Sogenanntes ‚Tooling‘ – Steuerpflichtige oder steuerfreie Lieferung des vor Ort verbleibenden Werkzeugs
VAT Newsletter Mai 2025
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Generalanwältin Kokott, Schluss-antrag vom 22. Mai 2025, C-234/24
Der Schlussantrag betrifft die Werkzeugherstellung und die Fertigungsverfahren, die darauf abzielen, Werkzeuge, Matrizen oder Formen zur Fertigung von Teilen herzustellen (sog. Tooling).
Sachverhalt
Die Brose SK ist eine in der Slowakei gegründete, dort für die Zwecke der Mehrwertsteuer registrierte und ansässige Gesellschaft. Sie stellt Fenstersteuerungen, Türmodule und Hebevorrichtungen für Automobile her. Sie kauft für ihre Tätigkeit von der IME Bulgaria (Sitz Bulgarien) Bauteile, die Gegenstand innergemeinschaftlicher Lieferungen sind.
Brose DE, eine in Deutschland eingetragene Gesellschaft, ist mit Brose SK gesellschaftsrechtlich in einem Konzern verbunden und für Zwecke der Mehrwertsteuer sowohl in Deutschland als auch in Bulgarien registriert. Brose DE beauftragte IME Bulgaria mit der Anfertigung von Spezialwerkzeug zur Herstellung der an Brose SK zu liefernden Bauteile.
Nach Ausführung des Auftrags stellte IME Bulgaria der Brose DE am 14. Mai 2020 eine Rechnung netto zuzüglich bulgarischer Mehrwertsteuer unter Angabe der bulgarischen Mehrwertsteuernummer der Empfängerin (Brose DE) aus. Die Spezialwerkzeuge gingen in das Eigentum der Brose DE über, verblieben aber beim Lieferer, IME Bulgaria, der damit Produkte allein für Brose SK herstellt.
Am 7. Juni 2021 übereignete Brose DE die Spezialwerkzeuge an Brose SK und stellte darüber die streitgegenständliche Rechnung über den Verkauf einer Werkzeugausrüstung zuzüglich bulgarischer Mehrwertsteuer aus.
Am 10. März 2022 beantragte Brose SK für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2021 die Erstattung der in der Rechnung ausgewiesenen und entrichteten bulgarischen Mehrwertsteuer. Der Antrag von Brose SK wurde per Bescheid abgewiesen, da die Lieferung der Spezialwerkzeuge und die der Bauteile eine wirtschaftlich untrennbare Lieferung darstellten, bei der die Spe-zialwerkzeuge nach der Herstellung der Bauteile ihre wirtschaftliche Bedeutung verlören. Da Brose SK die von IME Bulgaria hergestellten Bauteile als innergemeinschaftliche Lieferung erhalten habe, sei die Lieferung der Spezialwerkzeuge ebenfalls als solche zu behandeln. Insoweit sei Brose DE weder Empfänger noch tatsächlicher Nutzer der hergestellten Spezialwerkzeuge. Brose DE sei nur ein formaler Eigentümer gewesen, da IME Bulgaria die Spezialwerkzeuge für die Herstellung der Endprodukte verwende und die Herrschaft und Kontrolle darüber ausübe.
Dagegen wandte sich Brose SK vor Gericht. In der zweiten Instanz legte das bulgarische Gericht die Streitsache dem EuGH im Vorabentscheidungsersuchen vor. Das Gericht meinte, es läge eine künstliche Abspaltung der Lieferungen der Bauteile für die Tätigkeit von Brose SK und der Lieferung der Spezialwerkzeuge vor. Es sei aber weder behauptet noch bewiesen, dass der einzige Zweck der Aufspaltung der Lieferungen in der Erlangung eines Steuervorteils für Brose SK bestehe, noch, worin dieser Vorteil gegebenenfalls bestehe.
Rechtliche Würdigung
Die Generalanwältin teilt die Auffassung von Brose SK.
In der Rechtssache Wilo Salmson France, die einen vergleichbaren Tooling-Fall in Rumänien betroffen habe, sei es – wie die Kommission und Brose SK zutreffend betonen – unstreitig gewesen, dass die Lieferung der Werkzeuge, die in Rumänien zur Herstellung von Bauteilen genutzt wurden und dort verblieben, eine normale innerstaatliche Lieferung (in Rumänien) sei. Der Vorsteuerabzug sei dort lediglich aufgrund der fehlenden Rechnung problematisch gewesen. In Bulgarien hingegen soll der Vorsteuerabzug bereits daran scheitern, dass die Lieferung der Werkzeuge keine „normale“ Lieferung, sondern auch eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung sei.
Die Generalanwältin geht zunächst auf den Hintergrund der Vorlagefrage ein, denn das vorlegende Gericht geht bezüglich des Verkaufs des Spezialwerkzeuges von Brose DE an Brose SK von einer künstlichen Gestaltung aus, ohne aber einen steuerrechtlichen Vorteil identifizieren zu können.
Unklar sei, ob in Bulgarien davon ausgegangen werde, dass die Spezialwerkzeuge von Brose DE an Brose SK steuerfrei geliefert wurden oder ob eine steuerfreie Lieferung der Spezialwerkzeuge von IME Bulgaria an Brose SK angenommen werde. Dies hänge wohl damit zusammen, dass das vorlegende Gericht von einer künstlichen Aufspaltung der Umsätze (Lieferungen der Bauteile und des Werkzeugs) ausgehe.
Dies vermag die Generalanwältin – in Übereinstimmung mit der Auffassung von Kommission und Brose SK – nicht zu überzeugen. Eine Lieferung von Brose DE an Brose SK scheitere jedenfalls nicht daran, dass die Spezialwerkzeuge fortwährend in Bulgarien von IME Bulgaria zur Fertigung der Bauteile genutzt würden. Vielmehr sei die Übertragung des Eigentums an einem Gegenstand – wie hier zwischen Brose DE und Brose SK geschehen – gerade der klassische Fall einer Lieferung nach Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL.
Zwar umfasse eine Lieferung jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei, die die andere Partei ermächtige, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer. Die fehlende zivilrechtliche Eigentumsübertragung stehe daher einer Lieferung nicht entgegen. Denn auch wenn der Empfänger einer Lieferung nicht „als Eigentümer“ über den gelieferten Gegenstand verfüge, könne er zumindest „wie ein Eigentümer“ damit verfahren. Das werde jedenfalls in einigen Sprachfassungen der Mehrwertsteuerrichtlinie deutlich.
Entscheidend sei vielmehr, dass die Verfügungsmacht übertragen wurde. Die Verfügungsmacht über einen Gegenstand sei dabei demjenigen zugeordnet, der (positiv) über die Substanz an dem Gegenstand verfügen könne und (negativ) auch das Risiko des zufälligen Untergangs dieses Gegenstandes trage. Dies sei hier offenbar Brose DE, denn diese konnte soweit ersichtlich als einzige die wirtschaftliche Substanz der Spezialwerkzeuge über einen Verkauf und eine anschließende Eigentumsübertragung realisieren. Dass IME Bulgaria für einen zufälligen Untergang der Werkzeuge, z. B. durch eine Überschwemmung ihres Betriebsgeländes, das Risiko tragen sollte, ergebe sich nicht aus den Akten. Folglich liege mit der entgeltlichen Übereignung des Spezialwerkzeugs von Brose DE an Brose SK auch eine Lieferung zwischen diesen vor.
Ebenso wenig seien Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass ein anderer (insbesondere nicht IME Bulgaria) Verfügungsmacht an den Werkzeugen erlangt hatte. Allein die Überlassung des Besitzes und die Erlaubnis, diese Gegenstände für die Fertigung von Bauteilen zu nutzen, genügt hierfür nicht. Dies zeigt das Beispiel eines Mieters deutlich. Auch der Mieter erlangt keine Verfügungsmacht über die gemietete Wohnung. Sie verbleibt vielmehr beim Eigentümer, der über die Substanz gerade durch die Vermietung „verfügt“.
Die Eigentumsübertragung von Brose DE auf Brose SK scheine auch wirksam stattgefunden zu haben. Anhaltspunkte für eine künstliche Gestaltung seien nicht erkennbar. Sofern das vorlegende Gericht und die bulgarische Finanzverwaltung sich für diese Annahme auf die Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache Part Service (Urteil vom 21. Februar 2008, C‑425/06) bezögen, beruhe dies auf einem offenkundigen Missverständnis. In jenem Fall ging es um eine Aufteilung eines einheitlichen (steuerpflichtigen) Umsatzes in eine weiterhin steuerpflichtige Vermietung und eine steuerfreie Versicherungsdienstleistung durch zwei Konzerngesellschaften gegenüber einem Leistungsempfänger. Damit sei der vorliegende Fall nicht ansatzweise vergleichbar.
Der Leistungsempfänger der beiden Lieferungen sei hier Brose SK. Dabei bestünden zum einen zwischen den beiden Lieferanten (Brose DE und IME Bulgaria) keine gesellschaftsrechtlichen Beziehungen. Zum anderen solle hier kein Teil der Lieferung künstlich steuerfrei gestaltet werden, sondern im Gegenteil, Brose DE habe die Spezialwerkzeuge steuerpflichtig geliefert (und die bulgarische Mehrwertsteuer offenbar auch ordnungsgemäß abgeführt). Keiner der Hinweise, die der Gerichtshof in der vorzitierten Entscheidung dem nationalen Gericht gegeben habe, um beurteilen zu können, ob zwei Umsätze durch zwei Konzerngesellschaften oder lediglich ein Umsatz durch eine Konzerngesellschaft vorliege, sei hier einschlägig. Warum der Verkauf von Spezialwerkzeugen von einer Konzerngesellschaft an eine andere Konzerngesellschaft „wirtschaftlich unlogisch“ sein sollte, nur weil die Spezialwerkzeuge weiterhin beim Lieferanten der Teile in Bulgarien verbleiben – so das vorlegende Gericht ausdrücklich in der Vorlage –, sei insofern nicht nachvollziehbar.
Wenn man den Sinn und Zweck des sogenannten „Tooling“ richtig verstehe, dann gehe es primär darum, im Fall einer Insolvenz des ursprünglich beauftragten Subunternehmers zu vergleichbaren Bedingungen einen anderen Subunternehmer vor Ort zu finden, der die Produktion der Bauteile mit Hilfe des Spezialwerkzeugs schnell wieder aufnehmen könne, um Unterbrechungen in den (z. T. weltweiten) Lieferketten zu vermeiden. Das Eigentum des Auftraggebers (oder einer anderen Konzerngesellschaft des Auftraggebers) verhindere, dass Gläubiger des insolventen Subunternehmers in das Spezialwerkzeug vollstrecken können. Das dürften valide wirtschaftliche Gründe sein.
In welcher Bilanz welcher Konzerngesellschaft die Spezialwerkzeuge geführt werden, scheine eher eine konzerninterne Frage zu betreffen, deren wirtschaftliche Logik anhand der vorliegenden Fakten nicht beurteilt werden könne. Sie sei auch für die mehrwertsteuerrechtliche Würdigung nicht relevant, sofern die Verfügungsmacht von Brose DE auf Brose SK tatsächlich übergegangen sei. Daran bestünden aber auch nach den Schilderungen des vorlegenden Gerichts keine erkennbaren Zweifel.
Daher sei zunächst zu klären, ob der Verkauf des Spezialwerkzeugs eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung darstelle. Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung ergäben sich aus Art. 138 MwStSystRL.
Diese Steuerbefreiung komme aber nur zum Tragen, wenn der gelieferte Gegenstand (hier das Spezialwerkzeug) durch den Verkäufer (hier Brose DE), den Erwerber (hier Brose SK) oder einen Dritten auf deren Rechnung (in der Regel ein Spediteur) „versandt oder befördert“ worden sei. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs werde die Steuerbefreiung der Lieferung eines Gegenstandes im Sinne dieses Artikels daher erst dann anwendbar, wenn der Gegenstand infolge dieser Versendung oder Beförderung den Liefermitgliedstaat physisch verlassen habe. Laut dem Vorabentscheidungsersuchen befände sich das Spezialwerkzeug aber immer noch in Bulgarien. Insofern mute es merkwürdig an, von einer innergemeinschaftlichen Lieferung zu sprechen.
Dieser Eindruck verstärke sich, wenn man den Sinn und Zweck der Regelung von Art. 138 MwStSystRL berücksichtige. Denn die darin geregelte Steuerbefreiung sei bewusst nicht in die Kapitel 2 und 3 des Titels IX der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgenommen worden. Hier gehe es nämlich nicht um eine Begünstigung des Leistungsempfängers, wie dies z. B. bei den Steuerbefreiungen von Art. 132 MwStSystRL der Fall sei. Auch für den Leistenden sei diese Steuerbefreiung kein Vorteil.
Vielmehr diene diese Steuerbefreiung allein der Umsetzung des Bestimmungslandprinzips bei Lieferungen zwischen Steuerpflichtigen innerhalb der Union, indem die Lieferung im Ursprungsland (dort, wo die Beförderung beginnt) befreit (steuerfreier Umsatz des Leistenden), dafür aber im Bestimmungsland besteuert werde (steuerpflichtiger Umsatz des Erwerbers). Denn Art. 2 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL stelle klar, dass auch der innergemeinschaftliche Erwerb ein steuerbarer Umsatz sei. Der innergemeinschaftliche Erwerb sei in Art. 20 MwStSystRL geregelt und besteuere den Erwerber eines Gegenstandes im Rahmen einer Lieferung im Bestimmungsland.
Schlussendlich sei dies nur eine andere Besteuerungstechnik, die im Ergebnis den Ort der Lieferung aus dem Ursprungs- in das Bestimmungsland verlege und mit einer Verlagerung der Steuerschuld auf den Erwerber im Bestimmungsland einhergehe.
Wenn auch der innergemeinschaftliche Erwerb nach Art. 20 MwStSystRL verlange, dass der Gegenstand an den Erwerber (hier Brose SK) „versandt oder befördert“ werde, dann könne im vorliegenden Fall keine innergemeinschaftliche Lieferung angenommen werden. Folglich greife auch keine Steuerbefreiung nach Art. 138 MwStSystRL.
Ein anderes Ergebnis wäre allenfalls denkbar, wenn die Lieferung der Bauteile durch IME Bulgaria und die Lieferung des Spezialwerkzeugs insgesamt durch Brose DE als eine an Brose SK erbrachte einheitliche innergemeinschaftliche Lieferung angesehen werden könnte. Allerdings sei auch dieser Ansatz eher fernliegend.
Zum einen gehe der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass für die Mehrwertsteuer jeder Umsatz in der Regel als eigener, selbständiger Umsatz zu betrachten ist. Das folge aus Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 2 sowie Art. 2 MwStSystRL und gelte selbst dann, wenn zwischen mehreren Umsätzen ein gewisser Zusammenhang besteht, weil sie einem einheitlichen wirtschaftlichen Ziel dienen.
Hier fehle schon das einheitliche wirtschaftliche Ziel. Ein solches sei nämlich bei Lieferungen zweier verschiedener Leistender (IME Bulgaria und Brose DE) in Bezug auf zwei unterschiedliche Gegenstände (die in Bulgarien hergestellten Bauteile und das dort verbleibende Spezialwerkzeug), die auch noch unabhängig voneinander erfolgten, nicht erkennbar.
Zum anderen werde der oben genannte Grundsatz der Selbständigkeit eines jeden Umsatzes nur in den Fällen einer unselbständigen Nebenleistung oder einer einheitlich komplexen Leistung durchbrochen. Auch wenn der Gerichtshof diese beiden Fallgruppen in einer jüngeren Entscheidung etwas vermengt habe (Urteil vom 4. Mai 2023, C-516/21), seien es doch zwei unterschiedliche Konstellationen, die hier beide nicht vorlägen.
Eine Leistung sei als unselbständige Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstelle, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.
Da Brose DE und IME Bulgaria voneinander unabhängige Steuerpflichtige seien, sei es kaum möglich, hier eine Hauptleistung zu bestimmen. Denn die genannten Lieferungen hätten – anders als Bulgarien in seiner Stellungnahme meint – jeweils einen eigenen, originären Charakter, und keine der Lieferungen sei der anderen in ihrer Zwecksetzung untergeordnet. Keiner dieser Umsätze sei im Verhältnis zum anderen eine unselbständige Nebenleistung.
Auch eine einheitlich komplexe Leistung liege nicht vor. In diesem Fall formen mehrere Leistungskomponenten eine Leistung sui generis. Eine solche sei gegeben, wenn die Leistung des Steuerpflichtigen aus zwei oder mehreren Elementen oder Handlungen bestehe, die so eng miteinander verbunden seien, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren getrennte Betrachtung wirklichkeitsfremd wäre. Ob das der Fall sei, ermittele der Gerichtshof, indem er die charakteristischen Merkmale und damit das Wesen eines Umsatzes aus der „Sicht des Durchschnittsverbrauchers“ bestimme.
Eine Untrennbarkeit der Leistungselemente sei hier ebenfalls nicht erkennbar. Aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers sei die getrennte Behandlung der Lieferung der hergestellten Bauteile durch einen Steuerpflichtigen und die Lieferung des Spezialwerkzeugs durch einen anderen Steuerpflichtigen nicht wirklichkeitsfremd. Vielmehr liege eine getrennte Behandlung nahe, weil beide Lieferungen durch unterschiedliche Steuerpflichtige erbracht würden.
Wenn zwei Leistungen zwar eine gewisse inhaltliche Nähe zueinander aufweisen, aber von zwei verschiedenen Steuerpflichtigen erbracht werden, könne das nur ausnahmsweise als ein einheitlicher Umsatz behandelt werden, nämlich dann, wenn die Aufspaltung eines Umsatzes in zwei selbständige Teile künstlich wäre.
Folglich scheide grundsätzlich sowohl die Annahme einer unselbständigen Nebenleistung als auch die Annahme einer einheitlichen komplexen Leistung aus, wenn unterschiedliche Leistungserbringer beteiligt seien. Etwas anderes könne allenfalls bei einer künstlichen Aufspaltung eines Umsatzes durch den eigentlichen Leistungserbringer auf zwei von ihm kontrollierte Steuerpflichtige angenommen werden. Entsprechend formuliere der Gerichtshof stets, dass der Steuerpflichtige (d. h. einer) mehrere Leistungen erbringe, die entweder getrennt oder einheitlich zu behandeln seien.
Auch der Schutz der Grundrechte spreche für dieses Ergebnis. Dem in die Steuererhebung zwangsweise eingebundenen Steuerpflichtigen könne kaum nachträglich und einseitig durch einen Dritten seine Preiskalkulation zerstört werden. Dies wäre z. B. bei einem Kleinunternehmer der Fall, dem eine Steuerbefreiung für seine Umsätze in Art. 287 MwStSystRL aus Gründen der Verfahrenserleichterung gewährt werde. Dieser würde diese Befreiung, ohne dass er darauf irgendeinen Einfluss hätte, verlieren, nur weil seine Leistungen einen inhaltlichen Zusammenhang zu Leistungen eines anderen Steuerpflichtigen hätten, die der Leistungsempfänger ebenfalls empfangen habe.
Soweit der Gerichtshof in der Rechtssache Horizon College (Urteil vom 14. Juni 2007, C‑434/05, Rn. 46). im Ergebnis eine Steuerbefreiung (jetzt in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL enthalten) auch auf einen Dritten (einen Subunternehmer) erweitert habe, habe dies allein die mit einem befreiten Umsatz „eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen“ betroffen. Dies sei aber eine andere Fallgruppe als die der Haupt- und Nebenleistung bzw. der einheitlich komplexen Leistung. Art. 138 MwStSystRL spreche gerade nicht von eng damit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen.
Da hier der Erbringer der Lieferung des Spezialwerkzeugs (Brose DE) und der Erbringer der innergemeinschaftlichen Lieferungen der hergestellten Teile (IME Bulgaria) zwei voneinander unabhängige Steuerpflichtige seien, komme eine Beeinflussung der mehrwertsteuerrechtlichen Beurteilung der jeweiligen Lieferung durch die andere Lieferung nicht in Betracht. Eine unselbständige Nebenleistung scheide ebenso aus wie eine einheitlich komplexe Leistung. Damit bleibe es dabei, dass jeder Umsatz isoliert zu betrachten sei. Die Lieferung des Spezialwerkzeugs bleibe mithin eine „normale“ Lieferung, deren Ort nach Art. 31 MwStSystRL in Bulgarien erfolgte und für die keine Steuerbefreiung ersichtlich sei.
Am Ende ihrer Schlussanträge macht die Generalanwältin dann noch weitere Hilfserwägungen, die im Ergebnis auch die Meinung von Brose SK stützen.
Die Generalanwältin kommt daher zu folgendem Ergebnis und schlägt dem EuGH vor, wie folgt zu antworten:
Wenn der Empfänger von steuerfrei innergemeinschaftlich gelieferten Bauteilen, die mittels eines in Bulgarien befindlichen Spezialwerkzeugs durch einen Subunternehmer gefertigt werden, dieses Spezialwerkzeug vom Eigentümer (einem im Ausland ansässigen Dritten) erwirbt und dieses weiterhin zur Herstellung der Bauteile in Bulgarien verwendet, liegt eine in Bulgarien steuerpflichtige Lieferung vor. Weder stellt die Verschaffung der Verfügungsmacht an dem Spezialwerkzeug selbst eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung dar noch ist sie als unselbständige Nebenleistung zur steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung der angefertigten Bauteile des Subunternehmers oder als Teil einer steuerfreien einheitlich komplexen innergemeinschaftlichen Lieferung zu betrachten. Mithin schließt Art. 4 der Richtlinie 2008/9 das Recht auf Erstattung der entrichteten Mehrwertsteuer nicht aus
Bitte beachten Sie:
Das sogenannte „Tooling“ ist eine übliche Praxis vor allem bei Zulieferern in der Automobilbranche. Dabei wird ein Subunternehmer beauftragt, bestimmte Teile anzufertigen. Diese können nur mit speziellen Werkzeugen (manchmal auch nur mit gewissen Produktionsanlagen) hergestellt werden. Die Werkzeuge werden auch bei dem Subunternehmer in Auftrag gegeben, verbleiben aber im Eigentum des Auftraggebers und werden lediglich vor Ort durch den Subunternehmer für die Fertigung der Teile genutzt.
Wenn die damit hergestellten Teile an den Auftraggeber in einen anderen Mitgliedstaat geliefert werden, liegen insofern steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen vor. Werden die Werkzeuge aber später an einen Dritten im Ausland verkauft (d. h., das Eigentum geht auf einen Dritten über), ohne dass sie ihren Standort verändern, stellt sich die Frage nach der Steuerpflicht des Verkaufs dieses Werkzeugs.
Das Verfahren wirft erneut Fragen bei der Bestimmung von Haupt- und Nebenleistung bzw. einer einheitlichen komplexen Leistung auf. Dieses Mal im Zusammenhang mit einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung. Diese wurden vom Gerichtshof bisher nicht beantwortet, so dass die Entscheidung des EuGH weitreichende Folgen für die Praxis haben dürfte (so auch die Generalanwältin, Rn. 4 der Schlussanträge).
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Kathrin Feil
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