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BFH fällt Urteil bei geschlechterspezifischen Sterbetafeln

Männer sterben früher als Frauen. Diese Gewissheit zeigt jährlich die Sterbetafel des Statistischen Bundesamtes. Sie hat auch steuerliche Relevanz. Männer und Frauen werden unterschiedlich behandelt. 

Und das ist auch erlaubt, wie ein gerade veröffentlichtes Urteil des Bundesfinanzhofs bestätigt (BFH, Urteil vom 20. November 2024, Az. II R 38/22). Es hält die Anwendung geschlechterspezifischer Sterbetafeln bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer für verfassungskonform. 

Anwendungsfall aus der Praxis

Ein Beispiel verdeutlicht die Auswirkungen der Sterbetafel: Eine Mutter schenkt ihrer Tochter eine vermietete Immobilie und behält sich den Nießbrauch vor, das heißt, sie erhält bis zu ihrem Lebensende die Mieteinnahmen.  Die Schenkung der Immobilie ist steuerpflichtig, abhängig von Freibeträgen. Der Wert der Schenkung ergibt sich aus dem steuerlichen Wert der Immobilie, von dem der Wert des Nießbrauchs abgezogen werden kann. Der Nießbrauchswert reduziert also die Schenkungsteuer, was logisch ist, da die Tochter, solange die Mutter lebt, keine Miete aus der Immobilie erhält.

Bestimmung des Nießbrauchswert durch Sterbetafel und Abzinsung

Da die Schenkungsteuer bei der Übertragung der Immobilie entsteht, muss der Wert des Nießbrauchs zu diesem Zeitpunkt ermittelt werden. Dafür ist es notwendig zu wissen, wie hoch die voraussichtliche Miete sein wird, die die Mutter erhalten wird, und wie lange sie voraussichtlich noch leben wird. Die voraussichtliche Miete lässt sich anhand des Mietvertrags bestimmen, die Lebenserwartung der Mutter hingegen wird aus der amtlichen Sterbetafel geschätzt. 

Ist die Mutter 70 Jahre alt, so hat sie hiernach noch eine Lebensdauer von 16,72 Jahren. Beträgt die jährliche Miete 20.000 Euro, erhält die Mutter über einen Zeitraum von 16,72 Jahren insgesamt 334.400 Euro, sofern sie so lange lebt oder mehr, wenn sie länger leben sollte. Allerdings erhält sie diesen Betrag nicht auf einmal, sondern verteilt über die Lebensdauer, sodass eine Abzinsung des Betrages erforderlich ist. Hierfür verwendet das Steuerrecht immer einen Zinssatz von 5,5 Prozent, sodass der Kapitalwert des Nießbrauchs zum Übertragungszeitpunkt lediglich 221.000 Euro beträgt.

Höhere Schenkungsteuer wegen geringerer Lebenserwartung von Männern

Hätte im Beispielsfall der Vater bei gleichem Alter die Immobilie unter Einräumung eines Nießbrauchs an die Tochter übertragen, betrüge der Wert des Nießbrauchs nur 197.160 Euro, da die Lebenserwartung eines Mannes nach der Statistik im gleichen Alter bei nur 14,01 Jahren liegt. Die Folge: Vom Wert der Immobilie würde ein geringerer Nießbrauch abgezogen. Bei einem Immobilienwert von 500.000 Euro hätte die Tochter ca. 2.600 Euro mehr Schenkungsteuer zahlen müssen. 

Geschlechterspezifische Sterbetafeln sind verfassungskonform

Gegen den Ansatz der geschlechterdifferenzierenden Sterbetafel bei der Bewertung lebenslänglicher Leistungen hatte ein Steuerpflichtiger geklagt. Der Bundesfinanzhof entschied jedoch, dass die Anwendung dieser Tafeln verfassungskonform ist, da hierdurch gegenüber einer genderneutralen Bewertung die Lebenssachverhalte realitätsgerechter abgebildet werden. 

Vermögen früh übertragen und mögliche Sterbetafel-Änderungen beachten

Ungeachtet sollte Vermögen möglichst früh auf die nächste Generation unter Einräumung eines Nießbrauchs übertragen werden. Denn da dann der Nießbraucher, also zum Beispiel Vater oder Mutter, jung sind, fällt der Nießbrauch hoch aus und senkt so die Schenkungsteuer. Würde wie in anderen Ländern bereits erfolgt, die geschlechterspezifische Sterbetafel auf eine genderneutrale Tafel umgestellt, würden sich die aktuelle geschätzte Lebensdauer bei Frauen verkürzen und bei Männern verlängern. Dies sollte bei geplanten zukünftigen Übertragungen unter Vorbehalt des Nießbrauchs berücksichtigt werden. 

Der Autor ist Steuerberater bei KPMG.

Der KPMG Steuertipp