wird zwischen folgenden Kategorien unterschieden:
- Operative Liquidität: Mittel für den kurzfristigen Bedarf (z. B. Löhne, Lieferan-tenrechnungen)
- Taktische Liquidität: Mittel, die in ein bis drei Monaten benötigt werden (z. B. für geplante Investitionen)
- Strategische Liquidität: Überschüssige Mittel ohne kurzfristigen Verwendungszweck
Während operative Liquidität weiterhin sicher und kurzfristig verfügbar gehalten werden muss, geraten insbesondere taktische und strategische Mittel beim Zinsrückgang stärker in den Fokus.
Für die taktische Liquidität bedeutet das: Eine rein kurzfristige Parkposition könnte zu Renditeeinbußen führen, wenn nicht frühzeitig auf mittel- bis langfristige, aber dennoch liquide Anlagen – etwa konservative Geldmarktfonds oder flexible Termingeldmodelle – zurückgegriffen wird.
Strategische Liquidität erfordert ein noch aktiveres Umdenken: Hier gilt es, die Breite der Anlageprodukte am Markt zu nutzen. Statt klassischer Bankeinlagen sollten gezielt andere Anlageformen geprüft werden. Dies können Fondsprodukte, Unternehmensanleihen oder andere Alternativen mit stabilem Ertragsprofil sein. Hier gilt es jedoch zu beachten, dass diese Anlagen im Einklang mit den Vorgaben des Risikomanagements stehen und interne Genehmigungsprozesse berücksichtigt werden müssen. Dazu zählen auch das Know-how und die Qualifikationen der ausführenden Mitarbeiter. Diese Art der Anlage fällt daher häufig in das Aufgabenfeld des Asset Managements.
In einem fallenden Zinsumfeld genügt es also nicht mehr, Liquidität „sicher zu parken“. Vielmehr muss die Differenzierung der Mittel genutzt werden, um gezielt auf das veränderte Rendite-Risiko-Profil zu reagieren.
Lehren aus der früheren Niedrigzinsphase
Aus der früheren Niedrig- und Negativzinsphase, die bis 2022 andauerte, können Treasurer einige Rückschlüsse zur Vorbereitung ziehen:
- Ein zu konservativer Umgang mit Liquidität kann teuer werden. Gründe hierfür sind zum einen entgangene Ertragsmöglichkeiten, zum anderen eventuelle Negativzinsen. Ein frühzeitiges aktives Anlagemanagement kann Abhilfe leisten.
- Ein diversifiziertes Portfolio mit alternativen Anlagemöglichkeiten erhöht die Flexibilität und die Chance, stabile Zinserträge zu generieren.
- Eine klare Anlage-Governance in Zusammenarbeit mit dem Risikomanagement gewährleistet einen angemessenen Umgang mit aufkommenden Risiken.
- Die Unterstützung und Automatisierung des Liquiditätsmanagements und der Prognose durch Treasury-Management-Systeme hilft, Liquidität effizienter zu steuern. Auch der Einsatz von KI in diesem Bereich wird immer weiter vorangetrieben. Möglichkeiten zum KI-Einsatz in diesem und auch anderen Verantwortungsgebieten des Treasury haben wir bereits in zuvor veröffentlichten Newsletter-Artikeln beleuchtet und werden dies auch in Zukunft regelmäßig begleiten.
Die Auflistung möglicher Lehren ist an dieser Stelle nicht als abschließend zu verstehen. Diese unterscheiden sich je nach Unternehmen oder Branche. Grundsätzlich gilt, sich als Treasurer mit der vergangenen Niedrigzinsphase auseinanderzusetzen, um auf die zukünftigen Entwicklungen geeignet reagieren zu können.
Ausblick
Die aktuelle Zinssituation mit einem möglichen zukünftigen anhaltenden Niedrigzinsumfeld erfordert somit eine gute Vorbereitung und sachdienliche Analyse der Liquidität. Mithilfe der Lehren aus der Vergangenheit birgt die differenzierte Anlage der segmentierten Überschussliquidität weiterhin die Möglichkeit, Zinsstabilität und -erträge zu generieren. Ein zu konservativer Umgang mit Liquidität birgt dabei ebenso Risiken wie ein zu aggressiver.
Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 156, Juli 2025
Autoren:
Nils Bothe, Partner, Finance and Treasury Management, Corporate Treasury Advisory, KPMG AG
Tobias Riehle, Manager, Finance and Treasury Management, Corporate Treasury Advisory, KPMG AG
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1 vgl. Tagesschau (21.05.2025) Wirtschaftsweise gehen in Frühjahrsgutachten von Stagnation aus | tagesschau.de
2 vgl. Tagesschau (19.05.2025) EU-Kommission senkt Wachstumsprognose deutlich | tagesschau.de
3 vgl. Tagesschau (03.06.2025) Inflation im Euroraum überraschend stark gefallen | tagesschau.de
4 vgl. IfW Kiel (05.06.2025) EZB-Zinssenkung gut begründbar | Kiel Institut
Nils A. Bothe
Partner, Financial Services, Finance & Treasury Management
KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft